Glück im Unglück: Elke Beckers Romanveröffentlichung wurde auf Juli verschoben. | Llorenç Gris
Adiós Europol. Eigentlich sollte Comandante Toni Morales am Montag, 6. April, seinen neuen Job bei der Guardia Civil in seiner alten Heimat Mallorca antreten. Doch dann kam dem frisch gebackenen Leiter der Zentralen Operationseinheit die Corona-Pandemie dazwischen. Jetzt muss er bis Montag, 6. Juli, auf seinen ersten Insel-Einsatz warten.
Der mallorquinische Kriminale ist der Protagonist des Romans „Mörderisches Mallorca – Toni Morales und die Töchter des Zorns“. Geschrieben hat ihn die auf Mallorca lebende Schriftstellerin Elke Becker unter dem Pseudonym Elena Bellmar, erscheinen wird er bei Pendo, einer Sparte des Piper-Verlags.
Die Verschiebung der Romanveröffentlichung bedeutet für Becker Glück im Unglück. „Ich kenne andere Autoren, die bittere Tränen vergießen. Ihr Buch war gerade mal eine Woche im Handel, dann schlossen die Läden.“ Auch ihr Roman wäre wahrscheinlich hinten runtergekippt, wäre er, wie ursprünglich vorgesehen, Anfang April veröffentlicht worden. „Wenn umgekehrt die Buchhändler ihre Geschäfte wieder öffnen und das Buch im Juli neu erscheint, wird es auch bestellt und liegt in den Läden aus“, schaut die Autorin in die nahe Zukunft.
Als Schriftstellerin muss sie derzeit von dem Polster leben, das sie sich erarbeitet hat, und kann sich freuen, gut im Geschäft zu sein. „Ich könnte dieses Jahr überleben, ohne noch einen Cent einzunehmen. Das ist schon gut zu wissen“, meint sie.
Ihre Fantasie ist unterdessen längst vorgeprescht. Mit einem Frauenroman zum Thema Ausgangssperre. „Lass mal ein Pärchen vier Wochen lang unter Quarantäne stehen, da kann einiges hochkochen.“ Die Idee hat sie ihrem Agenten vorgelegt. Jetzt wartet sie auf die Antwort, ob es sich lohnt, das Thema auszuarbeiten, oder ob es für die Verlage ein No-Go ist.
Zeit zum Zurücklehnen hat sie derweil nicht. Mit ihrer Kollegin Alex Conrad arbeitet sie an einer vierteiligen Saga, die unter dem Pseudonym Carmen Bellmonte bei Heyne erscheinen wird. Der historische Roman über eine Familie auf Mallorca und in Kuba beginnt 1913 und endet in der Gegenwart.
„Die Zeit ist da, der Kopf nicht” – Alex Conrad ist zwischen
Krisen- und Schreibmodus hin- und her-gerissen.
Foto: Llorenç Gris
Teil eins der Saga ist bereits fertig, jetzt arbeiten die Autorinnen am zweiten Band, den sie im Herbst abgeben müssen. Derzeit mailen sie sich die Manuskripte mit Randnotizen hin und her. „Das erschwert die Arbeit schon ein bisschen“, sagt Becker. „Es ist einfacher, sich bei einem Kaffee gegenüber zu sitzen und die Bälle hin und her zu spielen.“
Conrad pflichtet ihr bei. Die große Linie sei zwar über alle vier Bände festgelegt. Doch für die Feinabstimmung sei der Blickkontakt viel wert. „Man sieht sofort an der Reaktion der anderen, ob eine Idee in die richtige Richtung geht. Das ist ein gegenseitiges Befruchten, das in dieser Situation vollständig fehlt.“
Video? Fehlanzeige. „Hier auf dem Acker habe ich nicht die Bandbreite. Da kann ich mich auch nicht mal schnell durch ein Bildarchiv klicken“, sagt die Mallorcadeutsche, die sich auf dem Land bei Sencelles niedergelassen hat, zusammen mit ihrem Mann. Normalerweise setzt sie sich in dessen Immobilienbüro im Dorf, wenn es ums Recherchieren im Internet geht. Doch das ist wegen der Ausgangssperre geschlossen.
Ein historischer Roman erfordert viel Recherche. Conrad konnte dabei auf einen mallorquinischen Historiker zurückgreifen. Bis Corona kam. „Meine Fragen kann ich zwar per E-Mail oder Whatsapp stellen, aber der Historiker muss vieles auch im Archiv nachgucken, und das ist jetzt geschlossen.“ Wie laut tickt die Uhr, wenn die Recherche stockt? „Es geht noch, weil wir für den zweiten Band schon gut vorbereitet waren“, meint Conrad. „Aber 500 Seiten wollen abgeliefert sein.“
Schon jetzt ist klar: Covid-19 wird auch den Inhalt des Romans beeinflussen. Denn die Saga endet im Heute, ihr letzter Band wird 2023 veröffentlicht. Schon jetzt beschäftigt die Autorinnen eine Frage: Wie wird die Insel zu dem Zeitpunkt, an dem die Saga endet, aussehen? „Corona und seine Folgen können wir da nicht einfach ausblenden“, so Conrad.
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Neben der Saga schreibt sie am zweiten Teil einer Krimireihe. Der erste Band wird im April 2021 unter dem Titel „Unter Schweinen. Carmen Munar ermittelt“ erscheinen. Hat sie durch die Ausgangssperre mehr Zeit zum Schreiben? „Die Zeit ist da, der Kopf nicht“, antwortet sie. Die Autorin ist hin- und hergerissen zwischen Krisen- und Schreibmodus, die Realität lenkt sie vom Schreiben ab. Im Internet schaut sie immer mal wieder nach Neuigkeiten über Corona, im Supermarkt kauft sie jetzt auch für ihre betagten Eltern ein, die ebenfalls auf Mallorca leben, im Kopf schwirren ihr Gedanken herum über Autoren, die jahrelang auf einen guten Verlag hingearbeitet haben und deren Romanveröffentlichung nun unglücklich auf die Ausgangssperre fiel. All das bringt sie auf diesen Nenner: „Corona stört meinen Schreibprozess und meinen normalen Ablauf.“
Für Lilly Hess-Antic kam die Ausgangssperre gerade zum richtigen Zeitpunkt. Die Zahnärztin betreibt eine Praxis im Facharztzentrum Porto Pi in Palma und wird im April 2021 unter dem Pseudonym Liliana Moreno ihr Romandebüt veröffentlichen. Das Manuskript hat sie erst vor wenigen Tagen fertiggestellt.
Rettende Aus-gangssperre: Oh-ne Corona hätte Zahnärztin
Lilly Hess-Antic ihr Romandebüt nicht rechtzeitig abgeben
können. Foto: Silvia de Couët du Vivier
Die Erscheinung bei CW Niemeyer ist zeitlich gewissermaßen eine Punktlandung. Denn im kommenden Jahr ist Ostern Anfang April, und in dem Krimi mit dem Arbeitstitel „Wer Buße tut“ muss eine Kommissarin der Policía Nacional in Palma einen Mord aufklären, der während einer Osterprozession verübt wurde.
Dass sie sich überhaupt an den Computer setzte, verdankt Hess-Antic in erster Linie einer ihrer Patientinnen: Alex Conrad. Als sich herausstellte, dass die eine schreiben wollte und die andere Schriftstellerin war, kam der Stein ins Rollen. Immer wieder animierte die Autorin ihre Zahnärztin. Irgendwann fuhren sie zur Buchmesse nach Frankfurt, präsentierten dem Niemeyer-Verlag ihre Romanideen – und stießen auf Interesse. „Wenn der Verlag ,schick mal‘ sagt, gibt es natürlich keine Ausflüchte mehr“, sagt Hess-Antic.
Trotz harter Arbeit wurde am Ende die Zeit denkbar knapp. Zwar hatte sie schon vor Corona den Praxisbetrieb auf halbtags reduziert. Doch was ohne die Ausgangssperre gewesen wäre, daran wagt sie nicht zu denken. „Ich hätte das so nicht geschafft.“
Man muss schon Dan Brown oder John Grisham heißen, um vom Romanschreiben eine fünfköpfige Familie ernähren zu können. Deshalb arbeitet Thomas Fitzner als Assistent der Geschäftsleitung von European Accounting. In der Kanzlei ist er verantwortlich für die Abteilung, die bis Ende Juni die gesamten Einkommen- und Vermögensteuererklärungen für die natürlichen Personen unter ihren Mandanten einreichen muss. Um es mit seinen Worten zu sagen: „Wir sind ausgebucht bis über die Augenbrauen.“
Roman trotz Vollzeitjob: Thomas Fitzner will sein Hirn von
Corona freispülen. Foto: Alma Fitzner
Trotz dieser Belastung kann der österreichische Wahlmallorquiner aus Costitx von der Belletristik nicht lassen. Als er vor wenigen Tagen das Angebot eines Verlags erhielt, einen Roman zu schreiben, überlegte er nicht lange. „Ich habe momentan richtig Lust auf ein Projekt, bei dem ich in eine komplett andere Welt eintauchen kann“, begründet er seine Zusage.
Bei dem Buch handelt es sich um einen Liebesroman, der in Frankreich spielt. Außer der Idee gibt es bisher ein halbes Probekapitel. Das ist wenig, wenn man in fünf Monaten einen fertigen Roman daraus machen muss, neben einem Fulltimejob. Doch Fitzner meint: „Wenn der Abgabetermin im August mein großes Problem ist, bin ich eh ein glücklicher Mensch. Das ist zwar eigentlich ein Harakiri-Projekt, aber es ist genau das, was ich jetzt brauche, um mein Hirn von Corona freizuspülen. Meine einzige Sorge wäre, dass mich das Biest auch erwischt und ich drei oder vier Wochen außer Gefecht gesetzt wäre.“
Dieser Roman ist nicht das einzige Projekt, das Fitzner aufs Gleis gesetzt hat. Für den Comedy-Kriminalroman „Die Körpersprache der Tomaten“, den er im vergangenen November fertiggestellt hat, erhielt er jetzt einen Vertrag vom Ashera-Verlag. Darüber hinaus sind zwei Verlage interessiert, alte Romane von ihm neu aufzulegen.
Für Fitzner sind dies willkommene „Tritte in den Hintern“, in ganz persönlicher Hinsicht. „Wenn ich viel unterwegs bin und viel mentalen Input erhalte, brauche ich auch eine Zeit, in der ich auf mich selber zurückgeworfen werde, um wieder meine eigene Welt zu schaffen. Das findet in der Literatur ja statt.“
So unterschiedlich ist das bei Schriftstellern. Während es Alex Conrad surreal vorkommt, in Zeiten von Corona eine Szene zu schreiben, in der Leute einkaufen, Kaffee trinken oder tanzen gehen, ist es bei Fitzner genau umgekehrt. „Ich stelle es mir sehr erfrischend vor, über eine Handlung nachzudenken, die in Frankreich spielt, wo die Leute auf den Straßen sind, die Cafés voll sind und das Leben einen normalen Gang geht. Gerade in dieser Situation freue ich mich noch ein Stück mehr darauf.“
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