Ein durchtrainierter junger Mann lächelt Facebook-Usern auf einem Foto entgegen. "Ich bin schon kräftig am trainieren, will am Strand ja was hermachen. In 53 Tagen geht es looos", steht unter dem Foto. Drei Stunden nach der Veröffentlichung des Posts in der öffentlichen Facebook-Gruppe "Mallorca 2017" hat er bereits 104 Likes und 23 Kommentare. "Bei mir ist es auch bald so weit", schreibt eine Userin und fügt einen lachenden Smiley an. "Ballermann ich komme", schreibt ein anderer. Ein anderer Post zeigt ein unspektakuläres Bild aus einem Auto heraus fotografiert. "Playa de Palma, heute morgen" steht darunter. 81 Likes in zwei Stunden. "Wer ist Ende Juni vor Ort", fragt eine Nutzerin und erhält prompt 22 Antworten.
Mallorca-Liebe und soziale Netzwerke - das gehört mittlerweile zusammen wie die Sonnenbrille zum Strandhandtuch. Gerade jetzt, im Winter, scheint es die deutschen Urlauber in spe besonders nach Eindrücken ihrer Lieblingsinsel zu gelüsten, ganz nach dem Motto "Januar, Februar, März, April, die Vorfreude steht niemals still", wie es ein Mitglied der Gruppe "Mallorca 2017" treffend auf den Punkt bringt.
Zahlreiche Gruppen sind bei Facebook und Co. zu finden, viele von ihnen haben mehrere Tausend Mitglieder. "Alle, die 'süchtig' sind und 'süchtig' danach werden wollen, sind herzlich willkommen", heißt es in der Beschreibung der Gruppe "Mallorca süchtig". "Ich mag Cala Millor. Wer das von euch sagen kann, ist hier richtig", ist der Untertitel der Gruppe "I love Cala Millor". Viele der bei Deutschen beliebten Urlaubsorte haben lokale Gruppen, besonders in Cala Rajada verfolgen zahlreiche User "I love Cala Rajada" oder "Cala Rajada Insider" die Posts von Deutschen vor Ort, die Fotos veröffentlichen oder aktuelle Wettermeldungen geben. Hier wird Organisatorisches geklärt ("Wer kann dieses Hotel empfehlen?") und Kontakte geknüpft ("Wer ist Ende Mai vor Ort?"), vor allem aber geht es um die Vorfreude. "Sehr schöne Fotos, da bekommt man Sehnsucht", schreibt eine Nutzerin unter eine aktuelle Fotoserie vom Cala-Agulla-Strand. Sie hat bereits 222 Likes.
Dass Vorfreude für viele zum Urlaub dazu gehört, ist bekannt. "Was ist noch schöner als der letzte Urlaub? Die Vorfreude auf den nächsten", fasst Tourismusforscher Horst Opaschowski zusammen. "Urlaub ist die populärste Form von Glück. In unseren Urlaubssehnsüchten lebt das Paradies als Insel weiter", erklärt er das Phänomen.
"Vorfreude ist ein wichtiger Bestandteil, um sich mental auf den Urlaub einzustimmen. Sie kann positive Abrufreize aktivieren und Urlaubsgefühle wecken", bestätigt auch Hans-Peter Herrmann. Er ist Autor des Lehrbuchs "Tourismuspsychologie" und lehrt an mehreren Hochschulen Deutschlands. Dennoch ist er sich sicher: "Ein echtes Wohlbefinden im Sinne von Ausgeglichenheit und Erholung stellt sich erst im Laufe des Urlaubs ein."
Trotzdem sind soziale Netzwerke ideal geeignet, um aus geteilter Freude doppelte Freude zu machen. Hoch im Kurs stehen beispielsweise digitale Countdowns, die die Tage und Stunden bis zum nächsten Mallorca-Urlaub zählen, und die die User auf Facebook teilen.
"Die übergroße Mehrheit der Menschen sammelt auf ihren Reisen stets positive Urlaubserfahrungen und verknüpft diese mit den jeweiligen Urlaubsorten, fern von der Heimat. Es besteht eine starke Sehnsucht nach Ferne", erklärt Herrmann. Dennoch warnt er davor, sich allzu sehr in die Vorfreude hineinzusteigern. Auch schöne Momente im Alltag zu Hause seien wichtig. "Für viele gehören die Urlaubstage zu den wichtigsten Tagen im Jahr. Eine Enttäuschung entsteht immer dann, wenn die Erwartungen stark von der real erlebten Urlaubssituation abweichen."
"Vielleicht besteht Urlaubssehnsucht darin, Seelenbaden genau so wichtig wie Sonnenbaden zu nehmen", vermutet auch Horst Opaschowski. Bei zu hohen Erwartungen könnten Enttäuschungen kaum ausbleiben.
Beide Experten sind sich einig: Selbst wenn im Urlaub auch mal negative Erfahrungen gemacht werden, sind diese oft schnell wieder vergessen. "Schlechte Ereignisse werden tendenziell schneller vergessen als positive Erlebnisse. Das führt dazu, dass nach einer gewissen Zeit fast ausschließlich positive Urlaubserinnerungen das Gedächtnis dominieren", so Herrmann. Täglich neue Fotos von der türkisfarbenen Lieblingsbucht im Netz zu betrachten, verfestigen die Verherrlichung.
Ist Mallorca in den Köpfen der in Deutschland vorm PC sitzenden Urlauber also viel schöner als in Wirklichkeit? Wohl kaum. Selbst Tourismusprofi Opaschowski ist von der Insel begeistert. "Meine Sehnsucht nach Mallorca heißt Port de Sóller", gibt er zu.
(aus MM 08/2017)
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