ANJA MARKS
Verbrannte Erde, schwarzer Himmel, verkohlte Holzpfähle – eine
scheinbar endlose, düstere Weite breitet sich vor dem Betrachter
aus. Sie sind riesig, überwältigend, die Bilder des deutschen
Künstlers Anselm Kiefer im Museum Es Baluard in Palma. Man muss
kein Kunstkenner sein, um in den Bann dieser mächtigen Werke
gezogen zu werden.
Eine große Menschentraube steht davor, fast ehrfurchtsvoll, und
lauscht den Erklärungen eines Museumsangestellten. „Jacobs
himmlisches Blut, 2005, aus Blei und Mischtextur auf Leinwand“, so
gibt eine kleine Karte an der Wand neben dem Kunstwerk Auskunft.
Kleine Kinder legen erstaunt die Köpfe in den Nacken, sie verstehen
die Interpretationsversuche des Kunstführers ebenso wenig wie ein
alter Mann, der mit seinem Sohn gekommen ist.
Trotzdem sind alle auf ihre Weise ergriffen von dieser
gewaltigen Darstellungskunst. „Kiefer, ist das für die Deutschen so
was wie der Miró für uns?“ fragt der alte Mallorquiner seinen Sohn.
„Ja, das nehme ich an, sie sagen, es sei ihr wichtigster
zeitgenössischer Künstler“, lautet die Antwort. Dass es
gleichzeitig auch einer der umstrittensten ist – bei einigen Werken
waren sich Kritiker und Betrachter nicht darüber im Klaren, ob die
scheinbar nationalsozialistischen Motive ironisch gemeint waren
oder ob damit faschistoide Ideen transportiert werden sollten –,
diese Idee kommt einem bei der hiesigen Ausstellung der Sammlung
Grothe nicht in den Sinn.
Das Es Baluard schenkte sich selbst diese Retrospektive zum
fünfjährigen Bestehen. Zur feierlichen Vernissage am 30. Januar
erschien Anselm Kiefer zwar nicht, wie erhofft, persönlich. Aber
die Werke des Künstlers, der auch in Häusern wie dem Louvre in
Paris, dem MoMA in New York oder dem Guggenheim Museum in Bilbao
ausstellt, adeln das Museum in Palma. Selten sieht man hier Bilder
dieser Ausdruckskraft. Das größte – „The Secret Life of Plants“
(2001/2002) umfasst 13 Teile. „Mama, guck mal, die Gans“ entfährt
es einem kleinen Jungen. Das weiße Federvieh ziert eine der
riesigen grauen Platten, auf einer anderen hängt ein ausgetretenes
Paar Herrenschuhe. Weiße, vertrocknete Zweige ziehen sich durch das
gesamte Werk, ebenso Namen und Striche, die Sternenkonstellationen
gleichen.
Beim Zurücktreten vor dieser gewaltigen Szenerie wird der Raum
plötzlich zu klein. Anselm Kiefer selbst hatte Bedenken, seine
Bilder hier auszustellen, eben aus diesem Grund. Die Wand im Rücken
ist zu nah, gegenüberliegende Betrachter kommen sich schnell ins
Gehege. Einige Schlaue entweichen auf die Galerie, von hier oben
hat man das gesamte Werk gut im Blick.
Am geschlossenen Ende des Raumes strahlt von Weiten ein
sonnenförmiger Kreis, halb hinter Glas, durch den Raum. Darunter
hängt ein altes Gewand an der Holztafel, Frauenhaare und große,
nummerierte Taschen ziegen die Blicke auf sich. „Shebirat Ha Kelim“
(Der Bruch der Gefäße, 1990), zeigt ein Bild aus der Zeit, als sich
Kiefer mit der Kabbalah, dem jüdisch-christlichen Erbe
auseinandersetzt, so erklärt der Museumsführer.
Dann steht die Gruppe vor rostigen Schiffen aus Blech vor
orangefarbenem Grund. „Voyage au bout de nuit“ (Reise zum Ende der
Nacht, 2002) lautet der französische Titel, der zeigt, dass auch
Kiefers Wahlheimat Frankreich in seine Werke mit einfließt.
An der einzigen Skulptur der Sammlung läuft man bei all den
Monumentalwerken beinahe vorbei: „Frauen der Antike“ heißt die
weiße Figur, die Kiefer erst vor drei Jahren schuf. Das kopflose
Geschöpf krönt ein Stapel alter Bücher. Litten die Frauen früher
vielleicht unter der Last der Gelehrten? Erklärungen werden nie
mitgeliefert, aber gerade das macht den Reiz ja aus.
Mehr als zwei Dutzend Werke des deutschen Künstlers kann man in
Es Baluard bewundern, ein umfassendes Zeugnis der Arbeiten Kiefers
der vergangenen 25 Jahre. Die beeindruckende Ausstellung läuft noch
bis Ende Juli, wer bis dahin keine Zeit findet, ist selber
schuld.
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