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Jeder Handgriff sitzt. Und Antonio Reynes Socias auf einem kleinen Stühlchen inmitten eines Chaos aus Schuhsohlen, Stoffen, Lederzuschnitten und fertigen Paaren. Flink wird der Stoff über der Schuhform fixiert, eine Baumwollsohle aufgeklebt, dann die Jute-Sohle. Mit großem Stich und dicker Nadel werden Stoff und Jute zusätzlich fixiert – fertig. „Acht Paare schaffe ich in einer Stunde“, sagt Antonio stolz. Der 57-Jährige aus Campanet fertigt „Alpargatas“, auf Mallorquín „Espardenyas“ genannt – das ursprüngliche Schuhwerk der Mallorquiner. Und hält damit die Ehre eines typischen Inselhandwerks hoch, das schon fast in Vergessenheit geraten ist. Er und ein Mann aus Consell sind die Einzigen, die auf Mallorca noch Jutesohlen von Hand herstellen können, die für das ursprüngliche Modell der Alpargatas typisch ist. Dabei werden Jutekordeln so lange spiralförmig miteinander vernäht, bis eine feste Platte daraus entstanden ist. „Eigentlich verwendete man ganz am Anfang nicht Jute, sondern Espartogras – aber das ist weniger flexibel und drückt nach einiger Zeit an den Zehen. Jute hat mehr Tragekomfort“, weiß Antonio.

Er selbst hat dieses Handwerk vor 25 Jahren von einem alten Mallorquiner gelernt („Dazu muss man vor allem eines: lange in Stille sitzen können“) – zu einer Zeit, in der gerade die letzte Alpargatas-Fabrik in Campanet ihre Tore schloss, eine von einst 16 Stück.

Eine Ära ging zu Ende: „Die Schuhe wurden seit 1860 auf der Insel in Campanet und Consell im großen Stil produziert – jeder hatte sie an den Füßen.“ An ihrer Farbe hätte sich der soziale Status eines jeden ablesen lassen: „Der Baumwoll- oder Leinenstoff, aus dem sie gefertigt sind, war bei Armen entweder Schwarz, Dunkelblau oder Dunkelbraun. Die Reichen trugen helles Beige – wohl weil sie sich bei ihrer Arbeit nicht so schmutzig machten.“

Die Alpargatas, die Antonio fertigt – von den Lieferungen traditioneller Modelle für die Umzüge hiesiger Trachtengruppen einmal abgesehen – sind dagegen oft in bunten Farben gehalten, tragen Muster. „Die hier habe ich nach Entwürfen einer französischen Designerin gemacht – sie sind in den typischen Mallorcafarben gehalten. Witzigerweise kommt das Modell ausnehmend gut bei den Ausländern an“, sagt er und zeigt auf eine Variante mit modischem hohem Schaft. Auch das ist eine Alpargata? „Aber sicher!“ ruft Antonio, der mindestens so schnell spricht, wie er Schuhe macht. Denn der Jute-Stoffschuh entwickelte in der Vergangenheit Unterklassen aus, die der jSituation des Trägers angepasst war. Weil die Bändel der geschnürten Alpargatas beim Radfahren störten, entwickelten die Hersteller den „Ciclista“ – mit Schnalle statt Band. Andere fingen an, die Jute-Sohle mit aufgestrichenem Leim wasserundurchlässiger zu machen. „Regnet es nämlich, ist die Jutesohle wie ein Schwamm.“ Wohl aus diesem Grund kam 1920 ein cleverer Schuhmacher auf die Idee, sie durch den Gummi alter Autoreifen zu ersetzen – die Geburtsstunde der „Patateras“ und der „Porqueras“. Auch sie sind Alpargatas, obwohl sie weder aus Stoff noch aus Jute sind – allen gemein hingegen ist eine Naht ringsum.

Patateras sind breit geschnitten und aus Leder – ihren Namen haben sie, weil sie leicht, stabil und dreckabweisend für die Arbeit auf dem Feld bei der Kartoffelernte wie gemacht waren. Porqueras dagegen waren die Schuhe für die Schweinehirten: Knöchelhoch, damit der Matsch nicht eindringen konnte, dreckabweisend aus Leder, mit Lammfell gefüttert für das lange Stehen an kalten Tagen – sozusagen die Stiefelette der Alpargatas.

„Wer also meint, Alpargatas seien nur etwas für den Sommer, der hat keine Ahnung“, sagt Antonio lachend, „man muss halt das richtige Modell kaufen!“ Allen echten Alpargatas zu eigen sei dagegen immer, dass sie von Hand und aus Naturprodukten gefertigt seien. Die Gummisohlen sind aus den Seitenteilen alter Autoreifen geschnitten („die Seiten liefen nicht auf dem Belag und sind daher noch besser erhalten“) – Antonio verwendet Reifen aus Deutschland, Portugal und Belgien. „Die spanischen kann ich seit ein paar Jahren nicht mehr verwerten, weil mittlerweile ein Eisendraht eingearbeitet ist, der das Gummi unflexibel macht.“ Schaut man genauer hin, sind in den Profilen teilweise noch kleine Steinchen oder Erdreste zu erkennen – „Zehntausende von Kilometern haben diese Sohlen schon hinter sich, das macht aus den Porqueras und den Patateras Schuhe, die Geschichten erzählen können.“ Und die – obwohl sie kaum mehr einer fertigt – immer mehr gefragt sind. Erst vor einem Monat liefen Antonios Alpargatas bei einer Schau der Cibeles in Madrid über den Laufsteg. Bei Weitem nicht das erste Mal: Sechs Jahre lang hat er für Jil Sander gefertigt, „vorne abgeflacht und aus sehr edlen Stoffen“.

Aktuell hat er 30 Modelle im Programm, die er auf den Herbstmärkten vertreibt und Sonderwünsche auf Bestellung, „in die Schweiz, nach Italien und Japan habe ich schon geliefert“. Wer das Durcheinander in der Werkstatt am Ortseingang von Campanet nicht scheut, kann direkt hier sein Wunschmodell bestellen – die Preise liegen zwischen 18 und 30 Euro.