Es ist, als wolle der Sommer niemals enden: Bei 30 Grad, keinem Wind und viel Sonne bräunen sich zahllose Feriengäste wohlfeil am weißen Strand. Bierbäuche und trainierte Lenden setzen sich in Cala Millor, dem beliebten Urlaubsort an der Ostküste Mallorcas, der noch immer starken Strahlung aus, nur das lange nicht mehr so grelle Licht erinnert den MM-Emissär am Montag, 2. Oktober, daran, dass schon längst Herbst ist. Hannes Schmidt fühlt sich sichtlich pudelwohl. Der Urlauber aus dem Ruhrgebiet, der nach eigenen Angaben erst am Samstag samt Familie angereist war, blickt auf der Promenadenmauer mit einem fast glückselig breiten Lächeln in die schrägstehende Sonne.
"Wir kommen am besten jetzt immer im Herbst hierher", sagt er. "Ist doch viel schöner als im Sommer. Da verbrennst du ja!" So wie der fröhliche Feriengast scheinen viele zu denken, die in das Jahr nach Jahr schicker wirkende Feriendorado an der Ostküste finden. Der Strand ist voll, das Wasser noch mehr als angenehm, auf den Hotelbalkonen und in den Bars und Restaurants tummeln sich die Gäste mit genießerischen Attitüden wie dem Halten von Weingläsern. Die Farbe Weiß dominiert, mehr und mehr wird der Ort zu einer Art Insel-Miami-Beach.
Was auch für die Fußgängerzone Carrer Cristofol Colom gilt. Die wurde im Winter einer Rund-erneuerung unterzogen: Metallstrukturen wurden installiert, zeitgemäß helle Steinbänke, der kachelähnliche Belag mutet – weil auf schnittige Weise kleinteilig – fast künstlerisch an. Hier und dort strahlen völlig neue Apartmentgebäude unter der Sonne. Und in den kommenden Wintermonaten sollen noch weitere Straßen verschönert werden. Vorbei sind die Zeiten, als einem beim Anblick grauer Waschbetonplatten und verschmutzter Hauswände kübelweise eiskalte Schauer über den Rücken herunterliefen. Heute kann man sich in der Fußgängerzone bei Lacoste, Mango oder Esprit mit adretten Fummeln eindecken und sich danach in der Wellness-Bar Capitan Hook einen oder mehrere Aperol Spritz genehmigen. Der einst dominierende Schmuddel – hier und dort gibt es noch miefige T-Shirt-Läden mit "I-love-MILFS" oder ähnlich anzüglichen Aufdrucken – wird zunehmend verdrängt.
Es ist eher still in Cala Millor, man könnte sagen gemütlich: Kein Trunkenbold grölt, die meist deutschsprachige Urlauber genießen den Sommer, der eigentlich Herbst ist: Stämmige rollbrüstige Frauen flanieren auf der Promenade, auch muskelbepackte Jung-Machos und – Hand in Hand – immer wieder ältere Ehepaare. All diese Inselfreunde geben in Geschäften und Restaurants hart erarbeitetes Geld aus. Und so ist das Eiscafé La Sirena ebenso gut besucht wie das Restaurant Waikiki, auf welchem eine überdimensionale rote Plastik-Garnele thront. Dort sitzt Urlauberin Celina und nippt an einem Weißwein. "Es ist schon einiges besser im Ort geworden", flötet die Deutsche, die immer wieder zur Ostküste kommt. Ihre Stimme ist klar wie ein rauschendes Bächlein: "Toll!"
Auch das in der Binicanella-Straße befindliche Modegeschäft von Jenny Matthias (Jenny Delüx), die durch die Fernseh-Serie "Goodbye Deutschland" bekannt wurde, wird von vielen aufgesucht. Die Bundesbürgerin, die zeitweise als Freundin des im November 2018 verblichenen Kult-Auswanderers Jens Büchner fungierte, ist während des MM-Besuchs abwesend, eine Mitarbeiterin bedient gerade eine Kundin. Nicht weit entfernt passiert vor und in Jens Büchners ehemaligem Lokal Fanetería, das jetzt Die verrückten Auswanderer heißt, nichts. Der Gastbetrieb ist trotz der vielen Touristen geschlossen.
Cala Millor wird zunehmend der Bewegung der trutschigen deutschen Pril-Aufkleber- und Waschbetongesellschaft hin zu einem wellnessorientierten Selbstverständnis gerecht. Der Wandel von Afri-Cola und Erasco-Hühnernudeltopf hin zu Latte Macchiato und Buddha-Bowl ist spürbar. Und dennoch: Die kuschelige deutsche Gemütlichkeit, die andernorts einer aufgestylten Hektik gewichen ist, ist hier geblieben. Das macht Cala Millor zu einem weiterhin im positiven Sinne profanen Ferienort, der die Menschen trotz einiger Bausünden antörnt.
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