Utz Claassen: Es ist ein Sachbuch, das sich damit beschäftigt, welche Problematik der bequeme Weg des geringsten Widerstandes mit sich bringt, der in aller Regel ins Verderben führt, und das präzise aufzeigt, wie man dagegen unbequem erfolgreich wird. Es geht also um ein gesamtgesellschaftliches Thema, aber etliche autobiografische Elemente fließen auch mit ein, ebenso wie sehr deutliche politische und ökonomische Aussagen.
MM: Was stört Sie an "bequemer" Politik?
Claassen: Nehmen Sie das Beispiel große Koalition. Im Wahlkampf hat die Union eine klare Aussage gemacht, dass es keine Steuererhöhungen geben werde. Wenige Tage nach der Wahl schloss Finanzminister Schäuble Steuererhöhungen nicht mehr grundsätzlich aus. Ein paar Tage danach! Die SPD hat einen Wahlkampf geführt, als ob es ohne Steuererhöhungen keine Zukunft für unser Land gebe. Dann sagt Parteichef Gabriel kurz nach der Wahl, dass man über alles reden könne, Steuererhöhungen seien kein Selbstzweck. Die Politik ist sehr beliebig und bequem geworden.
MM: Wären Sie in der Politik nicht auch anderen Zwängen unterworfen und könnten weniger unbequem sein, als Sie manchmal wollten?
Claassen: Das stimmt. Ein im Amt befindlicher Politiker muss gewisse eingespielte Grundregeln etwa der internationalen Diplomatie befolgen. Die Frage ist aber, ob ein Politiker im Wahlkampf Fakten verschweigen darf. Müntefering sagte einmal sinngemäß, man dürfe seine Partei doch jetzt nicht an Wahlkampfaussagen messen... Politik muss dieselben Maßstäbe an sich selbst legen, wie an andere, etwa an Unternehmen. Ein Firmenchef wird auch rechtlich belangt, wenn er wissentlich falsche Informationen veröffentlicht, die Politik lehnt dagegen jede Haftung für Politiker ab. Das halte ich für problematisch. Wir brauchen eine Politikerhaftung! Dasselbe gilt für sinnlose Steuerverschwendung. Sie sollte genauso bestraft werden wie Steuerhinterziehung. Beides schadet dem Gemeinwesen, das sind zwei Seiten derselben Medaille.
MM: In Ihrem Buch kritisieren Sie auch Deutschlands Rolle in der Eurokrise scharf. Warum?
Claassen: Zwar hat Deutschland von allen Flächenländern der Welt die beste ökonomische Infrastruktur, vielleicht gemeinsam mit der Schweiz, und zugleich einen unvorstellbar starken Mittelstand. Aber gleichzeitig hat Deutschland den höchsten Schuldenberg Europas, übrigens deutlich mehr als in Spanien, nicht nur absolut, sondern auch pro Kopf. Es gibt daher keinen Grund, als Lehrmeister aufzutreten.
MM: Was ist Ihrer Meinung nach das Hauptproblem des Euro?
Claassen: Das sind die wirtschaftlichen Disparitäten (Unterschiede, d. Red.) in der EU. Mit noch mehr Hilfsgeldern ist es nicht getan, auch 100 bis 300 Milliarden reichen da nicht. In Deutschland wurden 2000 Milliarden von West nach Ost gepumpt, und es ist trotzdem nicht gelungen, die Disparitäten im Land zu überwinden, zwischen Berlin und Frankfurt an der Oder sind heute Landstriche teilweise entvölkert.
MM: Was wäre also die Lösung?
Claassen: Eine Alternative wäre ein Ende mit Schrecken, was manche ja fordern. Aber dafür ist es meines Erachtens viel zu spät. Die andere Alternative ist ein neues Wissensmanagement, mehr teilen, mehr zusammenarbeiten in verschiedenen Systemen, die Dimension der Hilfe vergrößern, nicht verkleinern. Also genau das Gegenteil von dem, wo wir uns politisch aktuell hinbewegen. Schauen Sie in ihrem persönlichen Umfeld: Wenn ein Verwandter im Krankenhaus liegt, schicken Sie dem doch keinen Umschlag mit Geld. Mehr Europa muss heißen: mehr europäische Familie, das ist der einzige Weg zur Rettung, sonst kommt es zur Kernschmelze des Euro.
MM: Müssten Sie konsequenterweise nicht selbst in die Politik gehen?
Claassen: Zu einem anderen aktuellen Interview habe ich gerade eine Zuschrift bekommen, dass es mehr relevante Aussagen zu den wirklich entscheidenden Themen enthalte, als sämtliche Politiker-Interviews mit deutschen Regierungspolitikern zusammen, die der Absender in den vergangenen zehn Jahren gelesen habe. Ich will das gar nicht bewerten. Aber ganz klar: Ich werde mich engagieren, in welcher Form, das gebe ich noch bekannt. Die meisten denken, man kann die Dinge nicht ändern, oder sind einfach zu bequem. Man sucht sich sein kleines Biotop, wo man seine Ruhe hat. Das ist keine Lösung.
MM: Apropos Engagement: Sie haben sich lange nicht mehr zu Real Mallorca geäußert, wo Sie 20 Prozent der Anteile halten. Ist das Kapitel für Sie etwa abgeschlossen?
Claassen: Nein. Das Problem ist ja nicht, dass wir abgestiegen sind. Der Problemkreis ist, dass Unbequemlichkeiten erst durch Unrechtmäßigkeiten und fehlende Transparenz entstanden sind. Am 2. November ist es drei Jahre her, dass ich erstmals in RCD-Anteile investiert habe. Enttäuschend war für mich vor allem die institutionelle Entwicklung im Klub, aber solange es eine noch so kleine Chance zur Besserung gibt, werde ich weitermachen. Auf jeden Fall gäbe das genug Stoff für ein nächstes Buch.
MM: Wie sind Sie mit Ihrem anderen Engagement auf der Insel zufrieden, der Konzertreihe Música Mallorca?
Claassen: Sensationell. Ich habe in diesem Jahr wieder ein Konzert gesponsert und war begeistert von dem Niveau. Ich habe zu Palmas Bürgermeister Isern gesagt: Palma hat damit das kulturelle Niveau von Mailand oder Wien, nur mit 15 Grad mehr.
MM: Sie haben bei Ihren Engagements als Topmanager und Investor viel verdient. Welche Beziehung haben Sie zu Geld?
Claassen: Wenn ich verschiedene Phasen meines Lebens anschaue, stelle ich fest, dass mehr Geld und Wohlstand nicht zu mehr Lebensqualität geführt haben, umgekehrt Phasen, die materiell eingeschränkt waren, nicht weniger glücklich gewesen sind. Ein gewisses Minimum an Geld ist natürlich nötig, um vernünftig zu leben. Wenn ich sage, Geld ist gar nicht nötig, versündige ich mich an Menschen, die einen Mangel an Ressourcen haben. Ein gewisses Maß an Geld ist vielleicht auch nötig, um handlungsfähig und unabhängig zu bleiben.
MM: Manager gelten in unserer Wirtschaft oft als raffgierig...
Claassen: In unserer Wirtschaftsordnung ist Geld natürlich auch die Maßeinheit für den Wert, welche die Wirtschaft der eigenen Arbeit beimisst oder wie zufrieden man mit der erbrachten Leistung ist. Als Manager habe ich immer sehr vernünftige Boni gehabt und hatte nie Grund, mich zu beklagen. Ich habe dabei nie konkrete Vorschläge zu meinen Boni gemacht, was manche vielleicht glauben; das entscheiden schließlich die Aufsichtsräte. Wie es wäre, sich zu schlecht bewertet zu fühlen, das kenne ich nicht.
Die Fragen stellte MM-Redakteur Thomas Zapp.
(Das Interview erschien in der Print-Ausgabe MM 44/2013.)
INFO
Als Plädoyer gegen das Weichspülen und für die Ehrlichkeit will Utz Claassen sein 309 Seiten starkes Buch verstanden wissen. Der Weg zur Freiheit führt für ihn nur über die Unbequemlichkeit und darüber, eine "klare Kante" zu zeigen. Seine Beispiele reichen von Julius Cäsar über Schiller bis zum ehemaligen VW-Chef Ferdinand Piëch, den er bewundert. Claassen greift opportunistische und an Umfragen orientierte Politik an, als auch duckmäuserische Manager. Und spart nicht mit Beispielen aus seinem eigenen Leben.
Der hochbegabte Einser-Abiturient hat sich nach eigener Aussage schon früh mit Lehrern gestritten, wenn ihm ihr Verhalten ungerecht erschien und - zumindest in seinem Buch - am Ende recht behalten. "Habe Respekt, aber niemals Angst" und "Innovation heißt Querdenken", sind weiterere Ratschläge, die gleichzeitig als Karrieretipp verstanden werden dürfen.
Man erfährt auch einiges über den Menschen Claassen: dass er seinen Posten als Vorstandsvorsitzender beim Stromkonzern EnBW wegen seiner Tochter aufgab oder dass er in Spanien zu seiner Zeit als Seat-Sanierer fast erschossen worden wäre und nur dank seines damaligen Bodyguards überlebte. Einen Personenschützer hat er bis heute, auch als Vorstandsmitglied bei Real Mallorca.
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