Als bekannt wurde, dass man sich bald vor allem drinnen aufhalten sollte, war der Run auf die Baumärkte, zumindest in Deutschland, enorm. Die Leute schlugen sich um Farbe, Hammer, Bretter und Tapeziermaterial. Wenn schon dazu verdonnert, drinnen zu sein, dann wollte man es sich wenigstens nett machen. Oder praktisch deutsch gedacht: die Zeit optimal nutzen. In Spanien blieb den Menschen keine Zeit, sich mit Pinsel und Farben einzudecken, zu schnell schlug die komplette Ausgangssperre zu und mit ihr auch die Schließung der Baumärkte.
Nun harrt man seit Wochen in den eigenen vier Wänden aus. Manche haben Platz und den Luxus eines Gartens, andere teilen sich eine kleine Wohnung. Die Zwangshöhle kann zur Hölle werden. Sie kann aber auch Schutz bieten.
„Ich finde den Begriff der Höhle sehr passend“, sagt Innenarchitektin Katrin Ackfeld aus Sineu. „Eine Höhle ist ein Rückzugsort, ein Ort, der schützt. Die Dinge dort sind vertraut, ich fühle mich sicher – niemand kann mich hier anstecken.“
Was diesen Rückzugsort jetzt zu einem guten Ort macht, ist Geschmackssache. Für viele scheint es wichtig zu sein, dass diese kleine Welt strukturiert und überschaubar ist. Wenn draußen schon das gefühlte Chaos tobt, soll es drinnen geordnet und ordentlich zugehen. Nicht wenige Menschen hat ein regelrechter Ordnungs- und Strukturwahn befallen. Auch Katrin Ackfeld sagt: „Ich habe am Anfang der Ausgangssperre direkt radikal aufgeräumt.“
Manch anderer möchte an der Wohnung zurzeit lieber nicht zu viel rütteln um die gewohnte Ordnung oder auch Unordnung nicht auf den Kopf zu stellen und priorisiert andere Dinge als Putzen und Aufräumen. „Ich arbeite weiterhin von zu Hause aus. In meinem Feierabend möchte ich Dinge tun, die mir guttun, wie lecker kochen oder Klavier spielen. Geputzt wird zwar auch, aber nicht mehr als sonst“, sagt Bloggerin Julia Meier aus Palma.
Andere brauchen gerade jetzt vertraute Dinge. Das kann das Lieblingskissen sein oder die Bilder der Familie an der Wand. Das gibt Halt. „Es gab die Idee, vor der Ausgangssperre mit ein paar Freunden für die Zeit in ein Haus aufs Land zu gehen“, so Weinhändlerin Uta Gritschke. „Jetzt bin ich sehr froh darüber, in Palma geblieben zu sein, hier in meiner Wohnung, mit meinen Dingen.“
In Spanien findet das Leben eher draußen statt. Viele tun sich mit dem Eingeschlossensein schwerer als so manches Nordlicht, das es gewohnt ist, viele Wochen im Jahr drinnen zu sein. Entsprechend hat sich auch der Sinn für Einrichtung entwickelt. „Nicht umsonst ist der schwedische oder dänische Einrichtungsstil inzwischen eine richtige Marke geworden“, so die Expertin für Wohnen, Ackfeld. In diesen bis zur Perfektion eingerichteten Wohnungen lässt sich eine Zwangsquarantäne womöglich besser aushalten als in einer zweckdienlichen.
Und so wie Kinder ihre Nase ab und zu aus ihrer Höhle strecken, um sich zu vergewissern, dass draußen noch alles okay ist, so müssen auch wir den Kopf zwischendurch lüften. Das Gesicht in den Wind und die Sonne halten, bekommt jetzt eine ganz andere Bedeutung. Plötzlich füllen sich Balkone, Terrassen oder kleine Gärten, die sonst stiefmütterlich verlassen daliegen. Auch tut es gut, das Leben der anderen da draußen zu spüren und ein wenig daran teilzuhaben. Musik, die durch das offene Fenster hereinweht, das Gespräch der Nachbarn von Brüstung zu Brüstung, der Familie im Erdgeschoss vom Balkon aus zuzuschauen, wie sie die Choreographie für einen Tanz einstudiert und sonntags die Paella zubereitet. Einen kleinen Ausguck sollte die Höhle also haben, um das zurückgezogene Leben zu erleichtern.
Die Vögel zwitschern draußen, der Frühling ist in vollem Gange. Nach den vielen Wochen zieht es die Menschen immer stärker nach draußen. Vielleicht wird es zuerst ein wenig ungewohnt sein, aus unserem Wohnungskokon nach draußen zurückzukehren. Ein wenig grell, das Sonnenlicht, vielleicht beunruhigend, der Trubel von Menschen. Aber ganz sicher wird es auch fantastisch sein.
(aus MM 16/2020)
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