Albert Vigoleis Thelen (1903-1989), der Schriftsteller und
Übersetzer ist bis heute „der große Unbekannte der deutschen
Literatur”. Das schrieb Jürgen Pütz, der als derzeit bester Thelen–
Kenner in Deutschland gilt. Er hat über Thelen promoviert und zwei
Bücher über ihn publiziert. Thelen blieb weitgehend unbekannt,
obwohl sein Roman „Die Insel des zweiten Gesichts” als eines der
großen literarischen Werke des 20. Jahrhunderts gilt.
Doch das soll sich nun ändern: In Palma wird am 15. April
offiziell eine Gedenkplakette enthüllt, die, unweit der von Thelen
gemieteten Wohnung in der Altstadt, an die Lebensjahre des
Schriftstellers auf Mallorca erinnern wird. Der spanische
Thelen-Experte Germà García i Boned frohlockt: „Es war an der Zeit.
Thelen hat sich um die Insel verdient gemacht, und man hat es ihm
nie gedankt.”
Mit einer unnachahmlichen sprachschöpferischen Fabulierlust
verarbeitet Thelen in seinem Meister-Roman die Jahre, in denen er
von 1931 bis 1936 auf Mallorca lebte. Dabei machte ihn das Buch bei
Ersterscheinung im Jahr 1953 im kleinen Kreis berühmt. Thelen
selbst sagte dazu: „Ich schreibe, wie die Hand mich führt.”
Das Buch bescherte dem damals schon 50jährigen Debütanten den
Fontane–Preis als Ehrung. Es ist ein bitterböser und humorvoller
Schelmenroman. Thelen schildert das heute bereits vertraute
Mallorca deutscher Touristen: „Im Städtchen lärmte bereits das
Herrenvolk”, schrieb er. Siegfried Lenz und Paul Celan lobten das
Buch gleichermaßen; Konrad Adenauer soll es ebenso gelesen haben
wie Thomas Mann und Martin Walser. Bei Thelens Auftritt bei der
damals tonangebenden „Gruppe 47” erntete er wenig Verständnis für
seine Sprach–Opulenz.
Hans–Werner Richter sprach von „Emigrantendeutsch”. Thelen
selbst soll dazu gesagt haben: „Meine Sprache ist gerade dadurch,
dass ich Deutschland verlassen haben, reicher geworden.” Und
wirklich – man findet kaum ein Werk dieser sprachlichen
Vielschichtigkeit. Thelen war ein Worte–Sammler und riskierte auch
Wortneubildungen, zum großen Vergnügen seiner Anhänger. Dazu
Siegfried Lenz: „Der Philologe Vigoleis bereichert sie (seine
Prosa) sogar mit der Entlehnung von Fachausdrücken aus der
Nudelindustrie.”
Später wurden Autor und Buch schnell vergessen. Zu Unrecht, wie
viele finden. „Es soll Linke geben, die Urlaub auf Mallorca machen,
ohne den 900–Seiten Roman im Gepäck zu haben”, schrieb Günter
Platzdasch in einer Würdigung zum 100. Geburtstag des
Schriftstellers. Und man sollte das Buch wirklich in der Tasche
haben, sei es auch nur zum reinen Vergnügen.
Auf Mallorca verdingten Thelen und seine schweizerische Frau
Beatrice sich eine Weile als Fremdenführer: „Für die Kathedrale ist
eine halbe Stunde vorgesehen. Ich bitte die Gruppe, erst einmal den
kolossalen Raum auf sich wirken zu lassen. Alle tun das, die Hälse
recken sich wie bei Hühnern, über denen der Habicht schwebt.
,Einfach kolossal!* – ,Nicht wahr?* Dann kommt die erste Frage:
warum die Säulen, die das Mittelschiff tragen, nach innen leicht
geneigt seien? Verdammt, das hatte ich noch nie bemerkt, sie stehen
tatsächlich schief. Der Turm von Pisa blitzt durch mein Hirn, kann
ich mit dem hier was anfangen? Eine partielle Inklination? – und da
bringe ich erst einmal den Zimt, der immer weiterhilft: ,Ihre Frage
ich wichtig und zeugt von einem ungewöhnlichen
Kombinationsvermögen. Vermutlich sind Sie Kunsthistoriker und
werden als solcher eigene Wege gehen. Der junge Mann bejaht, da
muss ich auf der Hut sein.”
Thelen wird am 28. September 1903 als Sohn katholischer Eltern
in Süchteln bei Viersen geboren. Er absolviert ein humanistisches
Gymnasium, macht eine Schlosserlehre, wird technischer Zeichner und
Schüler der Textilfachschule in Krefeld und studiert schließlich in
Köln Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte. 1928 lernt er
seine spätere Frau und Muse Beatrice kennen. 1931 bis 1936 dann
Mallorca, das er mit Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges wieder
verlassen muss: Beatrice und er fliehen vor den spanischen
Falangisten und den deutschen Nationalsozialisten über Frankreich
in die Schweiz. Zwischen 1939 und 1947 leben die Thelens im Norden
Portugals auf dem Landgut des Mystikers Teixera de Pascoaes, dessen
Schriften Thelen übersetzt und kommentiert.
Ab 1947 dann Wohnsitz Amsterdam. In dieser Zeit wird Thelen nach
und nach zum Außenseiter der Literatur. Als sein in Holland
spielender Roman „Der schwarze Herr Bahßetup” 1956 vom Verleger in
den Ramsch gegeben wird, zieht sich „Don Vigo” aus der
literarischen Öffentlichkeit zurück. Er schreibt zwar unermüdlich
weiter, publiziert jedoch kaum etwas und gilt praktisch als
verschollen.
Zwischen 1960 und 1973 leben Vigoleis und Beatrice als Verwalter
auf einem schweizerischen Landgut, 1962 war ihm eine Rente als
Verfolgter des Naziregimes bewilligt worden. Später kommen trotz
allem auch Ehrungen, etwa die Verleihung des Professorentitels des
Landes Nordrhein– Westfalen 1984 und das Bundesverdienstkreuz 1985.
Ein Jahr später übersiedelt das Ehepaar auf Kosten der Stadt
Viersen in das Dülkener Seniorenheim St. Cornelius. Dort stirbt
Thelen am 9. April 1989. Thelen bezeichnete sich selbst häufig als
„Meister der verpassten Gelegenheiten”, als „Oberunglücksvogel und
Erzweltschmerzler”.
„Glücklichsein ist eine Kunst”, hat er geschrieben. „Die
wenigsten Menschen beherrschen sie. Wirklich glückliche Menschen
sind so selten wie Christen, die an Gott glauben.”
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