Die „Residencia” droht abzulaufen und
muss erneuert werden. Doch was heißt erneuern – die spanische
Ausweiskarte für Ausländer gibt es in dieser Form überhaupt nicht
mehr. Jetzt ist also der Eintrag in das 2007 geschaffene
Ausländerregister fällig.
Im Kopf steigen Horrorbilder auf. 2005, als die eigene
Residencia noch routinemäßig für weitere fünf Jahre erneuert worden
war, gab es lange Menschenschlangen vor dem Ausländeramt in Palmas
Innenstadt. Teils schliefen die Menschen nachts in Pappkartons auf
der Straße, um am nächsten Morgen frühzeitig Einlass in den
Amtssitz des Gobierno Civil zu ergattern. Dann wurde das
behördliche Prozedere in das Dienstgebäude der „Extranjería” in
Palmas Stadtteil Polígono de Llevant ausgelagert. War ja damals
nicht mit anzusehen gewesen, wie sich die Leute aus aller Herren
Länder in bester Innenstadtlage die Beine in den Bauch standen.
Fortan wanden sich die Warteschlangen außerhalb des
touristischen Blickfeldes. Dann wurde zusätzlich das neue Register
eingeführt, und die Menschenansammlungen verschwanden gänzlich aus
der öffentlichen Wahrnehmung.
Ebenso verschwand der Schalter für Ausländer aus der
Europäischen Union. Diese hatten zeitweise eine privilegierte
Sonderbehandlung durchgesetzt, im Vergleich zu den anderen
Antragstellern aus Lateinamerika, Afrika, Asien. Gerne nahm man als
Zugangsberechtigter den EU-Schalter in Anspruch, auch wenn es wenig
solidarisch wirkte, wenn man an den übrigen Wartenden
vorbeischlüpfte.
Wie auch immer, der Gang am vergangenen Donnerstag zu der
Behörde startet erst kurz vor 11 Uhr. „Geh' bloß nicht schon um
neun hin, sonst musst du da ewig anstehen”, hatte eine Kollegin
geraten. Erste Feststellung: Es ist längst nicht mehr der alte
Eingang, wie damals vor fünf Jahren. Vielmehr handelt es sich um
eine neue Glastüre mit zwei Eingängen: Links steht „Oficina de
Extranjeros” darüber, rechts „Oficina de Policía”. Also doch wohl
links hinein, als Ausländer. Innen warten jene Menschenmassen, die
früher vor den Türen zu harren pflegten. Doch mittlerweile gibt es
Sitzplätze.
Eigentlich ist der Wachmann für die Sicherheit zuständig, aber
durch die ihm tausendfach gestellten Fragen kennt er die internen
Abläufe wohl besser als jeder Beamte. „Ausländer? EU-Bürger? Schon
lange in Spanien? Residencia abgelaufen?”, fragt er ab und folgert:
„Aha, Ausländerregister! Sie müssen in diese Schlange!”
Das bedeutet: Raus aus dem Gebäude und wieder rein durch den
rechten Eingang. Das ist zwar der für das Polizeiamt, doch logische
Zusammenhänge sollte man jetzt nicht erfragen wollen. Gut 20 Leute
warten bereits vor einem Schalter, aber die Schlange baut sich
rasch ab. Nach zehn Minuten grüßt eine junge Beamtin mit
aufreizendem Dekolleté. Das hat etwas unerwartet Unwirkliches. Mit
einem Blick stellt sie fest, dass zuvor das richtige Formular aus
dem Internet ausgedruckt und ausgefüllt worden ist. „Ex 16, sehr
gut!” Auch die Kopie des Reisepasses ist perfekt. Behände reicht
sie das Formular für die Banküberweisung über den Tisch: 10 Euro
sind fällig. Die nächste Bank sei unweit der Verkehrsbehörde.
Hier ein Tipp für alle, die den Gang noch vor sich haben: Die
Sparkassen liegen ein Stück weit weg, und Parkplätze waren schon
bei der Ankunft rar. Ein Moped, ein Fahrrad oder gutes Schuhwerk
samt Schirm im Winter leisten gute Dienste auf dem
Behördengang.
Die Banken: Weder die erste noch die zweite Sparkasse will die
Bareinzahlungen akzeptieren. „Wir machen das nur zwischen neun und
elf”, sagt eine Mitarbeiterin zuckersüß. Der Grund: Der Ansturm der
Ausländerhorden, die ihre Handvoll Euro einzahlen wollen, stört den
allgemeinen Betrieb, und erbringt ohnehin keine Rendite. Daher der
zweite Tipp: Suchen Sie schon vorher nach der Filiale Ihrer
Hausbank. Dort wird das Geld auch nach 11 Uhr von Ihrem Konto an
die Ausländerbehörde überwiesen.
Wieder zurück im Amt, noch ein Blick auf das Zettelchen mit der
Wartenummer, die die flotte Beamtin einem vorhin in die Hand
geschoben hatte: „48” steht drauf. Die roten Ziffern an der Wand
zeigen derweil „25” an. Es ist 11.50 Uhr. Das kann wohl eine Weile
dauern.
Ein Dutzend Sitzbänke mit jeweils vier Hartschalen reihen sich
an der Wand. Das macht 48 Sitzplätze, und fast alle sind besetzt.
Wartende in stickigen engen Räumen stehen besonders unter Stress,
wahrlich keine anheimelnde Atmosphäre. Tipp Nummer drei: Vergessen
Sie nicht ein Buch, um dem Ort lesend entfliehen zu können.
Ein nahezu babylonisches Sprachgewirr liegt in der Luft.
Menschen aller Rassen hocken hier in der Hoffnung auf Dokumente,
Stempel, Siegel, Arbeitsgenehmigungen, Aufenthaltserlaubnisse.
Jeder Mensch ein Schicksal, und manchen steht dieses wie ins
Gesicht geschrieben. Mütter versuchen mit Engelsgeduld ihre Kinder
bei Laune zu halten. Einer kleinen Marokkanerin fällt der Keks auf
den Boden, ein kleiner Chinese trinkt im Kinderwagen bereits aus
dem Fläschchen, ein indischer Säugling wird noch an der Brust
gestillt.
Die niederländisch sprechende Familie hat ihre zwei Kinder in
der Uniform einer englischen Privatschule dabei. In der Wartezeit
werden fleißig Mathe-Hausaufgaben gemacht. Ein weißhaariger
Deutscher nutzt den Moment für Dringliches: „Du, mein Küchenabfluss
ist nicht in Ordnung. Kannst du das mal überprüfen? Da muss man
wohl die Wand aufklopfen”, spricht er in sein Mobiltelefon.
Kaffee aus dem Automaten kostet 35 Cent, eine andere Maschine
spendiert für 70 Cent Schokokekse. Anders als früher, als die
Wartenden noch in der prallen Sonne anstanden, dürfte hier niemand
mehr so rasch in Ohnmacht fallen.
Um 12.15 Uhr sind am Schalter keine Wartenummern mehr zu
bekommen. Wer jetzt noch auftaucht, darf morgen wieder
antanzen.
Frage an den Beamten: „Ist das hier immer so voll?” Antwort:
„Wieso, heute ist einer der ruhigeren Tage. Sonst ist es noch viel
voller.” 12.46 Uhr: Auf der roten Anzeige blinkt die
Wartezahl „38” auf. Meist werden Europäer nach und nach in den
zweiten Saal hineingerufen, wo sie ihre Angelegenheiten erledigen.
Die übrigen Wartenden aus Fernost, Fernsüd, Fernwest sitzen auf den
Stühlen wie angewachsen.
Endlich kommen die „40”-er Nummern an die Reihe. „42”, „43”,
„44” rauschen nur so durch, die Ziffern blinken auf, doch niemand
steht auf, um hineinzugehen. Haben die Leute aufgegeben und sind
auf und davon? Dann, es ist fast 13 Uhr, die „48”. Der Beamte
erledigt die Formalität in wenigen Augenblicken. Ein Klick per
Computer, und der Beleg für die erfolgreiche Registrierung läuft
auf grünlichem Papier aus dem Drucker.
„Die alten Plastikausweise mit Lichtbild – gibt es die nicht
mehr?” Eine sinnlose Frage, doch die Hoffnung stirbt zuletzt.
„Nein”, winkt der Beamte ab, und blickt auf den ihm hingehaltenen
Ausweis, dessen Gültigkeit in wenigen Tagen Geschichte ist. „Den
kannst du dir”, rät der Mann, „in die Schublade legen und als
Andenken behalten.”
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