Den Boden Mallorcas hat keiner geküsst.
Aber die Freude war ihnen merklich anzusehen, als sie aus dem
silbernen Interflug-Airbus in den strahlenden Sonnenschein
Mallorcas hinaustraten: Tränen kullerten, und selbst gestandene
Männer griffen auf der Treppe zum Taschentuch..." Sichtlich bewegt
beschreibt der Mallorca-Magazin-Reporter eines der wichtigsten
deutsch-deutschen Ereignisse auf dieser Insel: Die Ankunft der
ersten Pauschalurlauber aus Ost-Berlin Anfang April 1990. Begrüßt
werden sie mit dem Volkstanz "Ball de Bot", von stolzen Politikern
und einem Blitzlichtgewitter der Fotografen. Es ist der Anfang
einer innigen Liebe zu Mallorca.
20 Jahre später: Das Herz der ostdeutschen Touristen
schlägt immer noch am stärksten für die Baleareninsel. Über die
Hälfte von 1000 Befragten einer Erhebung des Urlaubsportals
Ossiurlaub. de geben Mallorca als liebstes Ziel an. Auch Usedom,
Bulgarien und die türkische Riviera sind begehrt, fallen dagegen
aber deutlich ab.
Generell gilt: Spanien bevorzugt - und zwar von West- und
Ostdeutschen gleichermaßen. Dass es die Westdeutschen mit 38
Prozent noch etwas häufiger hierher zieht als die Ostdeutschen mit
31 Prozent, mag daran liegen, dass Letztere immer noch ein wenig
heimatverbundener sind: Laut einer Studie der Forschungsgruppe
Urlaub und Reisen (FUR) haben Inlandsferien für sie immer noch
einen höheren Stellenwert als bei den Nachbarn im Westen.
Bei Mallorca aber sind sich "Wessis" wie "Ossis" einig. Und das
seit zwei Jahrzehnten ungebrochen. In Sachen Urlaubsplanung ging
die Wiedervereinigung im Zeitraffer vonstatten: Nur fünf, sechs
Jahre dauerte es, bis die Menschen in den neuen Bundesländern sich
in ihren Reisezielen und -bedürfnissen den Westdeutschen fast
komplett angeglichen hatten. Die Reisebüros schossen wie Pilze aus
dem Boden. "Jede Woche gab es zwischen zehn und zwanzig
Neuzulassungen", erzählt Kathrin Spichala von der TUI. Auch für die
Reiseveranstalter bedeutete die Öffnung der Grenze vor allem eines
- die Öffnung eines großen, neuen und kaufwilligen Marktes. Mit
gutem Grund: 1990 blieb nur jeder vierte Ostdeutsche in
Deutschland, gut zwei Drittel der 16 Millionen DDR-Bürger wollten
ins Ausland. Auch heute noch unternehmen zwei Drittel jedes Jahr
eine Ferienreise. Allerdings fehlte es damals den meisten an den
dafür notwendigen finanziellen Mitteln.
Vielen von ihnen kam eine groß angelegte Aktion der
Balearen-Regierung zu Hilfe: 10.000 bedürftige Deutsche wurden zu
einer Woche kostenlosem Inselurlaub eingeladen. Die Idee zu der gut
gemeinten, aber auch wohlweislich sehr werbewirksamen Initiative
wurde Tage nach dem Mauerfall während des Jahreskongresses des
Deutschen Reisebüroverbandes (DRV) in Istanbul von dem damaligen
Balearen-Tourismusminister Jaume Cladera, dem ehemaligen TUI-Chef
auf Mallorca, Wolfgang Graf Pilati und Günter Pölzelmayer, einst
Repräsentant des balearischen Tourismusministeriums in Deutschland,
geboren. "Die meisten, die kamen, waren natürlich aus
Ostdeutschland, aber es wurden auch ein paar Westdeutsche
berücksichtigt, die sich einen Urlaub nicht hätten leisten können",
erinnert sich Pölzelmayer. Ausgesucht wurden die Familien über das
Deutsche Rote Kreuz. "Es gab damals täglich viele leere Plätze in
den Flugzeugen und viele Hotelbetten, die leer blieben - diese
Kontingente wurden umgeschichtet und an diese Urlauber
verteilt."
Denn das Hochgefühl des Mauerfalls ging mit einem Tourismus-Tief
einher: War 1989 schon ein verlustreiches Jahr gewesen, kamen 1990
noch einmal knapp sechs Prozent weniger Besucher auf die Insel -
spanienweit verlor man sogar 18 Prozent der Urlauber. Zum Vorteil
für die DDR-Gäste: Die meisten von ihnen wurden an der Playa de
Palma, in Cala Millor und Cala Rajada untergebracht, es gab
kostenlose Ausflüge, Taschengeld. Das Mallorca Magazin rief
in den ersten Wochen mit Artikeln "So können Sie helfen" seine
Leser zu milden Gaben und Einladungen für die neuen deutschen
Bürger auf.
Freies Reisen war einer der größten Wünsche der DDR-Bürger
gewesen - ein so starkes Bedürfnis, dass noch 1989 Pläne entwickelt
wurden, die sozialistische Republik Albanien zum Mallorca für
DDR-Bürger zu machen.
Das echte Mallorca dann überwältigte die im Sozialismus so knapp
gehaltenen Menschen: "Man war völlig erschlagen von dieser
Ästhetik", erinnert sich Diana Hirsch aus Thüringen, die 1994 auf
die Insel kam, seither hier lebt. Auch Peter Kutschenreuter aus
Gera machte in jenem Jahr das erste Mal Mallorcaurlaub: "Die
Palmen, das Meer, der Strand, die Zitrusfrüchte am Baum, das konnte
ich kaum fassen", erinnert er sich, "und das Spanische faszinierte
mich so, dass ich es gleich lernen wollte." Eine Woche Erholung
habe er anschließend zu Hause gebraucht, "so erschlagen war ich von
den Eindrücken - jeden Tag hatte ich einen anderen Ausflug
gemacht".
Zur Freude der Reiseveranstalter fanden ihre Angebote bei den
Ost-Urlaubern reißenden Absatz: "Geradezu diszipliniert besuchten
sie unsere Infovorträge und genauso diszipliniert kauften sie
anschließend die Ausflugspakete", erinnert sich Ludger Trapp,
Zielgebietsmanager Rewe Touristik auf Mallorca. "Es gab zwei
Gruppen: Die einen kamen super informiert hierher und hatten nur
ein Urlaubsmotto 'Jetzt waren wir so lange eingeschlossen, jetzt
wollen wir auch alles sehen'." Dieser Wissensdurst ist teils heute
noch erhalten: Laut einer Statistik der FUR bleiben "Wessis" lieber
im Hotel, während "Ossis" mehr an Land und Leuten interessiert
sind. Allerdings sei auch hier eine Angleichung zu verzeichnen: In
den letzten Jahren suchten Ostdeutsche im Urlaub auch öfter nur
mehr Entspannung. "Die anderen waren die Vorsichtigen", berichtet
Ludger Trapp weiter. "Sie waren noch sehr vom alten System
geprägten, fragten bei allem nach: zum Beispiel, ob sie in die
Stadt oder an den Strand dürften." Noch ein Kuriosum, in das sich
die meisten Ost-Urlauber verliebten: das Hotelbüfett. So viel auf
den Teller häufen, wie man wollte - und das so oft wie man wollte?
Das musste das Paradies sein.
Ist Ost oder West heutzutage beim Mallorca-Urlaub noch ein
Thema? "Man hört vielleicht noch am Dialekt, woher die Leute
kommen, aber beim Feiern sind sie doch alle gleich", sagt
Schlagerstar Olaf Berger - der Dresdner steht regelmäßig im
"Bolero" an der Playa de Palma auf der Bühne.
"Den Wessis fehlte am Anfang das Fingerspitzengefühl", erinnert
sich die Thüringerin Diana Hirsch an ihre langjährige Zeit als
Reiseleiterin, "manche behandelten sie von oben herab. Dagegen
entwickelten Ossis teilweise eine Ellenbogenmoral: 'Ihr habt ja die
letzten Jahre in der ersten Reihe im Ausflugsbus gesessen, jetzt
sind wir mal dran'. Aber das hat sich Gott sei Dank alles sehr
angeglichen."
Angeglichen hat sich scheinbar auch das Anspruchsdenken:
Ostdeutsche bemängeln immer häufiger den Zustand des Hotelzimmers,
die Zahl ihrer Schadensersatzforderungen an Reiseveranstalter hat
sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt - so eine Studie des
Leipziger Instituts für empirische Forschung.
Nicht zu unterschätzen allerdings scheint die Bedeutung des
Kontaktes von Ost und West im Urlaub für die Wiedervereinigung. "Am
besten läuft die Integration da, wo Ost- und Westdeutsche etwas
miteinander unternehmen", sagt etwa Ost-Experte Klaus
Schroeder.
Und so wächst am Tresen auf Mallorca zusammen, was
zusammengehört ...
Kein Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Noch kein Kommentar vorhanden.