Die Künstlerin und ihr Werk: Leiko Ikemura neben der Bronzeskulptur Usagi Kannon in Palmas Parc de la Mar. | Bruno Daureo

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Eine Frau mit hochstehenden Hasenohren, fast dreieinhalb Meter groß und in Bronze gegossen steht bis August steht sie unterhalb der Kathedrale von Mallorca, im Parc de la Mar in Palma. Zuvor konnte man sie schon im Kunstmuseum Liechtenstein, im National Art Centre Tokyo, im Kunstmuseum Basel und in der Galería Kewenig bewundern.

Geschaffen wurde die Skulptur von Leiko Ikemura, einer japanisch-schweizerischen Künstlerin von internationalem Renommee. Ihrem Werk hat sie den Namen „Usagi Kannon” gegeben.

Usagi ist das japanische Wort für Hase, Kannon ist eine Bodhisattva, eine buddhistische Wesenheit, die für das universelle Mitgefühl steht. Ikemuras Skulptur verweist jedoch auch auf die christliche Ikonografie: Sie hält die Hände vor der Brust gefaltet wie eine Marienfigur. Mithin ist „Usagi Kannon” eine Synthese der Kulturen.

Die daraus resultierende Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten entspricht ganz dem Anliegen der international renommierten Künstlerin: „Es geht um das Zusammenkommen unterschiedlicher Denkarten, um das Universelle.”

Usagi Kannon ist zudem ein Hybrid zwischen Tier und Mensch. „Das ist für mich ein langjähriges künstlerisches Thema, weil ich denke, dass wir Menschen nicht so arrogant sein und nicht die Natur zerstören dürfen”, erklärt die in Berlin lebende Künstlerin – freilich ohne erhobenen Zeigefinger. „Als Künstlerin kann ich dieses Thema natürlich viel poetischer umsetzen. Und sehr viele Botschaften möchte ich nicht so offensichtlich darlegen, sondern es sollte die Kunst im Vordergrund stehen: In dieser Figur wollte ich Formsprache und Poesie vereinen.”

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Ins Positive gedreht, lässt sich die Figur im Parc de la Mar durchaus als Symbol für Leben und Fürsorge verstehen. Kann man die Skulptur aus der Distanz visuell erleben, bietet sich aus der Nähe die Möglichkeit, sie innen-räumlich zu erfahren: Ihr glockenförmiger Rock lässt sich wie eine Schutzhöhle betreten. Zahlreiche kleine Löcher als Lichtquellen verwandeln deren Innenwand in ein Himmelszelt voller Sterne.

In seinem Werk „Sphären” charakterisiert der Philosoph Peter Sloterdijk die kopernikanische Wende als Beginn der „neueren Erkenntnis- und Enttäuschungsgeschichte”. Durch sie sei der Mensch der Moderne seiner kosmischen Mitte und der Illusion des Aufgehobenseins verlustig gegangen, um stattdessen der Kälte eines unendlichen, offenen Weltraums ausgesetzt zu sein. Mit ihrem Himmelszelt hält „Usagi Kannon” dagegen mitten im Parc da la Mar einen Raum der Geborgenheit bereit, oder, um bei Sloterdijks „Sphären” zu bleiben, die tröstliche Illusion der „kosmischen Schoßlage”. Wenigstens für einen Augenblick.

Ikemura stellt freilich die Kunst voran. Und mit ihr die Abkehr von der Vorgehensweise, wie sie von der Avantgarde des 20. Jahrhunderts betrieben wurde, nämlich durch Zerstören die Formsprache zu erneuern. „Es ist an der Zeit, wieder Sinn, Bedeutung und Werte zu schaffen, die viel mehr der emotionellen Not entsprechen”, meint sie. „Das ist so wichtig, denn wir befinden uns heute mehr denn je in einem Übergang.”

Zehn Jahre ist es her, dass Ikemura erstmals zwei „Usagi Kannon” schuf. Sie hatten Tränen im Gesicht und entstanden als Reaktion auf die Atomkatastrophe 2011 in Fukushima. „Trauer und die Bejahung des Lebens ist für mich eins”, erklärt die Künstlerin. „Deshalb schuf ich eine Art Paarkonstellation.” Gewidmet sind beide Skulpturen den Menschen, die damals starben, ihren Hinterbliebenen und auch den Tieren, die seinerzeit umkamen.

Im Gegensatz zu „Usagi Kannon” I und II zeigt die Figur im Parc de la Mar ein leichtes Lächeln, das Trost und Hoffnung für alle Menschen und Lebewesen spendet. Und wieder in einer Zeit der Katastrophe, die diesmal eine Pandemie mit vielen Toten ist, begleitet von Trauer, Ängsten und Unsicherheit. „Das ist schon ein besonderer Moment, aber wir müssen weiterleben und nicht nur materiell”, sagt Ikemura.

Ihre Skulptur hält die Künstlerin angesichts der weltweiten Situation für höchst aktuell. Und nicht nur das. „Ich habe das Gefühl, dass es wieder einen Sinn hat, Kunst nicht nur für den Konsum zu machen. Es ist mir sehr wichtig, dass sie etwas zu sagen und vielleicht auch emotional etwas zu bedeuten hat.”