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Zu übersehen und vor allem überhören ist der Generalstreik in Palmas Innenstadt am Mittwochmorgen nicht: Aus den anfangs rund 50 Teilnehmern, die ab neun Uhr mit Trillerpfeifen, Megaphon, weiß-roten „Así, no!”-T-Shirts, grünen UGT-Gewerkschaftswesten, fahnenschwenkend und lautstark durch die Jaime III. ziehen, sind zwei Stunden später mindestens 250 geworden. Bei ihrem Zug zur Plaça Major durch den Carrer Sindicat, vorbei am Sitz der PSOE bis zum Rathaus und zurück zum Borne, gelingt tatsächlich, findet Biel, seit 35 Jahren Gewerkschaftsmitglied, was er mit seinen Genossen erreichen wollte: „Möglichst viele motivieren, mit uns zu protestieren – gegen die größte Verletzung unserer sozialen Rechte und der Demokratie überhaupt in der Geschichte Spaniens.” Nicht weniger große Worte findet auch sein Kollege – „Name? Egal, wir sind alle Genossen!” – für sein Anliegen heute und hier auf der Straße: Es ginge nicht nur um einzelne Forderungen wie Kündigungsschutz, Abfindung oder Arbeitsverträge: „Bei den weitreichenden Einschnitten in unsere Rechte ist unsere Zukunft wie die unserer Kinder bedroht – die Knebelungsmöglichkeiten von Arbeitnehmern heute grenzen an modernes Sklaventum.” Der Enddreißiger arbeitet in einer Finanzbehörde, und dass er seinen Streiktag aus eigener Tasche zahlen muss – „200 Euro zieht man uns vom Gehalt ab” –, nervt ihn schon: „Das sagt doch alles über unser Streikrecht!” Auch wenn die Streikenden durchweg Verständnis zeigen für die, die heute zur Arbeit gehen – Aufkleber auf Fensterscheiben oder Eingangstür kriegen trotzdem alle offenen Geschäfte, die die Truppe passiert: „Cerrado por Huelga General” ist darauf zu lesen (Geschlossen wegen Streik), „Así no, rectificación ya!” (So nicht, Verbesserungen sofort!) oder: „El 29 yo voy”.

Das Polizeiaufgebot ist – im Vergleich zur Zahl der Demonstranten – recht massiv, die Stimmung aber meist entspannt: „Hoy no multes, hoy es huelga!” rufen sie lachend dem Beamten in der gelben Leuchtweste zu, der auf der anderen Straßenseite pflichtbewusst Strafzettel hinter Scheibenwischer klemmt.

Zwischenzeitlich heizt sich die Stimmung auf, werden nicht nur die Trillerpfeifen schriller und lauter. Im Carrer Sindicat etwa, wo es zunächst so ausschaut, als wären viele der kleinen Geschäfte dem Streikaufruf gefolgt. Bei näherem Hinsehen – Verkäufer-Teams erkennt man am Einheitsoutfit – stellt sich indes heraus, dass viele, aus Angst vor Streikposten vor ihrem Eingang, die Rollläden nur kurzfristig zugezogen haben – bis die Demonstranten weitergezogen sind. In einer Bar sitzen Gäste vor ihrem Café con leche und lassen die lautstarke Prozession draußen wie einen Film an sich vorbeiziehen – die verriegelte Tür von einem Kellner „bewacht”. Weniger skurril, eher aggressiv, geht es einige Meter weiter zu, als eine Demonstrantin wütend Aufkleber auf das mit Uhren und Goldschmuck überfüllte Schaufenster eines Juweliers knallt, der sich drinnen verbarrikadiert hat: „Dafür ist genug Geld da”, schimpft sie. Kurz darauf ist sie von einer Handvoll Polizisten umringt, die ihre Personalien aufnehmen wollen, wogegen sie sich lautstark wehrt. „Mich macht diese Polizeipräsenz hier auch wütend”, sagt ein anderer Demonstrant. „Wo war die Polizei vor wenigen Wochen, als sie mehrmals von Passanten angerufen wurde, die die junge Rumänin im Wagen ihres späteren Mörders gesehen hatten. ,Zoff im Hurenmilieu', hieß es damals nur – jetzt ist das Mädchen tot.” Weniger dramatisch geht es vor dem Krimskramladen „Merceria Novedades” zu, wo die Inhaberin, die ihren Laden nicht prophylaktisch verriegelt hat, neben den Aufklebern ärgerlich auch Eier, die geworfen wurden, von den Fenstern kratzt: „Was ist mit unserem Recht, nicht zu streiken? Sollen die Demonstranten doch vor den Politikern demonstrieren, die die Gesetze zu verantworten haben – wir führen sie nur aus!” Vereinzelte „Traidores”-Rufe („Verräter!”) werden vor dem Sitz der PSOE in der Calle de Sindicat denn auch tatsächlich laut: „Geben sich als Sozialisten aus, sind aber keine”, brüllt ein Demonstrant. Politiker lassen sich hier lieber nicht blicken, stattdessen hängt ein riesiges Partei-Poster aus dem Fenster: „Volem. Sabem. Podem.” ist dort auf Katalanisch zu lesen: „Wir wollen, wissen, können.” Mit aller Kraft gegen die Zapatero-Regierung zu wettern, sei natürlich auch schwierig, gesteht Paco, seit über 40 Jahren beim Supermarkt „Carrefour” angestellt und dort auch in der Gewerkschaft sehr aktiv. Mit drei Kollegen ist er heute hier: „Alle anderen arbeiten.” Zu viel Aufstand gegen die Sozialisten, sagt er, käme letztlich nur der PP zugute, die dann „minimale” Verbesserungen der Reformen versprechen würde: „Und alles andere wird nur noch schlimmer für uns.” Unterdessen sind die Demonstranten wieder vor dem „El Corte Inglés” in der Jaime III. angelangt. Diesmal ist der Eingang nicht verriegelt, wie noch am Morgen, als man den Abzug der Streikenden abgewartet hatte. Sieben Polizisten stehen in imposanter Reihe nebeneinander vor dem Eingang, kein einziger Aufkleber findet seinen Weg auf eines der vielen Schaufenster. Und warum nicht? „Das wagt hier keiner,” meint Paco. „So viel zu: Gleiches Recht für alle.“