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Die derben Sprüche hallen schon von Weitem über den Hof: "batubadeu" (verfluchter Mist) dröhnt es wiederholt in breitestem Mallorquinisch, "du kannst mich mal" schleudert der Fincabewohner dem erstaunten Besucher gleich hinterher. Statt umgehend die Flucht zu ergreifen, verfallen Gäste eher in schallendes Gelächter: Denn weder aaein schlecht gelaunter Bauer noch eine zickige Alte sind hier unterwegs, sondern der Rabe Rasputin.

In seinem Dorf Mancor de la Vall ist der Vogel eine Berühmtheit. Seit über 30 Jahren ist er am Tiersegnungstag Sant Antoni Hauptakteur eines Spektakels, das an eine Legende des Heiligen Antonius erinnert: Als dieser wochenlang in einer Höhle ohne Essen ausharren musste, brachte ihm ein Rabe jeden Tag ein kleines Stückchen Brot. In Mancor wird Rasputin nun jedes Jahr am 17. Januar vom Kirchturm des Ortes an einem Seil hinunter zu einer nachgebauten Höhle gelassen, zur Begeisterung der Einwohner und Besucher.

Ob Rasputin diese Berühmtheit zu Kopf gestiegen ist, oder ob seine Schimpftiraden auf Senilität zurückzuführen sind, kann auch sein Besitzer Manuel Alba nicht genau sagen. Denn der schwarze Vogel ist mit 34 Jahren für einen Raben steinalt; er sieht fast nichts mehr und hinkt ein wenig, ist jedoch keineswegs auf den Schnabel gefallen. "Schimpfwörter sind seine Leidenschaft, aber er kann auch höflich grüßen oder seinen Namen sagen", meint Manuel, der ihm eine große Lernfähigkeit bescheinigt. Absolutes Highlight in all den Jahren: "Er hatte es irgendwann gelernt, perfekt das Anlassgeräusch eines Motors nachzuahmen", erinnert sich sein Besitzer. "Das erste Mal war ich wirklich erschrocken, ich dachte, dass auf dem menschenleeren Hof direkt hinter mir jemand ein Auto startet." Als hätte der Vogel dieses Lob verstanden, zieht Rasputin plötzlich alle Register: Laut gackernd wie ein Huhn läuft er über den Hof, ruft abwechselnd seinen Namen und gibt unverständliche Sprüche zum Besten, und beschimpft anschließend seine Artgenossin im Käfig aufs Heftigste. Der wesentlich jüngere Rabe und Rasputin verstehen sich nicht besonders gut, so als ob der Alte schon ahnte, dass er bald von einem Jüngeren abgelöst würde. Zur Beruhigung bekommt er von Manuel ein paar Brocken Hundefutter. "Raben sind Allesfresser, nur Käse verschmäht er." So lange er denken könne, sei vom Kirchturm in Mancor an Sant Antoni schon ein Rabe herabgeflogen, in seiner Kindheit sei es allerdings noch ein ausgestopfter Vogel gewesen, erinnert sich Manuel Alba. 1977 brachte einer seiner Brüder von einer Bergtour einen kleinen Raben mit, der noch nicht einmal flügge war - wahrscheinlich von seiner Rabenmutter im Stich gelassen. "Wir zogen ihn auf, er hatte im Haus meiner Mutter ein eigenes Zimmer, und wir waren erstaunt, als wir merkten, das Raben unsere Sprache nachahmen können wie ein Papagei." Schon nach zwei Jahren wurde die Idee geboren, Rasputin gegen den ausgestopften Vogel zu ersetzen, seitdem ist das schwarz gefiederte Mitglied der Familie Alba einmal pro Jahr Mittelpunkt von Mancor de la Vall.

Auch in diesem Jahr wird Rasputin wieder seinen großen Auftritt haben, obwohl er durch seine Sehschwäche inzwischen etwas ängstlich geworden sei. "Aber solange er frisst und die Leute beschimpft, wissen wir, dass es ihm gut geht."