Wenn Pepe Marroig das Wort „Barbarela” hört, dann hellen sich seine Gesichtszüge auf. Dann blickt der grauhaarige Mann noch elegischer als ohnehin schon ins Leere. Der mittlerweile 65-Jährige sitzt auf der Terrasse seiner Bar mit dem sinnigen Namen Polka an der Joan-Miró-Straße in Palmas heruntergekommenem Gomila-Viertel, nippt mit gespitzten Lippen an seinem „café cortado” und erinnert sich mit leisen Sätzen an früher. Einige der Begebenheiten, die er schildert, hielt er in einem schmalen Buch fest, „Gomila Babilonia”, das im Rapitbook-Selbstverlag (Preis: 10 Euro) auf Spanisch kürzlich erschien.
„Ja, das Barbarela!” Damals in den 1970ern ging in der Diskothek in dieser Gegend zwischen der Kurve, wo die Schweden-Kirche liegt, und einer Stelle, wo es heute einen Mercadona-Markt gibt, die Post wie kaum woanders in Europa ab, wie Pepe Marroig schwärmt. Gogo-Girls hätten dort ihre Hüften geschwungen, ein Novum im damals sittenstrengen Spanien, der unvergessene James Brown, B. B. King, Demis Roussos, José Feliciano („Feliz Navidad”) waren da – die weltbekannten Superstars der äußerst bewegten Musikszene jener Zeit. Sie hätten sich im Barbarela die Klinke in die Hand gegeben, erinnert sich Pepe Marroig. „Doch ein paar Jahre später war Schluss damit”. Der zum grauhaarigen Veteranen mutierte Rocker runzelt die Stirn. „Später wurde dort Essen zum Mitnehmen verkauft.”
Vor allem in den 1980ern war der junge Marroig, ein Gomila-Gewächs mit metertiefen Wurzeln, immer mitten drin. Der Bar-Zampano bewegte sich hier in dieser Gegend an der kilometerlangen Joan-Miró-Straße wie ein Fisch im Wasser. Er tat es mit vielen Gleichgesinnten, die musikvernarrt von Lokal zu Lokal gingen. Die den Geist der Zeit in vollen Zügen in sich hineinsogen. Besonders gern zog es Pepe in ein gleichnamiges Vorgänger-Etablissement der Polka-Bar, das bis 1991 existierte. Ein kurzlebiges Nachfolgelokal ehrte er um die Jahrtausendwende ebenfalls wiederholt mit seiner Anwesenheit.
Man sieht Pepe Marroig noch heute an, dass er wohl kaum etwas ausließ. Der umtriebige Party- und Bar-Bolzen kam in die Nähe so manch eines Welt- oder Spanienstars, der in dieser damals glamourösen Gegend vor feierwütigen Menschen auftrat.
Schon 1968, als Pepe Marroig gerade elf Jahre alt war, gastierte am 15. Juli der unvergessene Jimi Hendrix in Gomila in der Diskothek Sergeant Peppers. Der Star spielte die zahlreichen Besucher mit seinen virtuosen Gitarrenklängen im Handumdrehen in den Rausch.
Doch mit seinen kurzen Hosen sei er leider nicht hineingekommen, merkt Pepe Marroig fast schnodderig an. Und nippt weiter an seinem Cortado. Damals, unter Diktator Franco, sei man als Junge halt nicht in ein Erwachsenenlokal vorgelassen worden. Marroig, den fast alle hier an der Miró-Straße grüßen, lächelt wehmütig. Mal wieder. Und er lässt auch die Vorgängerzeit in den 1950er Jahren nicht unerwähnt, die er nicht so präsent hat. Damals ließen sich im unterhalb von Gomila gelegenen Tito’s Weltgrößen wie Marlene Dietrich oder Louis Armstrong blicken. „Die Vergangenheit wird unvergesslich sein”, sagt der Zeitzeuge. Damals sei Gomila ein weiteres Zentrum von Palma gewesen. „Touristen und Einheimische kamen in den Bars zusammen, sie überschwemmten die Gegend oberhalb des Paseo Marítimo.”
Und heute? Die Gomila-Gegend sei nur noch ein Schatten ihrer selbst. Glamouröse Discos findet man nicht mehr, stattdessen teilweise leerstehende, sehr in die Jahre gekommene Gebäude, wo auch Obdachlose hausen. Hinzu kommen geschlossene Latino-Tanztempel, Supermärkte und Billig-Pinten. Und die Polka-Bar, wo Pepe und seine Frau Carmina Salas die Stellung halten und sich nach Kräften bemühen, ein rockiges Nacht-Gefühl aufrechtzuerhalten.
Wie anders geht es doch wenige Meter entfernt zu! „Manchmal dringt Reggaeton-Musik herüber”, ärgert sich Pepe Marroig. Jener älteren Semester fremd anmutende Sound, der vor allem Latino-Youngster begeistert. Der Rocknarr schüttelt sich. „Mit dieser Musik kann ich so gar nichts anfangen.”
Dennoch will Pepe Marroig das heutige Gomila nicht verdammen. Angesichts der vielen Nationalitäten auf engstem Raum fühle man sich hier „wie auf einem internationalen Flughafen”. Das sei „bunt und unterhaltsam”. Dass Ausländer hier im Augenblick moderne Wohnungen bauen, begeistert ihn dagegen nicht so sehr, zumal er noch nicht gehört habe, dass irgendjemand hier eine neue Glamourdisco im Stil von früher aufmachen wolle. „Das Tito’s gibt’s ja auch nicht mehr.”
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