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Peter Simonischek ist einer der gefragtesten deutschsprachigen Schauspieler. Für seine Hauptrolle in "Toni Erdmann" wurde er mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet. Im MM-Interview spricht er über seinen jüngsten Erfolg, die Nominierung für den Oscar - und erstmals auch über seine neuen Filmprojekte.

Mallorca Magazin: Herr Simonischek, konnten Sie unbehelligt nach Mallorca fliegen?

Peter Simonischek: Ja, aber was ist daran schlimm, wenn im Flugzeug jemand neben mir sagt, dass er "Toni Erdmann" gesehen hat und den Film wunderbar fand? Im Gegenteil, als wir in Wroclaw den Europäischen Filmpreis bekamen, bedankte sich eine junge Dame bei mir für den "Toni Erdmann". Sie hatte sieben Jahr nicht mehr mit ihrem Vater geredet. Und nach diesem Film lud sie ihn zum Abendessen ein. So etwas freut mich!

MM: Was bringt Sie nach Mallorca?

Simonischek: Wir kommen einerseits 15 Jahre zu spät, weil unser Freund Franz Sailer im Jahr 2002 aus Salzburg nach Mallorca gegangen ist. Seither hat er uns eingeladen, aber immer hatte es gerade nicht gepasst. Und wir kommen etwa 14 Tage zu früh, weil er am 9. April seinen 80. Geburtstag hat. Da ich an diesem Tag drehe, habe ich gedacht, jetzt muss der Freund besucht werden.

MM: Welcher neue Film hält Sie von dem Geburtstag fern?

Simonischek: Der interessanteste Effekt des Toni-Erdmann-Hypes ist, dass es gute Angebote gibt. Ich habe zwei super Bücher, und man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Also mache ich zwei Filme parallel. Ich drehe einen Film mit dem Regisseur Thomas Vinterberg über die Havarie des russischen Atom-U-Boots Kursk im Jahr 2000. Die Russen hatten aus Geheimhaltungsgründen die internationalen Rettungsmannschaften nicht herangelassen, und viele junge Leute erstickten elend.

MM: Welche Rolle spielen Sie in dem Film?

Simonischek: Einen russischen Admiral von der Rettungsflotte, die die U-Boot-Besatzung retten sollte. Aber deren Ausrüstungen waren alle kaputt. Sie hatten nur drei Tauchkapseln und Rettungstaucher, was das Ganze besonders tragisch macht. Denn das U-Boot lag in 100 Meter Tiefe, das ist für einen Sporttaucher kein Problem. Und hätte man das Boot aufgestellt, hätte es um einiges aus dem Wasser geragt.

MM: Wovon handelt der andere Film?

Simonischek: Er ist eine Art Roadmovie. Ich bin 70 Jahre alt, mein Vater war Obersturmbannführer und hat sich im Zweiten Weltkrieg in der Slowakei einiges zu Schulden kommen lassen. Eines Tages taucht bei mir ein alter Mann auf. Er ist 82 und Jude, der auf der Suche nach seinen umgekommenen Eltern auf die Spuren dieses alten Nazis kam. Ich habe die Idee, an die Orte zu fahren, wo mein Vater im Krieg diese Gräueltaten begangen hat, und er hat Interesse daran, noch mehr über das Ende seiner Eltern zu erfahren. Der Arbeitstitel des Films heißt "Dolmetscher". Denn der alte Mann spricht Slowakisch und Deutsch, und ich brauche jemanden, der das kann. Also fahren wir zusammen im Auto los. Natürlich passieren auf der Fahrt einige Sachen.

MM: Was macht für Sie ein Drehbuch interessant?

Simonischek: Als ich das Drehbuch von "Toni Erdmann" gelesen habe, war ich ziemlich aufgeregt. Das war ein so schräges Buch, dass ich dachte: Wenn es jemand schafft, diesen Wahnsinn zu verfilmen, dann könnte das ein ganz toller Film werden. Ich kannte Maren Ade persönlich nicht, hatte aber ihre Filme gesehen. Sie beherrscht das Metier souverän und ist dabei sehr angenehm.

MM: Waren Sie vom Erfolg des Films überrascht?

Simonischek: Das ist man immer. Wenn Sie Ihr Leben damit verbringen, mit fliegenden Fahnen und größten Hoffnungen in jede Arbeit zu gehen, dann lehrt einen die Erfahrung, dass sich das in der Regel nicht oder nur mehr oder weniger einlöst. Es ist auch viel Glück dabei, dass eine Rechnung dann wirklich mal aufgeht.

MM: Ein Sechser im Lotto?

Simonischek: Bei der Nominierung für den Oscar ist es ein Fünfer geworden. Nun kann man sich entscheiden, ob man sich mehr ärgert oder mehr freut.

MM: Was überwiegt bei Ihnen?

Simonischek: Das hält sich die Waage. Arithmetisch gesehen, ist die wesentlich größere Sensation, von 85 Kandidaten unter die letzten fünf zu kommen, als von den letzten fünf der Erste zu werden. Alle Fachzeitschriften hatten bis vier oder fünf Wochen vor der Preisverleihung "Toni Erdmann" an erster Stelle gesehen. Als Trump dann seinen Bann erließ, als Meryl Streep bei der Verleihung des Golden Globe diese Rede gehalten und der iranische Regisseur Asghar Farhadi nicht in die USA kommen wollte, war klar, dass wir keine Chance gegen seinen Film hatten.

MM: Enttäuscht Sie das?

Simonischek: Moralisch ist dagegen nichts zu sagen. Die Oscarverleihung ist eine Werbeveranstaltung für das Hollywoodkino mit 630 Millionen Zuschauern. Und wenn ich meine Wahl vollkommen integer treffen kann, ohne einen dieser Filme angucken zu müssen, würde ich mein Kreuz auch da machen. Den Amerikanern fällt es ja nicht leicht, einen fremdsprachigen Film anzugucken.

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MM: "Toni Erdmann" soll jetzt als Hollywood-Version gedreht werden, mit Jack Nicholson an Ihrer Stelle.

Simonischek: Ich denke, dass ist eine Ente. Aber warum nicht? Er hat seit sieben Jahren keinen Film mehr gemacht. Dann hat er den Film wahrscheinlich gesehen und Lust gekriegt. Wenn das stattfindet, werde ich mich sehr freuen, mir das anzusehen, weil ich Jack Nicholson sehr schätze.

MM: Warum vermuten Sie eine Ente?

Simonischek: Der Film wird sicher nicht "Toni Erdmann" heißen, weil Maren Ade bestimmt nicht alle Rechte hergeben wird. Daran könnte es scheitern. Denn die Amerikaner zahlen viel Geld, aber dafür wollen sie auch alles haben. Und ich weiß, dass man Maren Ade gar nicht so viel Geld geben kann, dass sie das verrät, wovon sie überzeugt ist. Das ist ihr Kind, von A bis Z.

MM: Sie sind ein bekannter Schauspieler und blicken auf eine lange Karriere zurück. Wie war das für Sie, für "Toni Erdmann" zum Casting zu müssen?

Simonischek: In Youtube finden Sie Casting-Aufnahmen, wo Marlon Brando in dem Film "Denn sie wissen nicht, was sie tun" die Szene spielt, mit der James Dean weltberühmt wurde. Marlon Brando hat die Rolle nicht bekommen. Also, auch für diese Leute war das nicht unter ihrer Würde. Und wenn ich ein gutes Buch lese, gehe ich gern zum Casting. Denn es kommt auch für mich darauf an, ob ich mit dem Regisseur kann. Früher hat man gefragt: Welche Rollen wollen Sie spielen? Diese Frage kann ich fast nicht beantworten. Die Frage muss heißen: Mit wem wollen Sie was machen?

MM: Wie kommt es zu dieser Verschiebung?

Simonischek: Wenn Sie vor 30 Jahren "Hamlet" gemacht haben, dann haben Sie ungefähr gewusst, was das ist. Wenn Sie heute mit jungen Regisseuren "Hamlet" machen, muss man sich als Schauspieler oft auf Dinge einlassen, die mit Shakespeare oder dem Stück viel weniger zu tun haben als mit dem Regisseur. Das stört mich.

MM: Was bedeutet Ihnen der Europäische Filmpreis für "Toni Erdmann"?

Simonischek: Beim Europäischen Filmpreis habe ich selber gestaunt, wie sehr ich mich gefreut habe. Ich war ja schon oft nominiert, aber mit fehlt das Gustav-Gans-Gen (Glückspilz Gustav Gans, Gegenfigur zu Pechvogel Donald Duck, d. Red.). Ich habe einen ganzen Stapel an Dankesreden zu Hause, die ich nie gebraucht habe. Und es ist schon ein extrem gutes Gefühl, wenn dann einmal das Kuvert geöffnet wird, und dann kommt der eigene Name. Aber ich halte Preise für sehr ambivalent.

MM: Warum?

Simonischek: Wenn man nominiert wird, ist man ein potenzielles Opfer. Wenn man zu den Verlierern gehört, sagt einem den ganzen Abend jeder: "Es tut mir so leid." In München war ich für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. Da wird ein Hanfseil gezogen. Auf der einen Seite haben die Preisträger ein Dinner und werden gefeiert. Und Sie können sich auf der anderen Seite des Seils am Büfett drängen. Kein Mensch nimmt mehr Notiz von Ihnen. Das war richtig schäbig. Wenn die mich noch mal nominieren, gehe ich nicht mehr hin.

MM: Haben Sie noch Lampenfieber?

Simonischek: Das hat man immer. Vergangenen Sommer spielte ich in Salzburg im "Sturm" den Prospero. Das machte ich relativ kurzfristig. Ursprünglich sollte das Hans-Michael Rehberg machen, und der wurde krank. Ich hatte schon den Urlaub geplant, aber wenn Sie in meinem Alter den Prospero bei den Salzburger Festspielen angeboten bekommen, dann ist das, als ob das Schicksal zuschlagen würde. Da kann man nicht Nein sagen.

MM: Waren Sie nervös?

Simonischek: Sie proben sieben Wochen, lernen erst mal sechs Wochen 750 Verse, und es ist ja nicht damit getan, dass Sie es auswendig können. Das muss man sich wie bei einem Eishockeyspieler vorstellen: Das Eislaufen darf kein Thema mehr sein, damit er überhaupt spielen kann. Genauso ist es beim Schauspieler mit dem Text. Wenn Sie dann aber auf der Bühne sind, müssen Sie souverän sein, egal ob ein Hund bellt oder ein Zuschauer in Ohnmacht fällt. Und der Berg, über den Sie jeden Abend müssen, ist riesig.

MM: Fragt man sich da nicht manchmal: Warum tue ich mir das an?

Simonischek: Natürlich, aber wenn man den Beruf liebt, kann man da nicht Nein sagen. Ich habe mir damals gedacht: Wenn ich das jetzt nicht mache, ist das indirekt ein Aufhören. Von Franz Sailer habe ich das Zitat von Cicero: "Fange nie an, aufzuhören - höre nie auf, anzufangen." Mit dem Anfangen aufzuhören kann ich mich anfreunden. Aber das ist eine delikate Sache, da will ich noch zu viel.

ZUR PERSON:

Peter Simonischek wurde 1946 in Graz geboren. Nach seinem Studium an der dortigen Akademie für Musik und darstellende Kunst war er in St. Gallen, Bern und Düsseldorf engagiert und von 1979 bis 1999 Ensemblemitglied an der Berliner Schaubühne. Seither gehört er dem Ensemble des Burgtheaters in Wien an. Seit 1982 spielt er zudem Hauptrollen bei den Salzburger Festspielen und stand bei rund 40 Filmen vor der Kamera. Für seine Rolle im Film "Liebesjahre" erhielt er 2012 den Grimme-Preis. Internationale Bekanntheit und den Europäischen Filmpreis 2016 brachte ihm die Titelrolle im Film "Toni Erdmann" ein, der 2017 für den Oscar nominiert war. Simonischek ist mit der Schauspielerin Brigitte Karner verheiratet. Sein ältester Sohn Max ist ebenfalls Schauspieler.

(aus MM 13/2017)