Nun widmet sich Garzón den Verbrechen der Militärdiktatur im
eigenen Land und sorgt damit für Irritationen. Kein Wunder: Garzón
rührt am Tabu der jüngeren spanischen Geschichte. Sein Entschluss,
das Schicksal Zehntausender Verschwundener aus dem Bürgerkrieg und
der anschließenden Franco-Diktatur untersuchen zu lassen, droht
jenen „Pakt des Schweigens” aufzubrechen, der nach Francos Tod 1975
den Übergang von der Diktatur zur Demokratie ermöglicht hatte.
Garzóns Vorhaben ist konsequent. Wer vor fremden Türen kehrt,
sollte auch das eigene Haus sauber halten. Dass Angehörige nahezu
70 Jahre nach den tödlichen Repressalien der Franquisten noch immer
Aufklärung über den Tod ihrer Väter und Großväter einfordern
müssen, ist kein Ruhmesblatt für den Rechtsstaat. Es ist nicht
vermittelbar, dass diesen Menschen bislang nicht geholfen wurde,
ihre Toten in den anonymen Massengräbern zu finden. Allein auf
Mallorca wurden mehr als 1000 Menschen bei Nacht und Nebel
hingerichtet und verscharrt.
Es geht den Hinterbliebenen zumeist nicht um Rache, sondern um
die öffentliche und gesellschaftliche Anerkennung, dass ihren
Angehörigen einst Unrecht geschah. Ihr Anliegen ist psychologisch
nachvollziehbar und menschlich angebracht. Von daher verdient
Garzóns Vorstoß Respekt.
Kompliziert wird die Angelegenheit jedoch dadurch, dass nicht
absehbar ist, welche juristischen Folgen sich daraus ergeben.
Bedeutet eine Rehabilitation der Opfer auch, dass ihre einst
enteigneten Besitztümer zurückzuerstatten sind? Was, wenn findige
Anwälte im Anschluss Millionen an Wiedergutmachung verlangen? Wird
am Ende an den Grundfesten des demokratischen Staates gerüttelt,
der bekanntlich der einstigen Diktatur entwachsen ist? Garzón, und
das spüren wohl alle Parteien, macht mit seinem Vorhaben wahrlich
ein Fass auf, das den Politikern noch viel Kopfzerbrechen bereiten
dürfte.
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