Aus der Natur lernen und disruptive Innovationen voranbringen, also bestehende Technologien verdrängen. Das haben sich die Wissenschaftler der Europäischen Biomimicry-Gesellschaft auf ihre Fahnen geschrieben. Beim ersten Europa-Treffen dieses jungen Wissenschaftszweigs auf Mallorca haben die rund 40 Wissenschaftler versucht, Denkanstöße zu setzen.
Es ging um neue Konzepte für die Landwirtschaft der Insel. Mit dabei war der 35-jährige Berliner Dr. Arndt Pechstein. Er hat 2013 mit einigen Mitstreitern die erste Biomimicry-Gesellschaft in Deutschland gegründet und ein Jahr später bereits den deutschen "Land-der-Ideen-Preis" gewonnen.
"In Deutschland gab es das Konzept noch nicht, nur die Bionik, die biologie- und technikbasiert ist. Sie hat aber keine Nachhaltigkeit im Fokus und sucht keine systemische, sondern punktuelle Lösungen für Probleme", sagt er. Die Methodik der Biomimicry ist derjenigen der Bionik aber ähnlich.
"Man schaut in die Natur, abstrahiert das Designprinzip und überträgt es auf die technologische Version", sagt Pechstein. So sind moderne Badeanzüge nach dem Prinzip der Haifischhaut konzipiert worden (siehe Grafik). Während die Bionik sich beispielsweise darauf beschränkt, den Kotflügel eines Autos aerodynamischer zu machen, stellt die Biomimicry das Auto als Transportmittel infrage. "Wir wollen logistische Probleme lösen, neue Businessmodelle entwickeln."
Das hat er auch schon für den Autohersteller Audi gemacht in dessen Ideenwettbewerb "Urban Initiative", in dem es um neue Konzepte für die Marke geht - in Zeiten des VW-Skandals aktueller denn je. "Wir haben Zielsteuerungen entwickelt, also Leute nicht erst ins Fahrzeug zu setzen und dann zu schauen, wo sie hinfahren wollen, sondern vorher zu checken, wo sie hinwollen und dann zu verteilen", erklärt er.
Auch die Architektur sei relevant. "Wenn man sich die Zahlen für Berlin anschaut, ist das erschreckend. Das Auto als Ressource wird nur zu fünf Prozent seiner Lebenszeit genutzt, die restlichen 95 Prozent steht es herum", sagt er. "Die absurdeste Zahl ist die, dass der Verkehr zur Rushhour zu einem Drittel Parkplatz-Suchverkehr ist. Das ist ein ineffizientes System, trotzdem akzeptieren wir das", meint Pechstein.
Gewonnen hat sein Team den Wettbewerb nicht, vielleicht war das Konzept mit einer Mischung aus privatem und öffentlichem Verkehr dem Autokonzern noch zu revolutionär. Noch ist es das Ziel der der Konzerne, möglichst viele Fahrzeuge an möglichst viele Menschen zu verkaufen. Pechstein sagt: "Wir wollen das Auto ja nicht überflüssig machen. Ich glaube aber nicht, dass Autokonzerne in 20 Jahren nur Autos verkaufen. Sie werden Mobilität verkaufen und wie das aussehen wird, ist eben die Frage."
Es war in der New Yorker U-Bahn, wo Arndt Pechstein den Satz gelesen hat, der zum Leitmotiv seiner wissenschaftlichen Arbeit wurde. "Don't be succesful, be significant" - "Sei nicht erfolgreich, sei bedeutsam". Der 35-Jährige hat ursprünglich Biotechnologie in Halle studiert, dann den Doktor in Neurowissenschaften an der FU Berlin gemacht und ein Post-Doktoranden-Studium am Karolinska-Institut in Stockholm drangehängt.
Auf Mallorca ist Pechstein zum ersten Mal. "Wir haben verschiedene Landwirtschaftskonzepte entwickelt, in denen traditionelle Landschaft und Natur wiederhergestellt wird", sagt Pechstein. Durch intensive Landwirtschaft verwittert und erodieren Böden, Nährstoffe müssen künstlich hinzugefügt werden, Wasser hält sich nicht im Boden.
"Durch Umwälzung wird der Boden zerstört. Man kann Ackerbau mit Viehhaltung koppeln, in der Natur laufen Herden über den Rasen. Das wälzt den Boden so um, dass er sich wieder regenerieren kann." Die Wissenschaftler überlegten unter anderem, wie Mallorca früher autark seien konnte und welche Agrarkonzepte es auf der Insel gab. "Viel ist ja verloren gegangen, weil wir dachten, dass Technologien das überflüssig machen", meint er.
Die Anpassung der menschlichen Lebenswelt an die Umwelt passiert seiner Meinung nach viel zu wenig. "Jetzt bauen wir überall die gleichen Klötze hin." Ein Blick in die Natur könne helfen, schließlich sei sie dem Menschen 3,8 Milliarden Jahre voraus.
Wer sich derart intensiv mit der Natur und ihrer Perfektion auseinandersetzt, kann leicht über die Zerstörungswut des Menschen verzweifeln. "Ich bin aber trotzdem Optimist", sagt er und begründet das auch. Forschungen belegten, dass es einem Großteil der Menschen heute besser geht als vor 50 Jahren. Ein Umdenken werde auch in Zukunft stattfinden. "So wie man in den 90ern sagte, eine Firma ohne E-Mail wird keine Chance haben, so glaube ich, dass wir in 20 Jahren sagen können: Eine Firma, die nicht nachhaltig arbeitet, wird keinen Bestand haben."
Dennoch betont auch Pechstein: Selbst wenn die Menschheit jetzt alles stoppen würde, um ab morgen nachhaltig zu leben, würden die Auswirkungen des bisherigen Handelns noch mindestens 50 Jahre spürbar sein. "Es würde auch weiterhin eine Verschlimmerung geben, bis sich das Gleichgewicht wieder einstellt", sagt er.
Generell spürt er aber ein Umdenken, auch wenn es noch zu wenig unter den Entscheidern stattfinde. "Viel passiert aber durch Basisbewegung, kleine Communitys, die selbst etwas entwickeln. Bis der alte Businessansatz, der nur auf Wachstum basiert, umgedacht wird, das dauert aber", sagt er.
Pechstein glaubt, dass die Ideen der Natur künftig mehr Gewicht bekommen werden. Dazu gehört auch das Prinzip des Teilens, der Sharing-Economy. "Die Produkt- und Besitzgesellschaft wird mehr und mehr abgelöst."
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