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VON JOSEP MOLL MARQUES
Mallorca. Die Gesellschaftsstruktur des kleinen Königreichs Mallorca beim Tode des Königs Jaume II. war verständlicherweise genauso bunt wie seine Zusammensetzung. Die etwa 10.000 Quadratkilometer Fläche des Königreichs waren ziemlich genau zur Hälfte auf die kontinentalen Gebiete in Südfrankreich, die obendrein zersplittert waren, und auf die Inseln der Balearen verteilt. Die Kontinentalgebiete waren zudem sprachlich verschieden, denn die Einwohner vom Roussillon waren alteingesessene Katalanen, während Montpellier zum okzitanischen Sprachtum gehörte. Die Inseln aber waren vor wenigen Jahren (Menorca erst im Jahre 1287) den Mauren entrissen und mit Katalanen besiedelt worden, die praktisch als Kolonisten angesehen werden konnten.

Das war das Königreich, das Sanç beim Tode seines Vaters Jaume II. erbte. Mallorca hatte damals kaum mehr als 70.000 Einwohner, von denen etwa zehn Prozent Sklaven waren. Viele von ihnen waren Mauren, die nach der Eroberung nicht niedergemetzelt oder vertrieben, sondern eben als Sklaven verkauft worden waren und nunmehr für die neuen christlichen Herren schuften durften. Der neue König Sanç war der zweite Sohn von Jaume II., denn sein älterer Bruder, der erstgeborene Jaume, verzichtete auf seine Thronrechte und trat dem Franziskanerorden bei. So wurde Sanç 1302 zum Thronerben und beim Tode seines Vaters 1311 in der Kathedrale von Palma als König von Mallorca gekrönt. Sanç war genauso gutmütig und friedfertig wie sein Vater, und das war in der damaligen rauen Zeit nicht gerade die beste Vorraussetzung, für einen Herrscher in einem kleinen Königreich. Außerdem musste er Diener zweier Herren sein, die sich seit Generationen befehdeten und um die Vormachtstellung im Mittelmeer stritten: Er hatte als König von Mallorca dem katalanischen König und als Herr von Montpellier dem französischen König die Treue zu halten. Mit dem katalanischen König hatte er noch Glück, denn sein Vetter Jaume II., genannt der Gerechte, war selbst ein friedfertiger Mensch, und die beiden Monarchen unterhielten jahrelang recht freundschaftliche Beziehungen. Aber mit dem Herrscher der anderen Großmacht, Frankreich, hatte er schon eher Schwierigkeiten. Trotzdem verstand er es, sein Reich intakt zu halten.

Einmal nur hatte er echte Probleme mit seinem Vetter. Als Sanç sah, dass er aus seiner Ehe mit der Prinzessin Maria von Neapel keine Kinder bekam, ernannte er seinen Neffen Jaume, den künftigen Jaume III., Sohn seines Bruders Ferran, zum Thronfolger. Das war seinem Vetter Jaume dem Gerechten nun doch nicht so recht, denn er meinte, wenn der König von Mallorca keine direkten Nachkommen hätte, dann müsste das Königreich erneut der katalanischen Krone einverleibt werden. Schon sah es so aus, als sollte der Krieg zwischen den beiden Monarchen unvermeidlich sein, aber durch die Vermittlung des Bruders von Sanç, Phillip von Mallorca, und des Papstes Johannes XXII. war es möglich, den Konflikt friedlich beizulegen. Dass er keine legitimen Nachkommen hatte, lag offensichtlich nicht an ihm, denn er hinterließ einen unehelichen Sohn und drei uneheliche Töchter.

Für seine Untertanen war der friedliche Charakter des Monarchen durchaus von Vorteil. Er verstand es nicht nur, durch Abkommen mit Frankreich und Katalonien, die ihn nicht gerade billig zu stehen kamen, aber auch mit maurischen Herrschern in Nordafrika, den Frieden zu sichern und den Wohlstand seines Königreiches zu mehren, sondern auch entscheidende Schritte zu tun, um die sozial Schwachen zu schützen und durch Schaffung von Vertretungskörperschaften die Rechte seiner Untertanen zu erweitern.

So gründete er bereits im Jahre 1313 die sogenannte ,,Caixa dels Mariners”, eine Wohltätigkeitsinstitution, die für in Not geratene Seeleute sorgte. Und zwei Jahre später schuf er mit dem ,,Gran i General Consell” eine Beratungskörperschaft, in der die verschiedenen Stände des Reiches vertreten waren und die über wichtige Belange des Königreiches durch Abstimmung entschied. Anfänglich setzte es sich zusammen aus den ,,Jurats” der Stadt Palma, die das eigentliche Ausführungsorgan der Beschlüsse des ,,Gran i General Consell” – also in etwa vergleichbar mit einer heutigen Regierung – waren, und den gewählten Vertretern der 32 Pfarreien der übrigen Insel.

Mit der Zeit wechselte die Zusammensetzung des ,,Gran i General Consell”, das um die Mitte des 13. Jahrhunderts bis zu 250 Mitglieder zählte, und vor allem die Form der Wahl seiner Mitglieder, die immer für ein Jahr gewählt waren. Zunächst wurden sie von den ,,Jurats” ernannt, aber ab Mitte des 13. Jahrhunderts wurde das System des ,,Sac i Sort” eingeführt: Die ,,Consellers” wurden ausgelost, indem die Namen der wählbaren Bürger in einen Sack getan wurden, und ein siebenjähriger Junge zog dann nach und nach die Zettel. Die so ausgelosten Bürger waren verpflichtet, das Amt anzunehmen.

Diese Art von Parlament bereitete die Gesetze vor, die dem König vorgeschlagen werden sollten, und hatte weitreichende Kompetenzen in den verschiedensten Bereichen, von der Steuerpolitik bis zur Bereitstellung von Streitkräften für die Verteidigung des Königreichs. Seine Beschlüsse mussten von den ,,Jurats” ausgeführt werden. Vor allem aber hatte das „Consell” die Aufgabe, die verfassungsmäßige Ordnung zu schützen. Die Vertretung der Dörfer und Pfarreien außerhalb von Palma, die König Sanç einführte, war deswegen so wichtig, weil dadurch die Möglichkeit geschaffen wurde, die Konflikte zwischen Stadt und Land beratend zu lösen. Dennoch muss man sagen, dass die Stadt immer ein Übergewicht im ,,Consell” hatte, so dass die Konflikte nicht ausblieben.

Diese Art der Vertretung wie alle anderen Sonderrechte Mallorcas wurden erst 1718 vom spanischen König Philip V., dem ersten Bourbonenkönig, abgeschafft, der damit die Mallorquiner dafür strafte, dass sie im Spanischen Erbfolgekrieg bis zuletzt für den habsburgischen Thronprätendenten gekämpft hatten. Dieser ließ sie prompt im Stich, als er zum deutschen Kaiser gekürt wurde.

König Sanç sorgte auch dafür, dass die Streitigkeiten, die mit dem Bischof von Barcelona als Feudalherrn entstanden waren, durch einen Vergleich beigelegt wurden. Der Bischof von Barcelona war an der Eroberung der Insel beteiligt gewesen und hatte also auch bei der Verteilung der Insel einen entsprechenden Anteil bekommen. Die konkurrierende Zuständigkeit von Bischof und König in diesen Gebieten führte oft zu Konflikten, die durch diesen Vergleich, genannt ,,Baronia del Pariatge”, geregelt wurden.

König Sanç litt an Asthma, und deshalb residierte er oft in dem Königspalast zu Valldemossa, der deshalb noch heute als Palast des Königs Sanç bekannt ist. Im Sommer ließ er sich zu einer Sommerresidenz tragen, die er auf dem Gipfel des Teix bauen ließ. Während einer Reise in die Kontinentalgebiete seines Königreichs starb er im Jahre 1324 in der Cerdanya, die heute zu Frankreich gehört, und wurde in der Kirche des Heiligen Johannes in Perpignan begraben.

Der Autor starb am 26. August 2007. Zum Gedenken an den Politiker und Publizisten wiederholt MM die im Jahre 2001 entstandene Serie über Mallorquiner, die
Geschichte machten.