KARL-HEINZ
EIFERLE
Die Technoschuppen sind verstummt, kein Chill-Out beschallt die
Playas, geflirtet wird nur noch inselintern. Die alljährlich
zelebrierte Mega-Sommer-Party ist vorbei. Der lange Winterschlaf,
der fließend in die Frühjahrsmüdigkeit übergehen wird, steht
bevor.
Bis Juni sind die meisten Bars und Läden verrammelt. Wirte, die
bis Oktober nicht genug umgesetzt haben, müssen ihr Geld
anderweitig verdienen. In keiner spanischen Stadt geht der Sommer
so abrupt zu Ende wie in Ibiza. Und das völlig wetterunabhängig.
Eine Nebensaison gibt es auf Mallorcas südwestlicher Nachbarinsel
nicht. 200 Prozent Rambazamba oder Postkartenidyll.
Bis zu den ausgelassenen Partys und Strandgelagen im kommenden
Jahr bleibt wieder viel Zeit, ein beschauliches Städtchen mit
vielen Gesichtern zu entdecken. Und obwohl Eivissa, wie die 30.000
Einwohner die Insel und die Stadt nennen, nur zwei Stunden mit der
Schnellfähre von Palma entfernt ist, scheint es eine andere Welt zu
sein. Ibiza ist anders. Auch im Winter. „Keine Eile, du bist auf
Ibiza”: Ob der Aufkleber auf den Tischen einer Teestube mehr die
lahme Bedienung entschuldigen oder eher über die Mentalität der
Ibizenkos philosophieren möchte, ist unklar. Hektik, so viel ist
sicher, bleibt die nächsten Monate auf beiden Seiten des Tresens
ein Fremdwort.
Wer Ibiza im Sommer kennt, mag gar nicht glauben, wie breit
selbst die engsten Altstadtgassen ohne Tische, Stühle und
Menschengedränge sein können. Das Auge hat nun Zeit, sich davon zu
überzeugen, dass die historische Altstadt zu Recht von der Unesco
zum Kulturgut der Menschheit deklariert worden ist und wird nicht
mehr durch exhibitionistische Zurschaustellungen der fleischlichen
Art abgelenkt.
Wer mit dem Schiff im Hafen ankommt, steigt mitten im Herzen der
Stadt aus. Noch. Irgendwann soll der Fähr-Anleger an eine entfernte
Mole verbannt werden. Dann ist der Charme der Ankunft – unabhängig
von der Jahreszeit – dahin.
Schon in der zweiten Linie hinter dem Fährhafen beginnt das
Labyrinth aus Gassen und Gässchen. Groß verlaufen kann man sich in
der Altstadt aber nicht.
Die Calle de la Virgen, Europas populärste Gay-Piste, ist
ausgestorben und fast jungfräulich. Alte Frauen sitzen vor ihren
Häusern, streicheln die Katzen und erzählen sich Geschichten, in
denen die braun gebrannten Muskelshirt-Träger und auch die langen
Menschenschlangen vor den Tattoostudios keine Rolle spielen. Oder
vielleicht doch.
Durch das nicht zu verfehlende Stadttor erobert man die viele
Jahrhunderte lang nicht einnehmbare Dalt Villa (Oberstadt), die
immer noch von einer meterdicken Mauer geschützt wird. Auf dem Weg
hinauf zur imposanten Kathedrale ergeben sich prächtige Blicke auf
die Unterstadt, den Hafen und das Meer.
Und auch der Pfarrer vermisst den Sommer nicht. Seine Schäfchen
entsprechen endlich wieder der für ein Gotteshaus üblichen
Kleiderordnung.j
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