Straßen verbinden – zumindest in den meisten Fällen. Anders ist
das in Vilafranca. Soweit die Erinnerung der Ältesten in dem Ort
bei Manacor zurückreicht, schnitt die Landstraße nach Palma die
2500-Seelen-Gemeinde in zwei Teile. 22.000 Fahrzeuge rollten
täglich durch Vilafranca, sagt Bürgermeister Jaume Sansó: „Es war
nicht mehr auszuhalten. Die älteren Leute trauten sich nicht mehr
über die Straße.” Für sie war das Dorfleben unterteilt in hier und
dort die Straße als „künstliche Grenze”, wie Sansó sagt.
Jetzt ist alles anders. Seit dem Bau der Autobahn Palma-Manacor
ist in Vilafranca vieles nicht mehr so wie vorher. Seit der
Durchgangsverkehr über die nagelneue Umgehungsstraße rollt, kommen
täglich nur noch 1500 Fahrzeuge durch den Ort. „Das soziale Leben
hat sich stark verbessert”, sagt der Bürgermeister.
Aber nicht alle Dorfbewohner sind froh über die neue
Beschaulichkeit. Die Händler, die ihre Waren am Wegesrand den
durchfahrenden Touristen feilboten, klagen über einen dramatischen
Umsatzrückgang. Ebenso wie die meisten Gastwirte an der wichtigsten
Ost-West-Verbindung der Insel. Laut einer Umfrage des Verbandes der
kleinen und mittleren Unternehmer hat die Gästezahl in 60 Prozent
aller Lokale abgenommen, die bisher direkt an der Straße lagen.
„Jetzt sind die Zufahrten zu den meisten Restaurants schlechter und
die Fahrtzeit hat sich deutlich verkürzt – viele Autofahrer essen
jetzt nicht mehr unterwegs, sondern zu Hause”, sagt Juan Miralles
von dem Unternehmerverband.
Weit mehr als 200 Millionen Euro hat die Balearen-Regierung in
der laufenden Legislaturperiode ins mallorquinische Straßennetz
gesteckt. Darunter sind Großprojekte wie der Ausbau der einst
gefürchteten Unfallstrecke nach Manacor, die Autobahn nach Peguera,
die Verbreiterung der Verbindung Palma-Inca, der Sa Mola-Tunnel
nach Port de Sóller. Aber nicht nur das: Hier eine Begradigung,
dort eine Verbreiterung – unzählige Kleinprojekte haben dafür
gesorgt, dass Mallorca immer enger zusammenwächst.
War etwa die Fahrt von Sa Ràpita nach Llucmajor lange eine
Abenteuerreise, ist sie heute geradezu bequem. Ein mallorquinischer
Steuerberater, der dort einst nur die Wochenenden verbrachte,
pendelt heute täglich nach Palma. Was früher undenkbar war, lohnt
sich heute. Kein Wunder, dass sich dieser Zeitgewinn auch auf dem
Immobiliensektor niederschlägt.
Laut der mallorquinischen Architektenvereinigung entstehen die
meisten Neubauten schon längst nicht mehr in Palma, sondern im
Umland. Zogen Bauarbeiter vor zehn Jahren noch jedes zweite neue
Haus in der Inselmetropole in die Höhe, ist es heute nur noch jedes
vierte. Vor allem Calvià, Marratxí, Manacor und Campos sind
plötzlich für Immobilienunternehmer interessant – allesamt Orte,
die durch den verstärkten Straßenbau der vergangenen Jahre näher an
Palma herangerückt sind. In Sa Pobla hat sich die Zahl der
Baugenehmigungen innerhalb von drei Jahren auf 317 verdreifacht.
Seit die Nordroute ausgebaut ist, sind es von Sa Pobla nur noch 25
Minuten bis nach Palma.
„Dort, wo die neuen Straßen vorbeiführen, gibt es einen
Immobilienboom”, sagt Miquel Ángel March vom Umweltverband GOB
(Grup Balear d'Ornitologia i Defensa de la Naturaleza). „Das
Verkehrsmodell auf Mallorca ist völlig verfehlt, weil es dem
Autoverkehr klar die Priorität gibt.” March kritisiert den „Wahn,
immer schneller von einem Ort zum anderen kommen zu wollen” und
fordert ein Umdenken der Politik: „Der öffentliche Nahverkehr muss
endlich gefördert werden.”
Auch in Vilafranca ließen die Auswirkungen der neuen Straße
nicht bis zu deren Einweihung auf sich warten. Schon weit vor
Baubeginn interessierten sich plötzlich Immobilienunternehmer für
Bauland in dem für seine Melonen berühmten Ort. „Seit 2005 häuften
sich die Anträge auf Baugenehmigungen”, sagt Bürgermeister Sansó.
Die Grundstücks- und Immobilienpreise schossen innerhalb weniger
Monate in Höhen, die wohl niemand für möglich gehalten hatte, als
Vilafranca noch im mallorquinischen Hinterland lag. 127 Wohnungen
in mehreren Dutzend Mehrfamilienhäusern wurden dort in kürzester
Zeit aus dem Boden gestampft. „Die Ersten ziehen jetzt ein.”
Mit 400 neuen Bürgern rechnet Sansó, der allerdings nicht
tatenlos zugesehen hat, wie sich Vilafranca innerhalb kürzester
Zeit grundlegend veränderte. Im Mai krempelte er die örtliche
Bauordnung um: Seitdem müssen Baugrundstücke pro Wohneinheit statt
65 nun 150 Quadratmeter groß sein. Das hat dazu geführt, dass sich
der Neubau von Mehrfamilienhäusern dort nicht mehr lohnt. Seit Mai
ist nicht eine einzige Baustelle mehr dazu gekommen.
Kein Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Noch kein Kommentar vorhanden.