Sabrina Vitalini kann sich noch ganz genau an den Moment erinnern, in dem die Diagnose kam. Es war der 19. September 2018, 20.30 Uhr. Die deutsch-spanische Familie erfuhr, dass der damals zweieinhalbjährige Sohn Louis an Leukämie leidet. „Der Kinderarzt hat es uns am Telefon mitgeteilt und gesagt, wir sollen sofort nach Son Espases in die Notaufnahme fahren”, erinnert sich die junge Mutter.
Im Sommer 2018 fiel der Karlsruherin, die seit sieben Jahren auf Mallorca lebt, auf, dass ihr Sohn sehr blass war und starke Augenringe hatte. Beim Kinderarzt ließ sie daraufhin ein Blutbild machen. „Ich dachte, es sei Eisenmangel oder so.” Doch der Junge musste an jenem Abend im September die ganze Nacht über in der Notaufnahme bleiben, bekam am nächsten Tag einen Venenkatheter gelegt und die erste Chemo verpasst. 57 Tage lang verbrachte Louis daraufhin in einem Isolierzimmer, seine Mutter konnte immer bei ihm bleiben. Er zählte zur Hochrisikogruppe.
Wie erklärt man einem Kleinkind, dass es an Krebs leidet? „Ich habe Louis immer erzählt, dass es in seinem Blut Soldaten gibt, die krank geworden sind.” Er habe das ganze Prozedere im Krankenhaus gut angenommen. „Der Kleine war tapferer als wir”, sagt die 31-Jährige. In der Zeit in Son Espases schauten Mutter und Sohn viele Bücher an, guckten Filme und spielten mit einer Autorennbahn. „Louis liebt Autos”, fügt sie an. Im November 2018 konnte der Junge zum ersten Mal die Klinik wieder verlassen.
Es gab eine kleine Pause im Zuhause der Familie in Campos, bevor die zweite Chemotherapie losging. Über Weihnachten durfte Louis dann wieder nach Hause. „Es war ein schönes Fest, es fühlte sich ein bisschen an, als wäre alles normal.” Bei den Erinnerungen an Weihnachten 2018 bekommt Sabrina Vitalini feuchte Augen.
Die Frage, ob sie eine starke Frau sei, will die junge Mutter nicht hören: „Ich glaube, das schafft jeder, so eine Situation durchzustehen. Es bleibt einem ja auch keine andere Wahl.” Insgesamt drei Intensivzyklen Chemotherapie macht Louis durch. Es ist eine schwere Zeit voller Sorgen. Nach jeder Chemo fallen die frisch nachgewachsenen Haare wieder aus. Auch in den Chemopausen muss das Kind immer wieder ins Krankenhaus, weil es sich einen Infekt zugezogen hat. „Das Immunsystem ist durch die Therapie natürlich auf null.”
Wer dem Jungen besonders durch die langen Tage in der Klinik geholfen hat, waren die Krankenhausclowns von „Sonrisa Médica”, die mehrmals pro Woche die krebskranken Kinder in Son Espases besuchen. Sie waren das Highlight für ihn, erzählt seine Mutter. „Sie haben es geschafft, selbst uns Eltern zum Lachen zu bringen – und mir war wirklich nicht zum Lachen zumute.”
Sabrina Vitalini hat sich nicht etwa an das Mallorca Magazin gewandt, um mit ihrer Geschichte Mitleid zu erregen, vielmehr möchte sie auf „Sonrisa Médica” aufmerksam machen. „Es ist schade, dass die Krankenhausclowns so ums Überleben kämpfen müssen.” Denn dem Verein sind im Zuge der Corona-Pandemie viele Spenden weggebrochen, derzeit läuft eine Crowdfunding-Kampagne.
Seit dem 6. Dezember 2020 gilt Louis als krebsfrei. Derzeit muss er monatlich zur Kontrolle ins Krankenhaus, die Abstände werden aber immer größer. Auch in dem ambulanten Bereich des Klinikums kommen die Krankenhausclowns. „Es ist immer eine Tortur für Louis, wenn sie nicht da sind.”
Über seine Erkrankung spricht Louis nicht, auch das Krankenhaus betritt der Junge – verständlicherweise – nur sehr ungern. „Er will damit nichts mehr zu tun haben. Ich denke, er muss das noch verarbeiten.”
Viele Angebote, die es im deutschen Gesundheitssystem gibt wie Reha und Mutter-Kind-Kuren, sind in Spanien Fehlanzeige. „Hier bekommt man die Chemo und muss gesund werden.” Auch finanzielle Unterstützung oder psychologischen Beistand erhalten Betroffene nicht. Sabrina Vitalini lernte im Krankenhaus Familien kennen, die durch die Krebserkrankung eines Kindes in die Armut abrutschten: „Zu dem ganzen Mist kommen dann noch die Geldsorgen, das ist echt hart.” Zwar stockt die Seguridad Social bei Eltern das Gehalt ein wenig auf, wenn diese zur Pflege eines schwerkranken Kindes Arbeitsstunden reduzieren müssen, doch Sabrina Vitalini findet das zu wenig. „In so einer Situation Teilzeit arbeiten und für das Kind da sein, das geht nicht.” Sie erzählt von durchwachten Nächten voller Sorgen, Fieber und Chemotherapien: „Das Kind braucht einen 24 Stunden am Tag. Wie soll man da noch arbeiten gehen?”
Traurig machten die Mutter auch einige Reaktionen auf die Krankheit von Louis: „Krebs bei Kindern, da will keiner drüber reden, das will keiner sehen.” Wenn der Junge mit seiner Atemschutzmaske und dem Kopftuch auf dem Spielplatz erschien, sei dieser oft in Sekundenschnelle leer gewesen. „Dabei trifft ihn doch gar keine Schuld.”
Der fünfjährige Louis besucht mittlerweile die Vorschule in Campos, er hat einen besten Freund gefunden und angefangen, Fußball zu spielen. Voller Stolz sagt seine Mutter: „Louis ist ein hübscher, fitter Junge geworden.”
(aus MM 42/2021)
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