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Mallorca – Im Mai vor drei Jahren ging die Nachricht um die Welt, um danach wieder in Vergessenheit zu geraten: Das größte und älteste Lebewesen der Welt lebt in den Gewässern der Balearen. Es handelt sich weder um einen betagten Riesenhai noch um einen Walfisch-Methusalem, sondern um eine Pflanze. Ein gewaltiges Büschel an Meeresgras: Das Grünzeug der Gattung „Posidonia” bedeckt als ein einziger Pflanzenkörper eine Fläche von 700 Quadratkilometern und ist rund 100.000 Jahre alt. Die genetisch identische Pflanze erwuchs aus einem einzigen Samen, der sich im Jahre 98.000 vor Christus am Meeresgrund zwischen Formentera und Ibiza festsetzte und seitdem durch Ableger ausbreitete. Die Seitenlänge dieses einzigartigen grünen Unterwasserteppichs misst heute acht Kilometer.

Die Meeresbiologin Salud Deudero vom Ozeanografischen Institut in Palma war Mitglied im Forscherteam, das damals das uralte Neptungras aufspürte. Mit Gentests untersuchten die Wissenschaftler, wie die wuchernde Unterwasserwelt verwandtschaftlich aufgestellt war. Das überraschende Ergebnis war ein Nebenaspekt. Ziel der Studie war es vor allem, den Schwund der Posidonia-Wiesen unter Wasser zu untersuchen. Denn Umweltverschmutzung, Fischerei, ankernde Yachten, eingeschleppte Tiere und Pflanzen aus anderen Meeren sowie der Klimawandel setzen der Posidonia gewaltig zu. „Jedes Jahr schrumpft die Fläche der Wiesen im Mittelmeer um etwa fünf Prozent”, sagt Deudero. Das sei viel mehr, als im Verhältnis Regenwälder abgeholzt werden.

Dabei ist die Bedeutung der Posidonia – benannt nach Poseidon, dem griechischen Gott des Meeres – unermesslich. Die Wiesen bieten Lebensraum für rund 1000 Tiere und Mikroorganismen. Manchem Getier dienen sie auch als Nahrung. Das Seegras produziert Sauerstoff im Meer und bindet Kohlendioxid. Das gilt auch für die vielen Muscheln, Schnecken und Krebse, die in den Wiesen leben und das Kohlendioxid umwandeln in kalkhaltige Schalen, Gehäuse und Panzer. Dieses Material bildet, wenn es zerbröselt, den Sand an den Stränden der Balearen. Im Klartext: Ohne Posidonia kein Meeresgetier. Ohne Schnecken und Muscheln keine Pla-yas.

Als Frevel an der Natur empfindet Deudero das Abtragen von Seegrasresten an den Stränden. Es ist das im Herbst abgeworfene „Laub” der Meerespflanze. Die Reste verhindern, dass Sand ins Meere gespült wird. „Die Pflanzenreste sind weder Müll noch Abfall. Man sollte sie liegen lassen. Sie zersetzen sich mit der Zeit und gelangen wieder ins Meer. Das ist der ganz normale Kreislauf der Natur.”