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On dark desert highway, cool wind in my hair,
warm smell of colitas,
rising up through the air

Als der Arzt Francisco Sancho Mas, nach dem in Palma sogar eine Straße benannt ist, 1885 das Anwesen in der Bucht von Can Bàrbara bei Palma kaufte, war die damalige Landstraße Carretera de Andratx noch nicht einmal asphaltiert. Heute verläuft sie als Avinguda Joan Miró durch Häuserschluchten, die den Blick auf das Meer versperren. Damals bot sie Reisenden das volle Panorama der Küste und des Hinterlandes mit bewaldeten Bergen und den vorgelagerten Mandelplantagen. Die typische Agrarlandschaft der Insel, die heute erst weit im Rücken der Stadt beginnt, lag damals noch direkt vor der Haustür.

Wie das Herrenhaus, das nach seinem prominenten Besitzer im Volksmund noch lange "Can Sancho" hieß, zum "Hotel California" wurde, ist eine dieser verworrenen Geschichten aus der Frühphase des Mallorca-Tourismus. Die Fakten aus den 1950er Jahren sind ebenso im Strudel der Vergangenheit verloren gegangen wie das herrschaftliche Haus selbst. Einzig einige wenige alte Fotos und vergilbte Postkarten erinnern an den ehemaligen Übernachtungsbetrieb; eine nahe gelegene Bar in der Joan Miró trägt heute noch den Namen "California".

Up ahead in the distance
I saw a shimmering light

Dort, wo das Haus einst auf einem Hügel am Meer thronte, ragt heute ein gesichtsloses Wohnsilo in den Himmel. Der Aufstieg und Fall des Hotels California kann stellvertretend stehen für den Wandel, den der gesamte palmesaner Meeresstadtteil El Terreno - vom einst privilegierten Villenviertel zum heutigen Schandfleck - durchleiden musste.

There she stood in the doorway,
I heard the
mission bell (...)
Then she lit up a candle,
and she showed me the way

"Ich kann dir kaum weiterhelfen, ich würde selbst gerne mehr wissen", sagt Rosa, die Urenkelin des Arztes und die Historikerin der Familie. Aus welchem Grund das Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert den Namen des US-amerikanischen Sonnenstaates erhielt, ist nicht überliefert. Nur so viel: Ihr Urgroßvater ersteigerte ein Militärgebäude, das "Polvorín", offenbar ein Munitionsdepot oberhalb der Bucht. Vermutlich war er es auch, der es zu einem Herrenhaus im Regionalismo-Stil umbauen ließ, mit weitläufigen Sälen, die an Gartenterrassen endeten, einem voluminösen Ziegeldach, einen Aussichts-turm, Gediegenheit pur.

Sancho Mas' Kinder erblickten in dem Anwesen das Licht der Welt, auch seine Enkel und Urenkel (bis auf Rosa) stießen dort ihren ersten Schrei aus.

Das Haus wurde weitergereicht an die nächsten Generationen, die Zahl der Besitzer wuchs, auch wenn sie gar nicht mehr dort lebten, sondern mittlerweile eigene Häuser besaßen. "Doch die Familienfeiern fanden im Mai in Can Sancho statt, so auch meine Kommunionsfeier", erinnert sich Rosa, Jahrgang 1953.

In jenen Jahren änderten sich die Verhältnisse in Can Sancho grundlegend: Großvater Aurelio Aguilar war bereits 1950 gestorben und so beschlossen seine drei Kinder, das Gebäude in ein Hotel umzuwandeln. Onkel Francisco erhielt 1954 beim Zivilgouverneur die Genehmigung für den Übernachtungsbetrieb sowie die Erlaubnis, für 20 Jahre den Schriftzug "Residencia - Hotel California" als Namenszug an dem Gebäude anzubringen.

Welcome to the Hotel California,
such a lovely place, such a lovely face.
Plenty of room at the Hotel California,
any time of year, you can find it here

Can Bàrbara war damals eine beliebte Badebucht am offenen Meer. Halb Palma suchte hier im Sommer Abkühlung. Der Bau des Paseo Marítimo, der die Bucht von der See abtrennte und in ein Hafenbecken verwandelte, bestand damals nur in den Projektplanungen der Ingenieure und Architekten. Doch bald luden die Lastwagen Geröll und Bauschutt im Meer ab, um Land zu gewinnen. "Ich weiß, wie wir alle gingen, um die Betonblöcke im Meer zu betrachten, auf denen dann die Fahrbahn für die Autos errichtet wurde", lässt Rosa ihre Kindheitserinnerungen aufleben.

Der Impulsgeber, Onkel Francisco, bis dahin Junggeselle, heiratete und zog nach Barcelona. Was tun mit dem Hotel? Es wurde verpachtet an ein Ehepaar mit dem deutsch klingenden Namen Rudolf und Cornelia Seyffer-Moors. Doch diese Betreiber gaben das Unternehmen bald wieder auf. Der neue Pächter, ein Spanier, modernisierte hingegen den Betrieb und hatte damit anfangs offenbar reichlich Erfolg.

They livin' it up
at the Hotel California

Das Hotel verfügte mit dem "Cantabrico" über ein eigenes Restaurant, Cocktails gab es in der "Cactus Bar". Ein Reiseführer von 1963 lobte: "Zwei Tanzflächen unter dem sternbesäten freien Himmel ... bis 3 Uhr nachts Tanz, mit Bill am Piano und dem beliebten California-Trio."

How they dance
in the courtyard,
sweet summer sweat

Ein Blick in die Annalen der spanischen Tageszeitung "Ultima Hora" belegt, wie mallorquinische Frauenhelden in ihren Erinnerungen von dem Tanzsalon des Hotels schwärmten. Der Ort galt als guter Kontakthof. Vor allem die Schwedinnen erwiesen sich als willige Beute der "Latin Lover". Die Nordmannen selbst zeigten sich angesichts der Devisenvorteile hingegen als besonders trinkfreudig. Anekdotisch sei festgehalten: Zwei Schweden vergnügten sich eines Morgens im Hotel California damit, den Kellner in den Pool zu werfen, mitsamt der schicken Uniform und dem Tablett voller Getränke.

1966 wurde nach einer Anzeige wegen wiederholter nächtlicher Ruhestörung eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 Pesetas fällig.

They stab it with their steely knives,
but they just can't kill the beast

Der Niedergang war unaufhaltsam: Je mehr Can Bàrbara nach dem Bau des Paseo als Badebucht an Attraktivität verlor, desto schwieriger war es, das Hotel rentabel zu führen. Im Zuge des Massentourismus, der um 1970 einsetzte, wurden die Preise billiger, und die Gäste ebenfalls.

Rosas mündliche Familienchronik weiß zu berichten, dass der spanische Pächter am Ende nicht wenig Geld schuldig blieb und angeblich ein Feuer in dem Hotel legte, indem er das Mobiliar im leeren Pool ansteckte. Danach stand das ruinierte Anwesen längere Zeit leer.

"Ich lebte damals in Barcelona, und als ich wieder nach Mallorca kam, war das Haus abgerissen, und der Stelle stand bereits ein Betongerüst für ein Hochhaus." Das war zu Beginn der 1980er Jahre. Ihre Familie hatte nicht das Geld in die Sanierung des Hauses investieren wollen, und das Anwesen schließlich veräußert.

Rosa selbst konnte es kaum fassen: "El Terreno war nicht wiederzuerkennen. Überall wurden Wohnblöcke und Hochhäuser errichtet. Dieses Viertel ist in jenen Jahren regelrecht verhunzt worden."

Ihr selbst tut es leid, dass der alte Familiensitz nur noch auf Fotos existiert. Ihr Bruder besitzt noch einen Aschenbecher mit dem Logo des Hotel California.

And still those voices,
they're calling from far away

Der Song "Hotel California", mit dem die US-Band Eagles 1976 ihren Welthit landete und später den Grammy Award einheimste, hatte mit dem Hotel in Palma rein gar nichts gemein. Die aus Los Angeles stammende Band verneinte in mehreren Interviews, dass es ein reales "Hotel California" gegeben habe. Auf dem damaligen Plattencover war das "Beverly Hills Hotel" abgebildet.

You can check out
anytime you like,
but you can never leave

Hat "Hotel California" für Rosa eine Bedeutung, wenn es mal zufällig im Radio erklingt? "Oh ja, ich liebe dieses Lied", sagt die 60-Jährige. Es wecke bei ihr Erinnerungen an schöne Dinge. "Aber keine an das Hotel California."

(aus MM 4/2014)