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Rund um die Markthalle von Santa Catalina in Palma sind die Tische der anliegenden Cafes allesamt besetzt. Menschen in der Vormittagssonne genießen ihren Kaffee oder ein spätes Frühstück. Dem Stimmengewirr sind häufig englische, schwedische, deutsche oder spanische Sprachfetzen zu entnehmen.

Wer nicht sitzt, ist in Bewegung. In den Geschäften wie etwa der französischen Konditorei herrscht reger Kundenverkehr, in den Gängen der Markthalle tummeln sich Käufer und Schaulustige geradezu, an den Verkaufsständen in der Straße nebenan wird lautstark der Preis bunter Damenunterwäsche verhandelt.

Kein Zweifel: Die Markthalle von Santa Catalina bildet das neuralgische Zentrum des gleichnamigen Viertels in Palma. Vor allem an den Samstagen wird der Ort zum Treffpunkt jener ausländischen Mallorca-Residenten, die sich selbst als bestens integriert in die spanische Gesellschaft betrachten und dazu noch ein städtisches Ambiente in humanen Dimensionen bevorzugen.

Die Vorlieben dieser Menschen und Jungfamilien im berufstätigen Alter haben das ehemalige Fischer- und Zigeunerviertel vor den Toren der Altstadt in einem guten Jahrzehnt in eine urbane "In-Zone" verwandelt. Ein modisches Barrio mit traditionellem Charme, netten Lokalen, Läden und szenigen Kreativ-Unternehmen wie Werbeagenturen, Eventorganisatoren, Handwerksbetrieben.

"Santa Catalina ist das vielfältigste Viertel in Palma", sagt der deutsche Architekt Philippe Harlis, der seine Zeichen- und Gestaltungscomputer in der Büro-Gemeinschaft Egg-Community im Carrer Pou aufgestellt hat. Vor allem die Yacht-Industrie im nahe gelegenen Hafen sowie die Markthalle selbst beleben das Viertel mit Menschen, Dienstleistungen, Aktivitäten. "Nirgendwo sonst in der Stadt kann man auf so wenig Fläche so viele Nationalitäten so entspannt nebeneinander erleben."

Virgilio Izquierdo, Direktor der Markthalle, führt die Anziehungskraft des Viertels - in dem er seit seiner Geburt lebt - vor allem auf dessen dörfliche Prägung zurück. "Die Menschen hier kennen sich bei ihren Ruf- und Spitznamen." Insbesondere die alteingesessenen Gemeinschaft identifiziere sich selbst als "Cataliners" - und nicht als Palmesaner. Das Viertel im Häusermeer von Palma werde vor allem als eigenständiges Dorf erlebt und wahrgenommen.

Doch die Idylle im engeren Geviert zwischen der Windmühlenzeile von Es Jonquet am Wasser sowie jener in der Calle Indústria wird seit einigen Monaten auf eine harte Probe gestellt. Anwohner, Gastwirte, Ladenbesitzer und Altstadtbewahrer sind sich uneins über den Wandel, der in dem Viertel verstärkt registriert wird.

Auslöser sind die Arbeiten in der Calle Fábrica, die sich in den vergangenen zehn Jahren als beliebte Restaurantmeile etablierte. Das Rathaus ließ die Pappelallee unlängst neu pflastern. Statt den breiten Bürgersteigen und den geparkten Autos reichen jetzt Betonfliesen von Hauswand zu Hauswand. Die Kosten betrugen rund 1'4 Millionen Euro, das Geld stammte aus dem zweiten Arbeitsbeschaffungsprogramm der spanischen Regierung ("Plan E").

Die im Juli begonnenen Umbauarbeiten wurden regelrecht forciert, so dass sie einen Monat früher beendet werden können. Die offizielle Einweihung soll laut Rathaus noch vor Weihnachten erfolgen. Bis dahin soll auch entschieden sein, ob in der umgemodelten Straße Autos - zumindest beschränkt - wieder zirkulieren dürfen oder nicht.

Die Fábrica, die ihren Namen von den zahlreichen Schuhfabriken erhielt, die es einst dort gab, war zu Beginn der Legislaturperiode von Bürgermeisterin Aina Calvo zu einer jener "Achsen der Bürgerschaft" (ejes cívicos) erkoren worden. Es handelt sich um verkehrsberuhigte Zonen, die sternförmig das Stadtzentrum mit den Außenbezirken verbinden sollen. Ein solches Vorhaben wurde bereits in der Calle Blanquerna, nordwestlich der Plaça d'Espanya, verwirklicht. Wo einst Park- und Verkehrs-Chaos herrschte, gibt es heute zwar nur noch ganz wenige Stellplätze, dafür aber deutlich mehr Fläche für Fußgänger sowie einen Radweg.

Dort, wo die Bauarbeiten in der Calle Fábrica bereits beendet sind, haben die Gastronomen promt die ersten Tische und Stühle vor ihre Lokale gestellt. Es ist ihnen anzumerken, wie ungeduldig sie nach Monaten mit aufgerissener Straßendecke nun der wiederkehrenden Gäste harren, während nebenan noch Kreissägen kreischend Fliesen zerschneiden.

Joaquín Rodríguez besitzt mit dem Txacolí eines der dienstältesten Lokale in der Fábrica. Das Familienunternehmen bietet seinen Gästen seit 22 Jahren baskische Grill-Spezialitäten. Die Umgestaltung der Straße zu einer verkehrsberuhigten Zone sieht der Wirt sehr positiv. Schon im Sommer 2008 hatte er, quasi als Experiment, fünf, sechs Tische auf den Bürgersteig gestellt. Die Erfahrung sei sehr positiv gewesen. Jetzt wäre es Rodríguez recht, wenn künftig überhaupt kein Auto mehr in die Straße einfahren dürfte. "Das wäre angenehmer für unsere Gäste."

Einer der vehementesten Gegner des Projekts ist Pere Felip, Präsident des Anwohnervereins von Santa Catalina. Er sieht in der Umwandlung der Fábrica keine Achse, die den Interessen der Bürgerschaft, sondern lediglich denen der Gastronomen dient. Mit Klagen vor Gericht hatte seine Organisation versucht, das Projekt zu stoppen.

Pere Felip wirft Bürgermeisterin Aina Calvo vor, das Vorhaben hinter dem Rücken der Bürgervereine Santa Catalinas durchgezogen zu haben. Die Anwohnervereinigung habe aus der Presse von dem Projekt erfahren müssen. Danach habe sich die Rathaus-Chefin in geradezu "totalitärer Manier" über Vereinbarungen des Plenums hinweggesetzt, das Projekt nicht ohne vorherigen Konsens zu beginnen.

Nach Felips Worten fürchten die Anwohner die Schaffung einer lauten Amüsiermeile mit Bars und Restaurants und Leuten, die unter freiem Himmel sitzen und trinken. "Wir wollen nicht, dass die Fábrica zu einer zweiten Lonja oder gar Schinkenstraße wird." Die Angst der Nachbarn sei groß vor nächtlicher Ruhestörung und Alkoholexzessen auf der Straße.

Was Felip und seine Unterstützer darüber hinaus verärgert, ist die Ungleichbehandlung der einzelnen Zonen des Santa-Catalina-Viertels, das in der Tat viel größer ist als die wenigen Straßenzüge rund um die Markthalle. "Mit der sogenannten Bürgerschafts-Achse werden 1'5 Millionen Euro in 200 Meter Straße investiert. Unser Vorschlag war, das Geld zu Ausbesserungen im ganzen Viertel zu verwenden."

Das Rathaus habe das Wohngebiet seit Jahrzehnten vernachlässigt. An unzähligen Stellen seien die Fliesen der Bürgersteige lose, die Wege besonders für alte Menschen nicht sicher. Die Verkehrsführung sei unmenschlich. Allein die Calle Caro werde täglich von rund 35.000 Autos durchfahren. Auf den Vorschlag des Vereins, in allen Straßen Santa Catalinas Bäume zu pflanzen und das Viertel zum städtischen Pilotprojekt im Kampf gegen den Klimawandel zu erklären, habe das Rathaus nicht einmal geantwortet.

Einig weiß sich Felip zudem mit dem Verein der Altstadtfreunde ARCA. Sie wollen den traditionellen Charakter des Fischerviertels mit seiner angestammten Architektur bewahren. Santa Catalina sei ein "Barrio" mit niedriger Bebauung, maximal drei Stockwerke, samt typischen Elementen wie Klappläden, verzierten Balkongittern, überstehenden Ziegeldächern, harmonischen Proportionen.

Dieser Baustil sei kennzeichnend für die mediterrane Architektur des Kleine-Leute-Viertels. Sie werde kaum beschützt, stattdessen werden neue Häuser an die Stelle von alten gesetzt, die das einheitliche Ensemble aufbrechen, kritisiert Felip. "Man raubt uns, man tötet unsere Geschichte und unsere Kultur!"

Für diesen Wandel, wie ihn Santa Catalina derzeit registriert, finden sich positive wie negative Beispiele. Der Abriss einer ganzen traditionellen Häuserzeile und die daraufhin folgende Errichtung eines deutlich höheren Neubaus direkt am östlich gelegenen Stadtpark Sa Faixina sind ein Beleg für Felips Kritik.

Als positiv sind hingegen gelungene Renovierungen zu sehen, die die alte Bausubstanz samt den historischen Elementen bewahren, die Häuser jedoch mit modernem Komfort und Installationen einem neuen Nutzen zuführen. Das auf diese Art wiederhergestellte Hostal Cuba, ein Bauwerk von 1904, sowie das jetzt wiedereröffnete Theater Mar i Terra von 1898 (siehe auch S. 38) sind Beispiele für eine erfolgreiche Wiedererlangung kulturhistorisch bedeutsamer Werte in dem Viertel.

Auch der Run von betuchten Ausländern auf Santa Catalina hatte schlechte und gute Auswirkungen. Zwar stiegen aufgrund der hohen Nachfrage und des verhältnismäßig geringen Angebots die Immobilienpreise in schwindelnde Höhen. Aber andererseits wurden viele der Altbauten von den neuen Eigentümern liebevoll saniert.

Von den Anwohnern wird die künftigen Fábrica-Stadtachse ebenfalls unterschiedlich bewertet. Manche finden die geflieste Betonfläche architektonisch als Bruch und als monoton. "Monoton, das sind doch die vielen Autos, die überall alles zuparken", heißt es von der Gegenseite.

Enzo Capece, italienischer Modeboutique-Besitzer in der Fábrica, freut sich auf die baldige Eröffnung. "Weniger Verkehr, mehr Platz zum Spazierengehen und zum Sitzen im Freien, ich glaube, das wird richtig nett."