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Natürlich lässt sich über Stierkampf diskutieren. Tagelang, wenn es sein muss. Einen „Sieger” wird es dabei nicht geben. Weil Tierschützer die Corridas als sinnlos blutiges Treiben ablehnen und ihre Befürworter, die Aficionados, sie bedeutungsschweres Kulturgut verteidigen. Wer einmal in der Arena war, wird nur schwerlich objektiv berichten. Auch der Autor dieses Textes kann diesem Anspruch nicht genügen.

Ist der Stierkampf ein Anachronismus in der hochtechnisierten Welt des 21. Jahrhunderts? Ein schauriges Schauspiel, in dem Toreros als letzte Repräsentanten eines überkommenden Machismus vor den Augen einer johlenden Menge eigens zu diesem Zweck hochgezüchtete Kreaturen abschlachten? Ein letztes Kräftemessen zwischen Mensch und Bestie? Sinnlos, weil längst klar ist, dass das Tier viel stärker ist als das armselige Männlein? „Stierkampf war schon immer ein Anachronismus. Schon im 17. Jahrhundert war es nicht normal, dass sich ein Mensch mit einem Stier in eine Arena stellt”, sagt Joaquin Vidal. Der anerkannte und wegen seiner Unbestechlichkeit geschätzte Fachmann von „El País”, der größten spanischen Tageszeitung, und Autor zahlreicher Bücher, ist Anhänger und gleichzeitig Kritiker der sogenannten „Fiesta nacional” der Spanier.

Natürlich wird die Auseinandersetzung längst nicht mehr fair geführt, von keiner der beiden Seiten. Gründe genug gäbe es für die Fraktion der Befürworter, einigen berechtigten Argumenten von Tierschützern Gehör zu schenken. Weil etwa zu viele völlig untaugliche Stiere von gewissenlosen Züchtern ins sandige Rund geschickt werden. Im Ergebnis kann dabei wenig mehr herauskommen als eine üble Schlächterei.

Letztlich scherten sich in den vergangenen Jahren auch die Toreros selbst oft wenig um die Qualität. Seit der Stierkampf vor einigen Jahren wieder in Mode kam und die Fernsehsender die Corridas mit Live-Übertragungen zum Millionen-Geschäft machten, regiert das Geld. Dass Jesus Janeiro – „Jesulin de Ubrique” – in einer Saison mit 160 eine Rekord-Kampfzahl austrug, war plötzlich wichtig, dass der Frauenschwarm nur für weibliches Publikum kämpfte ebenfalls. Welche Qualität diese Veranstaltungen, oft zwei pro Tag, noch hatten, diese Frage wurde zu selten gestellt.

Aber auch viele Tierschützer tragen nicht gerade zu einer Versachlichung der Diskussion bei, die ihren Zielen sicher eher dienlich wäre. Auch für dieses Thema ist das Internet längst ein beredter Tummelplatz. Sicher kommt es beim Stierkampf zu Manipulationen zugunsten des Toreros, allerdings sind viele der dort unterstellten abwegig bis zur völligen Absurdität. Verständlich, dass jemand keinen Stierkampf sehen mag. Doch manche öffentliche Äußerungen erfolgt völlig unbelastet von jeglicher Sachkenntnis. So gehen Fachleute wie Joaquin Vidal auch mit einigem Grund davon aus, dass Tierschützer keine ersthafte Gefahr für die Corridas sind. „Wenn jemand den Stierkampf abschafft, dann ist es der Stierkampf selbst.”

Letztlich bleibt ein Argument schlagkräftig. Die Stiere leben in den vier bis sechs Jahren ihres Lebens in fast völliger Freiheit auf riesigen Fincas in Kastilien, Extremadura und Andalusien, bevor sie ihren finalen Weg in der Arena antreten. Das ist noch längst keine Rechtfertigung für die Corridas, aber es gibt wahrlich Auswüchse der industriellen Massentierhaltung, die schlimmer sind.

Die Frage, ob er nun einen Stierkampf besuchen soll, muss letztlich jeder Spanien-Besucher selbst beantworten. Auch hier gilt: Vorherige Information schadet selten. Und die gibt es reichlich, schließlich hat die Corrida reichlich Literaten fasziniert. Angefangen von Ernest Hemingway, der in „Tod am Nachmittag” (rororo 22609) seine Eindrücke verarbeitete.

Ausgezeichnet auch das jüngst erschienene Buch „Stierkampf” der Schottin Alison L. Kennedy (Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2001), deren 150 Seiten nebst nützlichem Glossar auch eine fast immer treffende Einführung in die Aktualität des Stierkampfes geben. Spanisch-sprachigen Lesern seien die Bücher von Joaquin Vidal empfohlen. Lyrik muss man nicht lieben, um „Llanto por la muerte de Ignacio Sánchez Mejías” zu lesen. Eines der schönsten Gedichte von Federico García Lorca, der darin den Tod des Freundes und Toreros Sánchez Mejías beklagt.

Der Zuschauer sollte wissen, dass er sich nicht mit einer tumben Schlächterei, sondern einem Ablauf nach genau festgelegtem Regelwerk konfrontiert wird. Dann sind auch die Reaktionen des Publikums besser zu verstehen. Denn sachkundige Anhänger gehen nicht in die Arena, um Blut fließen zu sehen.

Gewarnt sei jeder vor allzu großen Erwartungen. Denn einen wirklich guten Stierkampf gibt es leider selten. Weil sich Mensch und Tier gegenüberstehen und vieles zusammenkommen muss, damit sich aus dieser Auseinandersetzung die ihr eigene Faszination ergibt. Selbst wenn ein optimal geeignetes Tier der Gegner ist, muss der Torero in der Lage sein, dessen Kraft mit seinen eigenen Fähigkeiten und den Mitteln des Reglements so zu kontrollieren, dass sich kein abschreckendes Schauspiel entwickelt.

Die besten Kämpfe gibt es in Madrid, wo „Las Ventas” die größte spanische Arena ist. In dieser Kathedrale des Stierkampfs muss sich jeder professionelle „Matador” beweisen, Auftritte vor dem anspruchsvollen Publikum sind stets eine besondere Herausforderung. Ähnliches gilt für Sevilla mit der wunderschönen Arena „La Maestranza”.

Sicher sehenswert ist auch die Arena von Palma, dem gut 70 Jahren alten „Coliseo Balear”. Nach dem allgemeinen Niedergang in den 80er Jahren erlebt der Stierkampf auch auf Mallorca, nur dank der vielen andalusischen Zuwanderer und der Touristen, wieder eine zarte Blüte. Auch absolut erstklassige Namen finden wieder den Weg auf die Insel, am vorvergangenen Donnerstag etwa, als mit Juan Antonio Ruiz („Espartaco”) und „Jesulín de Ubrique” nebst Manolo Sánchez drei Vertreter der Meisterklasse auf dem Plakat standen.

Die Corrida, Anschauungs-Unterricht für die Unwägbarkeiten des Gewerbes. Sechs Stiere aus der Zucht Antonio San Román, der Name aus Salamanca hat nicht den schlechtesten Klang unter den rund 200 Züchtern, die „Toros bravos”, Kampfstiere, züchten.

Allerdings ließen die Tiere gerade beim Attribut „bravo”, tapfer, zu wünschen übrig. Kraftlos und unkonzentriert präsentierten sich die Tiere allesamt, fast unmöglich für die Toreros, elegante Figuren-Folgen in den Sand zu zaubern. Das Zuchtergebnis, es ist auch mit Glück verbunden. Getestet werden können nur die Eigenschaften der Mutterkühe, einen Kampfstier kann man vor einer Corrida keiner Probe der Tauglichkeit unterziehen. Er würde lernen, dass nicht das Tuch, sondern der Mann, der es schwenkt, sein eigentlicher Gegner ist – ein lebensgefährliches Risiko.

Ein Pech für „Espartaco”, denn für den war es sein letzter Auftritt in Palma. Nach einer langwierigen Knieverletzung befindet er sich auf Abschiedstournee durch die Arenen. Doch mit seinen vierbeinigen Gegnern ist nicht viel anzufangen. Er versucht alles, läuft dem Tier sogar hinterher, um es zum Angriff zu reizen – vergeblich.

Wenig besser geht es Manolo Sánchez. Der dritte Stier des Abends rennt zwar durch die Arena, wie von der Tarantel gestochen, doch die Kraft reicht nicht lang. Schon nach dem Treffen mit dem Lanzenreiter, dem „Picador”, knicken die Knie ein. Wieder einmal täuschte der gute erste Eindruck.

Wenig deutet darauf hin, dass es „Jesulín”, dem Star des Abends, besser ergehen sollte. Sein erster Stier bringt das Pferd des „Picador” zu Fall, quälende Minuten vergehen, bis die Helfer den schweren Schutz-Panzer entfernt haben und das Tier wieder aufstehen kann. Der Matador versucht einiges. Setzt sich direkt an die Bande, um den Stier an sich verbeilaufen zu lassen, versucht es in der Mitte der Arena, mit und ohne die Pasodobles der Kapelle. „No hay manera”, hört man den 28-Jährigen murmeln, „keine Chance”.

Auszeichnen kann er sich wenigstens noch beim finalen Akt, dem tödlichen Degenstoß. Gefährlich für den Matador, denn beim Versuch, die Fünfmarkstück-große Stelle zwischen Schulterblättern zu treffen, durch die die Klinge eindringen muss, schwebt er einen Moment lang über den Hörnern des Stiers. Dabei ereignen sich die meisten schweren Verletzungen. Der Andalusier beherrscht sein Handwerk. Bis zum Schaft dringt die Klinge ein, durchtrennt die Aterie oder dringt direkt ins Herz. Hätte der Stier nur zwei Beine, er würde auf der Stelle tot umfallen. So soll es sein.

Letztlich hat sich für die gut 7000 Zuschauer der Weg in die Arena doch gelohnt. Denn beim fünften Stier schafft Jesulín das, was nur den wirklich guten Matadores gelingt. Plötzlich ist sie da, diese unsichtbare Verbindung zwischen Mensch und Tier, das wie an einer Schnur gezogen um den Torero läuft, immer wieder. Weil der es schafft, die optimale Distanz zwischen Stier und Tuch auszuloten, ein Gefühl für den Moment entwickelt, wann der Stier nach vorn stürmt. Durchatmen an der Bande. „Das hat uns den ganzen Abend gerettet”, sagt einer aus der Mannschaft des Veranstalters sichtlich erleichtert.

Als auch der erste Stich mit dem Degen sitzt, reißt es die Leute schon von den Sitzen. Doch da stolpert der Matador, fällt einen Meter neben dem Stier in den Staub. Mit letzter Kraft dreht er noch einmal den Kopf, die ausladenden Hörner schießen auf den Toreo zu, der sich mit einem Reflex zur Seite dreht. Glück gehabt, denn der tödlich getroffene Stier kann nicht mehr angreifen. Trifft der Degen nicht gut, kann ein solcher Ausrutscher für den Torero böse enden. In den 80er Jahren tötete ein Stier „El Yiyo”. Der Matador hatte sich schon umgedreht, um den Beifall der Menge entgegen zu nehmen. Der Hornstoß traf ihn von hinten ins Herz, beide sanken tot in den Staub.

Beim Kampf mit einem 500 Kilogramm schweren Kampfstier setzten die Toreros immer noch ihr Lebens aufs Spiel. Auch wenn der Zuschauer nur zu leicht geneigt ist, das zu vergessen.