Hemmungen? Beate (45) schüttelt den Kopf. Nackt baden und sonnen
ist für sie ein „ganz tolles Gefühl”. Die Deutsche liebt es, zu
Hause am eigenen Pool oder an einem der Nudistenstrände Mallorcas
die Kleider abzustreifen. „Da zwickt nichts, da stört kein Gummi.
Außerdem finde ich nahtlose Bräune schöner als
Bikini-Streifen.”
Beate gehört zu einer wachsenden Zahl von Menschen, die gerne
auf Badehose oder- anzug verzichten, wenn die Strandtasche gepackt
wird. Mallorca ist vielleicht kein Nudistenparadies wie Formentera,
aber auch hier finden FKK-Freunde eine ganze Reihe von geeigneten
Stränden .
Die Zeiten, in denen die Nackten noch als „Erregung öffentlichen
Ärgernisses” oder als Angriff auf die Moral geächtet wurden, sind
in Spanien gar nicht so lange vorbei. Noch in den 80ern, den Jahren
der sexuellen Revolution, konnte bestraft werden, wer sich nackt in
der Öffentlichkeit zeigte. 1989 wurde das Gesetz novelliert, und
heute ist das Adamskostüm zumindest theoretisch an allen Stränden
erlaubt.
In der Praxis suchen sowohl die Nackten als auch die Angezogenen
ihresgleichen. Mit Schildern ausgewiesene Nudistenstrände gibt es
im Gegensatz zu anderen Orten in Spanien auf Mallorca jedoch
keine.
Wo das Nacktsein erlaubt und sogar gewünscht ist, spricht sich
meist durch Mund-zu-Mund-Propaganda herum. In der Regel liegen die
Nacktbadestrände eher an entlegenen oder schwer zugänglichen
Stellen – zum einen, um ungestört zu sein, zum anderen, weil die
Naturisten unter den Nudisten den Kontakt zur Natur suchen.
Den Unterschied zwischen Nudisten und Naturisten formuliert
Francisco Sastre von der „Asociación Naturista Balear” so: „El
nudismo es una forma de estar, el naturismo es una forma de ser.”
Soll heißen: Nudismus sei ein vorübergehender Zustand, Naturismus
eine Lebensform, die durch eine entsprechende Philosophie begründet
wird. „Der Naturismus ist eine Lebensart in Harmonie mit der Natur.
Sie kommt zum Ausdruck in der gemeinschaftlichen Nacktheit,
verbunden mit Selbstachtung sowie Respektierung der Andersdenkenden
und der Umwelt”, beschreibt die Internationale Naturisten
Föderation.
In Spanien gibt es etwa eine halbe Million Nudisten. Zu ihnen
zählen auch die Naturisten. Der Naturisten-Verein auf den Balearen
besteht seit vier Jahren und zählt derzeit rund 20 Mitglieder.
„Entstanden ist er aus einer Gruppe von Freunden”, sagt Francisco.
Erst die Mitgliedschaft zu einem Verein ermögliche den Zugang zu
den Naturistencamps, die es auf dem spanischen Festland und in
anderen Ländern gibt. In diesen Ferienzentren spielt sich das ganze
Leben ohne Kleidung ab: beim Baden, Sonnen, Essen gehen, Einkaufen,
Sport. Auf den Balearen gibt es solch ein Zentrum nicht.
Die Naturisten propagieren das Nacktsein in der Gemeinschaft als
natürliche, gesunde und soziale Lebensweise. Mit den Kleidern, so
Francisco, werfen die Naturisten gleichzeitig auch alle
Statussymbole ab. „Ohne Kleider sind alle gleich. Da fragt keiner,
ob du arm bist oder reich oder welchen Beruf du hast.” Wer sich
nackt begegne, gehe mit mehr Respekt und ehrlicher miteinander
um.
Mit Erotik habe die gemeinsame Nacktheit nichts zu tun, betont
Francisco. Auch gebe es unter den Naturisten keinen Körperkult:
„Wir streben nicht nach Schönheit. Die Menschen lernen eher, sich
so zu akzeptieren, wie sie sind.” „Kinder, die mit dem Nacktsein in
der Gemeinschaft anderer aufwachsen, entwickeln auch als Erwachsene
keine Schamgefühle”, sagt er. Wer nicht von klein auf daran gewöhnt
ist, müsse erst einmal „Barrieren im Kopf abbauen”.
Auch Beate kann sich noch gut erinnern, wie sie das erste Mal in
der Öffentlichkeit die Hüllen fallen ließ. „Wir waren an einem
Strand in Formentera. Da gibt es ja fast nur Nudistenstrände. Ich
habe mich umgeschaut und nur Nackte um mich herum gesehen. Da habe
ich ganz verschämt auf meiner Decke den Badeanzug ausgezogen.
Irgendwann habe ich gemerkt, dass mich keiner beachtet. Heute
genieße ich es, mich nackt am Strand bewegen zu können.”
Allerdings hält sie wenig von den Naturistencamps. „Das ist auch
eine Frage der Ästhetik. Im Supermarkt oder im Restaurant brauche
ich keine Nackten um mich herum. Beim Anblick schwabbeliger Körper
kann einem schon der Appetit vergehen.”
Auch Luis (38) braucht am Strand keine Badehose: „Wofür? Ich
fühle mich viel wohler ohne. Das stört doch bloß beim Sonnen und
wenn du ins Wasser gehst.” Schamgefühle kenne er nicht: „Es macht
mir nichts aus, wenn die Leute mich nackt sehen.” Einem Verein
würde er sich aber nicht anschließen: „Ich brauche keinen, der mir
irgendwelche Regeln vorgibt.”
„Jeder wie es ihm gefällt”, meint Hanne (30) – sie bevorzugt
einen Badeanzug am Strand und fände es gut, wenn es deutlich
abgegrenzte Bereiche für Nudisten und Bekleidete gäbe, „da sich
viele nicht wohlfühlen beim Anblick von Nackten”. „Wir respektieren
die Ansichten anderer”, sagt Francisco vom Naturistenverein. Er
würde sich nie nackt an einen regulären Strand legen. Allerdings
fühlt er sich auch gestört, wenn die „textiles”, wie er die
Angezogenen nennt, in die Nudistenbereiche eindringen. „Vor allem
am Strand von es Trenc rücken immer mehr Menschen in Badekleidung
vor. Da fehlt es an Respekt.”
Dass der Anblick von Frauen oben ohne mittlerweile an allen
Stränden ganz normal ist, findet er gut: „Das ist ein erster
Schritt.” Doch am Nudistenstrand hätten halbe Sachen nichts
verloren. Amüsiert berichtet er auch von Frauen, die sich zwar ganz
nackt sonnen, aber eine Bikinihose anziehen, wenn sie ins Wasser
gehen: „Das sieht man recht häufig. Aber ich finde, das macht wenig
Sinn.”
Für Anton (35) ist die Vorstellung, ohne Hose ins Meer zu
steigen, dagegen furchterregend: „Mich hat mal eine Qualle am Arm
gestreift. Das hat ganz schön weh getan. Nicht auszudenken, wenn
dich so ein Vieh weiter unten erwischt.”
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