Zum Frühstück einen Kaffee gekippt, um
elf Uhr hungrig und unterwegs schnell in der Chipstüte gekramt,
gegen zwei Uhr in einer Bar den Magen mit einer Hamburguesa und
einer Cola besänftigt, kurz vor Feierabend dann nur noch einen
Schokoriegel - schließlich will man abends ja noch ein Steak in die
Pfanne werfen: Ernährung in Spanien, wie sie heutzutage häufig
aussieht.
Mittelmeer-Diät - Fehlanzeige. Hauptbestandteile wären dabei
Gemüse, Früchte und Getreide, Nüsse, hochwertiges Olivenöl -
mehrmals wöchentlich soll Fisch verzehrt werden, wenig rotes
Fleisch, regelmäßig ein Glas Rotwein. Die mediterrane Kost gilt
neben der japanischen Küche als die gesündeste überhaupt - seit
Ende der 50er Jahre wird sie daher als empfehlenswerte
Ernährungslehre propagiert. Studien haben belegt, dass in Ländern,
in denen mediterran gegessen wird, die Sterblichkeitsrate um neun,
die Krebsrate um sechs und die Parkinson-Rate um 13 Prozent
niedriger ist - und es deutlich weniger Fettleibigkeit gibt.
Oder gab: Denn mittlerweile ist laut einer Studie des spanischen
Gesundheitsministeriums jeder zweite Spanier zu dick, jedes vierte
Kind hat Übergewicht. Mit ein Grund: In der Mutterstube der
Mittelmeer-Diät erfährt die hier ursprüngliche Ernährungsform nur
mehr wenig Zuspruch. Und zwar so wenig, dass sie vor einigen Tagen
von der Unesco als Weltkulturerbe ausgerufen wurde, um ihr
Fortbestehen dauerhaft zu schützen.
"Wir sind in unserem Land klar auf dem absteigenden Ast",
erklärt Manuel Martínez, technischer Leiter des Europäischen
Instituts für Mediterrane Ernährung in Spanien - durch die
Globalisierung hätten sich die Speisepläne europaweit stark
angeglichen.
Zum Vorteil für die Nordlichter, die mittlerweile mehr Gemüse
und Olivenöl äßen denn je: "Unsere Ernährung auf den Balearen ist
fast schon weniger mediterran als die der skandinavischen Länder",
betont auch Josep Tur, Lehrstuhlinhaber für Physiologie an der
Universität der Balearen und Mitglied des Komitees, das die
Unesco-Bewerbung ausgearbeitet hatte. "Nur noch im Verzehr von
Olivenöl und Trockenfrüchten sind wir Spitzenreiter."
Laut Manuel Martínez habe sich die Ernährungspyramide umgedreht
- alles was mäßig verzehrt werden solle, bilde jetzt die Grundlage.
Allerdings wähnten sich dabei viele im Glauben, man esse doch
mediterran, solange man die regional typischen Gerichte regelmäßig
in seinen Speiseplan einbaue. "Aber wer häufig Sobrassada,
Butifarrones, Ensaimadas oder Lechona isst, ernährt sich noch lange
nicht nach der Mittelmeer-Diät", betont Pedro Mayol, Inhaber des
Restaurants "Safrà 21" und Spross einer mallorquinischen
Gastrofamilie mit langer Tradition.
Diese Gerichte seien zwar Bestandteil - allerdings handle es
sich dabei um eben jene Speisen, die ursprünglich an der Spitze der
Ernährungspyramide standen. "Die Mittelmeer-Diät basiert darauf,
wie sich einst die armen Leute ernährten. Und da hatte hier auf
Mallorca bei Weitem nicht jeder ein Schwein, das er schlachten
konnte. Aber jeder einen Garten. Und wenn doch mal fette Wurst oder
Schweineschmalz verzehrt wurde, dann belastete es den Körper nicht,
da er durch die schwere Arbeit einen wesentlich höheren
Kalorienverbrauch hatte."
Dass Restaurants, die "Cocina Mallorquina" auf ihre Fahnen
schrieben, oft nur mehr regelrechte Grillstuben seien, gehe mit der
heutigen Bequemlichkeit der Menschen einher. "Es ist leichter, ein
Stück Fleisch auf den Grill zu werfen, als stundenlang Gemüse zu
schnippeln." Die ursprüngliche mallorquinische Küche sei sehr
aufwendig - viele der Gerichte, die vor allem auf Gemüse basierten,
müssten stundenlang auf kleiner Flamme geköchelt werden. "Das
rentiert sich für die Gastronomen nicht und viele Köche beherrschen
diese Kunst gar nicht mehr.
Genauso wenig die Hausfrauen, denen das auch oft zu umständlich
ist." Auch sei gutes Gemüse mittlerweile teuer geworden, "und zum
Beispiel hochwertiges biologisch angebautes bis vor wenigen Jahren
eine ganze Zeit lang Mangelware auf der Insel".
Hier sieht auch Laura Buadas Rotger, Vorsitzende der
Slowfood-Bewegung Mallorcas ein großes Problem der mediterranen
Kost: "90 Prozent aller auf der Insel verzehrten Lebensmittel
werden eingeschifft. Die Mittelmeer-Diät aber spricht vom Verzehr
lokaler Erzeugnisse - und zwar saisonal." Die Erklärung als
Kulturerbe sei ein großer Schritt in die richtige Richtung, "aber
wir dürfen nicht nur über die Produkte reden und die Bauern
vergessen, die uns diese ja liefern sollen. Nur wenn die Situation
der hiesigen Landwirtschaft gestärkt wird, ist die Mittelmeer-Diät
in ihrer echten Form auch lebbar".
Denn diese ist im Grunde mehr als eine Ernährungsform: "Es ist
eine Philosophie", sagt Benet Vicens, Inhaber des Restaurants "Béns
d'Avall" und Verfechter balearischer Produkte. Dabei stehe ein
genussvolles Essen ohne Zeitdruck mit anschließender Ruhepause im
Mittelpunkt: Die Mittelmeer-Diät hängt also genauso mit dem Erhalt
der Siesta wie der Bedeutung des gemeinsamen Essens in der Familie
zusammen.
"Wir müssen hier wieder zu diesen einfachen Dingen zurückfinden.
Der Freude zum Beispiel, die es bereitet, ein Stück Land zu
bestellen und dann eigene Oliven oder Orangen zu ernten und zu
verspeisen." Die Entscheidung der Unesco könne ein Umdenken
anstoßen, passieren müsse das aber im Kopf jedes Einzelnen: "Denn
die Industrie wird das natürlich auch nutzen und sicher viel
'mediterran'-Etikettiertes auf den Markt schwemmen. Da sind jetzt
kritische Verbraucher gefragt."
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