Hubertus Meyer-Burckhardt beim Interview in Pollença: "Ich bin kein Konzernmann, sondern ein Manufakturmann." | breuninger

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Mallorca Magazin:Herr Meyer-Burckhardt, was verbindet Sie mit Mallorca?

Hubertus Meyer-Burckhardt:Ich mag die Insel, aber ich bin nicht unsterblich in sie verliebt. Ich bin kein sehr sesshafter Mensch. Das betrifft auch Feriendomizile, und ich werde sicherlich jetzt erst mal eine Weile nicht nach Mallorca kommen, sondern nach Korsika und Italien fahren. Das betrifft aber auch meinen Heimat-Begriff. Ich habe in fünf Städten in Deutschland gelebt, und die häufigste Frage ist: Wo hat es dir am besten gefallen? Dann sage ich immer: Hauptsache, die Stadt hat über eine Million Einwohner, der Rest ist mir egal.

MM:Was ist Heimat für Sie?

Meyer-Burckhardt:Die Deutsche Sprache. Deswegen könnte ich den ersten Wohnsitz nie außerhalb Deutschlands wählen, weil ich deutsche Buchhandlungen, deutsche Kinos und deutsche Theater brauche.

MM:Sie haben als Regie-Assistent angefangen, sind Moderator, Produzent, Schriftsteller, waren Geschäftsführer, saßen im Aufsichtsrat und im Vorstand von großen Medienunternehmen. Wie kam es zu dieser Vielseitigkeit?

Meyer-Burckhardt:Ich habe mich nie irgendwo beworben. Wenn man mich gefragt hat, habe ich im Regelfall Ja gesagt. Das wirkt alles spielerisch, aber ich habe auch gerne sehr viel gearbeitet und habe leider kein positives Verhältnis zu dem, was der Goethe Müßiggang genannt hat. Also drei Wochen unter einer Palme zu sitzen und Bacardi zu trinken, ist für mich die Definition der Hölle.

MM:Für andere ist Arbeit die Definition der Hölle.

Meyer-Burckhardt:Ich habe mir die Freiheit erarbeitet, Dinge machen zu dürfen, die mir überwiegend Freude machen. Bücher zu schreiben, Filme zu produzieren, mit Barbara Schöneberger eine Sendung zu moderieren, auf Lesereise zu gehen, das sind ja alles Dinge, die Spaß machen. Ich konnte auch nie mit dem Begriff „Work-Life-Balance” etwas anfangen. Das würde ja bedeuten, live ist man nur dann, wenn kein work ist.

MM:Viele Dinge haben Sie parallel gemacht. Wie kriegt man das unter einen Hut?

Meyer-Burckhardt:Indem man keinen Urlaub macht. Mein Sohn lacht noch heute darüber. Er sagt: „Ferien war für uns, dass du eine Woche später dazukamst und eine Woche früher wegfuhrst.” Ich habe mich aber immer bemüht, ein guter Vater zu sein. Aber ich war eben auch immer in meine Berufe, die ich ausfüllen durfte, verliebt.

MM:Dem deutschen Fernsehpublikum sind Sie vor allem durch die „NDR Talk Show” bekannt. Warum sind Sie 2001 aus der Talkshow aus- und 2008 wieder eingestiegen?

Meyer-Burckhardt:Rausgegangen bin ich, weil man im Vorstand der Axel Springer AG und dann später im Vorstand der ProSiebenSat.1 Media AG nicht parallel beim Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen moderieren kann. Das schaffen Sie zeitlich nicht, und das gibt auch Interessenskonflikte. Und als ich 2008 wieder Produzent werden wollte, meldete sich der NDR und fragte: „Hättest du Lust zu moderieren?” Meine Antwort war: „Nicht zwingend.” Dann fragte der damalige Programmverantwortliche, Thomas Schreiber: „Was wäre denn, wenn Deine Partnerin Barbara Schöneberger wäre?” Sie war damals noch kein Star, aber ich kannte sie ganz gut und dachte: Das klingt spannend. Und das machen wir jetzt zusammen seit 2008. Dafür bin ich Thomas Schreiber noch heute dankbar.

MM:Was haben Sie aus ihren Tätigkeiten im Vorstand der Axel Springer AG und erst im Aufsichtsrat, dann im Vorstand der ProSiebenSat.1 Media AG mitgenommen?

Meyer-Burckhardt:Ich habe mitgenommen, dass ich kein Konzernmann bin, sondern ein Manufakturmann. Ich habe davor ja schon Firmen geführt und bin auch Kaufmann. Insofern habe ich unendlich viele interessante Begegnungen mitgenommen und viele spannenden Erfahrungen gemacht. Aber im Hinblick darauf, dass das Leben endlich ist, habe ich gesagt: Mach das, was dir Freude macht. Ich habe immer das Bild von einem Maler, der eine Palette mit den verschiedenen Farben hat. Aber die meiste Freude habe ich schon – in der Reihenfolge – am Schreiben, Filmeproduzieren und Moderieren. Ich bin gerade 66 geworden. Und da noch gefragt zu sein, das nehme ich voller Dankbarkeit zur Kenntnis, und keineswegs mit Stolz.

MM:Wann erschien Ihr erster Roman?

Meyer-Burckhardt:Der erste Roman war „Die Kündigung”. Den habe ich 2008 geschrieben. Dann folgte „Meine Tage mit Fabienne”, dessen Handlung überwiegend auf Mallorca spielt, genau genommen spielt der dritte Akt in Palmas Stadtteil Santa Catalina. Dann sind zwei Bücher entstanden „Meyer-Burckhardts Frauengeschichten” und jetzt „Zehn Frauen”, die eigentlich nichts anderes sind als verschriftlichte Gespräche meines Podcasts bei „NDR info”.

MM:Dann landeten Sie mit „Die ganze Scheiße mit der Zeit” einen Bestseller.

Meyer-Burckhardt:Das Buch ist auf eine merkwürdige Art und Weise entstanden. Ein Verlag fragte mich, ob ich nicht auch mal Lust zu einem Sachbuch hätte, und ich hatte eigentlich keine Idee dazu. Dann dachte ich daran, dass ich als Kind gegenüber einer Kirche gewohnt und schon immer Trauerfeiern, Taufen, Beerdigungen, Hochzeiten erlebt hatte, wenn ich aus dem Fenster schaute. Ich glaube, da hat sich bei mir festgesetzt, dass das Leben endlich ist. Dann wollte ich über die Lebenszeit schreiben, hatte 100 Seiten – und bekam eine Krebs-Diagnose. Also, ich war ohne jede Beschwerden zur Vorsorge gegangen und bekam die Diagnose, aber toi, toi, toi – alles im Griff. Dadurch bekam das Buch noch mal eine andere Intensität, weil das einen natürlich erst mal aus der Spur haut.

MM:Mit „Die ganze Scheiße mit der Zeit” scheinen Sie bei vielen Menschen einen Nerv getroffen zu haben.

Meyer-Burckhardt:Das ist ja auch das, was uns alle eint, ob wir nun Spanier, Deutsche, arm, reich, Mann, Frau sind: Wir werden sterben, der eine früher, der andere später. Ich habe den Film „Blaubeerblau” produziert, der in einem Sterbehospiz spielt, mit Devid Striesow und Nina Kunzendorf in den Hauptrollen. Interessanterweise war er auch ein großer Erfolg. Und mir liegt das Thema am Herzen, weil ich viermal im Jahr für die Finanzierung von Sterbehospizen lese. Meine Lebensfreude hängt ganz stark damit zusammen, dass ich weiß, ich sterbe. Macht‘s euch klar, Leute: Das geht nicht ewig! Wir müssen uns mit unserer Vergänglichkeit auseinandersetzen, und wie ich finde, heiter.

MM:Können Sie schon etwas über Ihr nächstes Buch verraten?

Meyer-Burckhardt:Ich denke darüber nach, etwas über meine Großmutter zu schreiben, die mit Ende 80 gestorben ist, als ich 30 war. Die zwei Weltkriege überlebt hat, Flucht, und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb die Lebensfreude in Person war. Sie trank gerne Wein, fuhr Moto Guzzi und hatte einen beißenden Humor. Das berührt genau das nächste Thema. Ihr beißender Humor war mit der heutigen Definition von Political Correctness nicht in Einklang zu bringen.

MM:Sind die Deutschen politisch überkorrekt geworden?

Meyer-Burckhardt:Ich will bewusst nicht sagen, wir sind zu korrekt oder zu wenig korrekt. Ich muss einfach als 66 Jahre alter Mann akzeptieren, dass ein 30-Jähriger heute eine andere Form der Kommunikation pflegt, als ich das vor 30 Jahren getan habe. Und es steht mir nicht zu, das zu bewerten. Ob es mir gefällt, ist dem 30-Jährigen relativ wurscht, und ich finde es eigentlich spannender, zu überlegen, wohin führt das oder wohin könnte das gehen, als es zu bewerten. Die Alten haben ja immer schon die Jungen bewertet, und da will ich eigentlich nicht mitmachen.

MM:Sie haben über Frauen geschrieben. Mit Ihrer Großmutter schreiben Sie wieder über eine Frau. Hat das Ihre Sicht beeinflusst?

Meyer-Burckhardt:Ich bin in den prägenden Jahren von zwei starken Frauen erzogen worden, von meiner Großmutter und meiner Mutter. So wie ich es erlebt habe, sind Frauen weniger larmoyant. Ich habe es immer auf den Nenner gebracht, dass Frauen sich mehr über die Person definieren und Männer mehr über die Funktion. Wenn Frauen älter werden, werden sie anarchisch. Ich habe in der „NDR Talk Show” viele Frauen zu Gast gehabt, Lotti Huber, Hildegard Knef, die legten mit 80 verbal richtig los. Und wenn Männer älter werden, sind sie – verzeihen Sie mir die Verallgemeinerung, es gibt freilich wunderbare Ausnahmen – mehrheitlich damit befasst, dass ihre Bedeutung auch von jüngeren Generationen wahrgenommen wird. Was ich gelegentlich als mühsam finde.

MM:Was reizt Sie am Produzentendasein?

Meyer-Burckhardt:Als ich von 1981 bis 1984 auf der Hochschule für Fernsehen und Film in München war, war ich der Einzige, der immer schon gesagt hatte: Ich möchte Produzent werden. Daraus sind 30 Filme geworden, auch sehr, sehr gute Filme. Mich hat immer die Nahtstelle zwischen Kapital und Kreativität interessiert. Ich habe schon in Kassel, wo ich groß geworden bin, im Kino mit 15, 16 Jahren im Abspann geguckt, wer der Produzent ist, und habe mir das auch immer gleich notiert. Warum – ich weiß es nicht.

MM:Sie saßen auch in der Jury für den Deutschen Fernsehpreis. 2008 lehnte der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki diese Auszeichnung ab, weil er die Qualität des Deutschen Fernsehens für miserabel hielt. Lag er falsch?

Meyer-Burckhardt:Ja, weil ich es, bei allem Respekt vor Reich-Ranicki, unfair finde, wenn man von dem Deutschen Fernsehen spricht. Wenn jemand sagt, das Deutsche Fernsehen ist schlecht, dann frage ich: Wann haben Sie zuletzt mal Arte oder 3sat geguckt? Es gibt kein anderes Land weltweit, wo zwei Kulturkanäle 24 Stunden senden, ohne dass man dafür zahlen muss. Es könnte vieles besser sein, aber ich habe wunderbare Möglichkeiten, Abend für Abend anspruchsvolles Fernsehen zu gucken.

MM:Warum ist in Deutschland das Format Talkshow so beliebt?

Meyer-Burckhardt:Um die Frage seriös beantworten zu können, muss man zwei Gattungen unterscheiden. Die politischen Talkshows erfreuen sich extremer Beliebtheit, weil ich in als unruhig empfundenen Zeiten eine Orientierung kriege. Die Unterhaltungstalkshow, zu der ich die „NDR Talk Show” oder „3nach9” zähle, hat eine ganz andere Aufgabe. Wir kennen Zuschriften von Zuschauern, die am Freitagabend nichts vorhaben, die alleine zu Hause sind oder keinen Babysitter gefunden haben und die es schön finden, an einer so munteren Runde teilzunehmen. Zu Hause haben sie meist einen sehr homogenen Freundeskreis. Dann sehen sie bei uns die Erotik-Tänzerin neben dem Philosophie-Professor, neben dem Politiker, neben dem Astronomen. Und im Idealfall respektieren sich alle untereinander. Und übers Fernsehen waren die Zuschauer eben dabei.

MM:Kann man ein Thema auch zu Tode talken? Ich denke da an Corona, das monatelang in den Talkshows war.

Meyer-Burckhardt:Das Schwierige ist, wenn Sie Menschen fragen, ob sie etwas anderes sehen wollen, sagen sie alle Ja. Wenn Sie aber was anderes machen, gucken die Leute es meist nicht. Wir haben Corona auch als Thema gemacht, und dann kam häufig die Zuschrift: „Jetzt ihr auch noch!” Wir hatten aber eine hohe Quote. Wir haben es dann im Peak von Corona dreimal nicht gemacht. Da schrieben ganz viele Zuschauer: „Ihr redet über tausend Themen, und draußen sind die Krankenhäuser voll!” Leute gucken auch fern, um sich abzuarbeiten, um sich zu ärgern. Sie könnten ja umschalten, und – ganz abenteuerlich – sogar mal ausschalten und sich ein Buch nehmen. Im Kino gehen Sie zum Star, es wird dunkel und Sie gucken zu ihm auf. Der Star hat das Hausrecht. In einem Fernsehfilm kommt der Star aber zu Ihnen und Sie gucken meistens auf ihn herunter. Insofern glaubt der Fernsehzuschauer immer, er könnte es eigentlich besser, denn er hat das Hausrecht.

Die Fragen stellte

Martin Breuninger