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Ausgerechnet auf Mallorca begann vor knapp 30 Jahren das düsterste Kapitel bundesrepublikanischer Geschichte. Mit der Entführung der Lufthansa-Ma schine „Landshut” am 13. Oktober 1977 wurde der Deutsche Herbst heiß, eskalierte der sich seit Wochen hinziehende Nervenkrieg zwischen den deutschen Staatsorganen und der Roten Armee Fraktion (RAF). Palästinensische Terroristen eilten ihren deutschen Kampfgefährten für eine gewaltsame Aktion zu Hilfe, elf inhaftierte Mitglieder der ersten RAF-Generation sollten freigepresst werden. Das palästinensische Terrorkommando entführte das Flugzeug kurz nach dem Abheben in Palma. An Bord befinden sich 82 Passagiere, die meisten heimkehrende Mallorca-Urlauber, aber auch Spanier und deutsche Residenten sowie fünf Besatzungsmitglieder. Der höllische Irrflug von Europa und Asien nach Afrika findet sein Ende am 18. Oktober im somalischen Mogadischu.

Die Fakten sind heute dokumentierte Historie und zum Jahrestag des Geiseldramas Medienthema Nummer eins: Die „Landshut”-Geiseln werden befreit, drei der vier Flugzeugentführer erschossen. Parallel dazu beging im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart–Stammheim die oberste Führungsriege der RAF, die Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan–Carl Raspe, Selbstmord. Einen Tag später wurde der seit 5. September von der RAF entführte Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer in einem Auto im Elsass ermordet aufgefunden.

Der Kreis schließt sich. Auf Mallorca lebt heute jener Mann, der dafür sorgte, dass die Befreiung der „Landshut”-Geiseln in Mogadischu unblutig verlief; zumindest was die Geiseln betraf. Wolfgang Salewski zog damals im Hintergrund die Fäden. Der heute 64-Jährige war in Mogadischu als unabhängiger Berater führender Kopf der Verhandlungsgruppe des Bundeskriminalamtes (BKA), die seit der Entführung Schleyers mit den Forderungen der Terroristen befasst war.

30 Jahre nach dem Ende der „bleiernen Zeit”, wie die verhängnisvollen Tage des Herbst 1977 auch genannt werden, spricht der Zeitzeuge im Hintergrund gegenüber MM erstmals über seine eigenen Gedanken zum Themenkomplex Baader-Meinhof, RAF, Mogadischu, Stammheim. Insbesondere die neue These, die der RAF-Experte und Chefredakteur des „Spiegel”, Stefan Aust, zu Wochenbeginn sowohl im Nachrichtenmagazin als auch in der ARD-Dokumentation vorbrachte, die Gefangenen in Stammheim seien in der Todesnacht vermutlich abgehört worden, ohne dass die Justizbehörden den Suizid verhinderten, bewertet Salewski als völlig abwegig. „Es ist mit Sicherheit nicht abgehört worden. Und wenn, dann hätte ich es erfahren.” Salewski geht sogar weiter und sagt: „Die Gefangenen in Stammheim abzuhören, dass hätten wir gerne gemacht. Aber es war aus rechtlichen und technischen Gründen gar nicht möglich.”

Auch die Ausführungen Austs, die Gefangenen in dem Hochsicherheitsgefängnis hätten sich mit Hilfe von Kabeln und Plattenspielern eine eigene elektronische Sprechanlage zusammengebastelt, verweist Salewski in das Reich einer gut gestrickten Legende. „Die Häftlinge in Stammheim haben sich untereinander mit Klopfzeichen verständigt. Sie arbeiteten nicht mit Elektrokabeln. Sie hatten ihre eigene Klopfzeichensprache.”

Wolfgang Salewski bewertet es als „Dilemma”, dass die Thesen von Aust vor allem auf Angaben des früheren RAF-Mitglieds Peter-Jürgen Boock basierten. „Herr Boock erfindet immer wieder etwas Neues. Er ist der große Märchenerzähler der RAF. Das ist seine Art, erst die Fakten und dann die Ermittler durcheinanderzubringen.”

Wolfgang Salewski ist kein Mann, der sich bevorzugt in den Vordergrund spielt. Der ehemalige Polizeipsychologe und Industriemanager wägt seine Worte sorgsam ab, bevor er über Extremsituationen spricht. 66 Entführungen und Geiselnahmen hat Salewski im Laufe seines Lebens gelöst. Und diese – bis auf die erschossenen Entführer von Mogadischu – stets unblutig. Über sich selbst urteilt Salewski mit nüchtern-analytischer

Trockenheit: „Ich war damals die Allzweckwaffe für Außergewöhnliches.” Im Falle der RAF hielt er sich in der Vergangenheit mit Äußerungen weitgehend zurück. Gut 15 Jahre hatten er und seine Familie unter Polizeischutz leben müssen. Heute sagt Wolfgang Salewski: „Der Selbstmord von Stammheim, das war das Allerschlimmste, was passieren konnte.” Im Rückblick erinnert sich Salewski, wie etwa Gudrun Ensslin dem BKA-Beamten Alfred Klaus sagte, wenn es mit dem beabsichtigten Austausch der RAF-Gefangenen gegen Schleyer und die „Landshut”-Geiseln nicht vorangehe, dann würden die Stammheimer laut Ensslin dem Staat die Verantwortung für sie aus der Hand nehmen. „Alle Fachleute aus dem Bereich wussten, das heißt: Die drohen mit Selbstmord”, sagt Salewski. Seine Leute im BKA hätten daraufhin die Justiz in Baden-Württemberg gedrängt, „bitte, schaut, dass das nicht passiert”.

„Wenn man das ernst genommen hätte, was es an Gutachten aus dem BKA gab, dann hätte der Selbstmord von Baader und Ensslin verhindert werden müssen.” Allerdings herrschte nach Salewskis Worten zum damaligen Zeitpunkt in West-Deutschland eine Stimmung vor, in der die Selbstmorddrohung der Terroristen kaum auf Resonanz, gar Betroffenheit stieß. Die Einstellung von vielen lautete: „Was soll's?! Das ist einer weniger.”

Dass der Selbstmord von Stammheim gelang, habe eine lange Vorgeschichte. Sie begann bereits mit dem Einschmuggeln der Waffen in die Zellen des Hochsicherheitstraktes. Die Justiz habe sich von den Rechtsanwälten der RAF immer wieder hinters Licht führen lassen, sagt Salewski. „Und klar, die haben das Geschäft clever betrieben.”

In diesem Zusammenhang erzählt Salewski die Begebenheit von einem Wachmann, der nach Hause ging und seinem Sohn zum Geburtstag ein rotes Fahrrad schenkte. Am nächsten Tage habe Andreas Baader zu dem Wachmann gesagt: „Ein schönes Fahrrad hat dein Sohn bekommen.” Nachvollziehbar, dass der Beamte Angst bekam. Solche Vorfälle seien laufend vorgekommen. Die Justizbeamten befanden sich demnach unter ständiger Beobachtung anonymer RAF-Sympathisanten. Den Angestellten in Stammheim will Salewski gleichwohl keinen Vorwurf machen, den Selbstmord nicht verhindert zu haben. „Das Wachpersonal hat seine Pflicht getan, wenn auch nicht gerne.”

Die Folgen der Selbsttötung der Stammheimer seien gravierend gewesen. Allein die Szenen, die sich bei der Beerdigung von Baader und Ensslin in Stuttgart abspielten, haben der RAF nach Salewskis Worten 10.000 bis 20.000 neue Sympathisanten zugeführt. „Das war eine ganz, ganz clevere Tat.”

Ein weiterer, für Salewski persönlich wichtiger Punkt ist die Rolle des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt in Zusammenhang mit der Schleyer-Entführung. Schmidt vertrat in der Auseinandersetzung mit der RAF eine harte Linie, die einen Austausch der Häftlinge gegen den Arbeitgeberpräsidenten ausschloss. „Es ist in der Öffentlichkeit oft gesagt worden, Schmidt habe das Leben von Schleyer geopfert”, sagt Salewski, um diese Aussage dann vehement zu verneinen. „Dem ist überhaupt nicht so.” Seit der Entführung Schleyers prüften Salewski und sein Team täglich die „psychologische Lage”, analysierten die Überlebenschancen Schleyers. „Ich habe jeden Tag gesagt, Schleyer geht es sicherlich nicht gut, aber er ist auch nicht lebensgefährlich bedroht.”

Das sei die Grundlage gewesen, um bei den Verhandlungen mit den Terroristen Zeit zu gewinnen und nach dem Schleyer-Versteck zu fahnden. Zumindest bis zur Entführung der „Landshut” habe dieses Konzept nach Salewskis Urteil fünf Wochen gut funktioniert. „Und wenn es irgendwo etwas gegeben hätte, wo ich gesagt hätte, wir sind an der Wand, wir kommen nicht mehr weiter, dann hätte sicherlich der Krisenstab der Bundesregierung einen anderen Weg gesucht.”

Der Zeitgewinn zahlte sich bekanntlich nicht aus. Unmittelbar nach der Schleyer-Entführung durchkämmten Tausende von Polizeibeamten den Großraum Köln, wo der Arbeitgeberpräsident am 5. September nach einem Schusswechsel - vier seiner Begleiter kamen im Kugelhagel ums Leben – von dem RAF-Kommando verschleppt worden war. Doch dem entscheidenden Hinweis auf das Versteck in einem Hochhaus in Erftstadt bei Köln gingen die Ermittler aufgrund einer Fahndungspanne nicht nach. „Wir hätten Schleyer jederzeit kriegen können, wenn man die Spuren richtig ausgewertet hätte. Wir hatten alles. Nur die entscheidende Spur – ein Polizist hatte bereits vor der Wohnungstür gestanden diese Meldung ist verschwunden.”

Nach der Geiselbefreiung von Mogadischu befand sich Salewski auf dem Rückflug hoch über Kairo, als die Nachricht vom Selbstmord der Stammheim-Häftlinge eintraf. Bis dahin hatte er noch seinen Mitarbeitern gesagt, sie sollten sich keine Sorgen um Schleyer machen. „Solange Baader lebt, ist das eine Garantie für Schleyer.” Die RAF-Terroristen würden alles versuchen, um Andreas Baader freizubekommen. „Die werden dem Schleyer nichts tun, weil sie damit ihr Faustpfand aus der Hand geben.” Doch mit dem Selbstmord von Stammheim änderte sich die Lage schlagartig: „Ein toter Baader, eine tote Ensslin, das hatte zur Konsequenz, dass Schleyer umgebracht wird.”

Im Nachhinein hat sich Salewski oft gefragt, ob die Geschichte nicht einen anderen Verlauf genommen hätte, wenn er statt nach Mogadischu entsandt zu werden, bei der Verhandlungsgruppe in Deutschland weitergearbeitet hätte. „Ich habe mir später immer überlegt, wärst du in Bonn geblieben; vielleicht, vielleicht hättest du mit deinen Ideen da noch einmal mithelfen können...” Doch als er nach Mogadischu aufbrach, sei die Verhandlungslage überschaubar gewesen. „Ich war sehr, sehr optimistisch, dass wir Schleyer freikriegen. Es war eine ganz stabile Situation. Nur Stammheim hätte nicht passieren dürfen.”