"Ich verbringe mehr Zeit mit dem Betrachten als mit dem Malen", sagt der mallorquinische Künstler Tomeu L'Amo über seine Arbeit. Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass er einen inneren Farbscanner hat: "Wenn ich verschiedene Werke eines anderen Künstlers sehe, bleiben die Farben in mir gespeichert und archiviert."
Dies kam ihm in ganz besonderer Weise zugute, als er vor 27 Jahren in einem Antiquariat ein Ölgemälde entdeckte. Sofort ordnete er die Farben der frühen Phase von Salvador Dalí zu, bezahlte ohne mit der Wimper zu zucken den Preis von umgerechnet 150 Euro.
Von dem Bild und seinem Besitzer handelt der Dokumentarfilm "The Key To Dalí" von David Fernández, der beim Evolution Film Festival Anfang November im Museum Es Baluard in Palma Weltpremiere hatte. Er erzählt eine fast unglaubliche Geschichte.
Um das Werk offiziell anerkennen zu lassen, schickte L'Amo auch ein Foto an die Dalí-Stiftung in Figueres. Und erhielt eine Abfuhr: Es gebe keinen Hinweis auf die Echtheit des Gemäldes.
Der Grund dafür lag in dieser Widmung über der Signatur: "Meinem lieben Lehrer zu seinem Geburtstag. 27-IX-96." Das Rätsel: Dalí hatte 1896 noch gar nicht gelebt, er wurde erst 1904 geboren. Die Lösung: Das Datum bezog sich nicht auf seine irdische Person, sondern auf die "intrauterine" Geburt der Kunstperson des "göttlichen Dalí". Der Beweis: Analysen ergaben, dass zwei der vier verwendeten Farbpigmente erst 1899 und 1909 patentiert und verwendet wurden.
Nach zweijähriger Untersuchung des Bildes kamen schließlich der 2014 verstorbene Pariser Dalí-Experte Robert Descharnes und dessen Sohn Nicolás zu dem Schluss: Das Werk ist Dalís erste surrealistische Arbeit und darüber hinaus der Schlüssel zu seinem Gesamtwerk.
Nach einem Vierteljahrhundert, so erzählt L'Amo, sei auch die Dalí-Stiftung etwas zurückgerudert. Jetzt heiße es, dass sie nichts zu dem Werk sagen könne, weil sie es noch nicht untersucht habe. Unterdessen hat L'Amo ein 430-seitiges Buch mit dem Titel "El Nacimiento intrauterino del divino Dalí" (Die intrauterine Geburt des göttlichen Dalí) veröffentlicht, das bei allen Internetplattformen als E-Book erhältlich ist.
Dass er auf das Spiel mit der doppelten Persönlichkeit kam, mag auch daran liegen, dass L'Amo selbst das Alter Ego des Biologen Bartomeu Payeras ist. Payeras kam 1948 in Inca zur Welt, arbeitete in Laboratorien und als Gymnasiallehrer, ist gewissermaßen die rationale Seite. Tomeu L'Amo - der Künstlername war ursprünglich sein von Freunden kreierter Spitzname - wurde erst zehn Jahre später geboren.
Ein Sonnenuntergang an einem Sommertag in Port de Pollença ließ ihn zu Filzstift und Papier greifen. "Das war, als ob mich ein Virus befallen hätte, der sich periodisch und immer öfter reproduzierte."
Musste L'Amo anfangs erfassen, was er vor sich hatte, ist es heute das, was in ihm ist. Derzeit malt er filigrane kleinformatige Bilder mit einem orientalischen Hauch, die sich auf der Grenze zwischen Abstrakt und Konkret bewegen. Einen festen Stil verfolgt er jedoch nicht. Ob Skulpturen, Fotografien oder Malerei, er sagt von seiner Kunst: "Ich mache sie nicht, um zu verkaufen, sondern um sie anzuschauen." Ist ein Werk fertig, registriert er es in einem Verzeichnis, lädt es auf seine Website (www.tomeulamo.com) hoch, und betrachtet es. "Damit ist das Werk beendet", sagt er.
Mehr als 4000 Werke hat er registriert. Ein Bild fehlt freilich in seinem Atelier: das von Dalí. Mit Echtheitszertifikat und nach der Veröffentlichung seines Buches und der Filmpremiere will Tomeu L'Amo nun das Bild verkaufen. "Der Authentizitätsnachweis und der Erhalt des Gemäldes haben mich sehr viel Geld gekostet", begründet er dies. Verwahrt ist es bis dahin nicht in seinem Atelier, sondern an einem sicheren Ort. Der Künstler sagt: "Ich könnte sonst nicht ruhig schlafen."
(aus MM 46/2016)
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