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So prägt der Einfluss anderer unsere Seele

Während diese Kolumne entstanden ist, haben die Menschen in den Vereinigten Staaten einen neuen, alten Präsidenten gewählt. Das Oberhaupt dieses Landes gilt als einer der mächtigsten Menschen der Welt. Grund genug, sich einmal mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Es ist kein Geheimnis: Macht verändert Menschen. Sie formt die Art und Weise, wie wir einander sehen, wie wir miteinander umgehen, und beeinflusst unweigerlich unser Inneres – ob wir sie ausüben oder ertragen. Doch wie tief greift sie wirklich in unsere Seelen? Und wo begegnen wir dieser Kraft in unserem Alltag?

Schon als Kinder erleben wir Macht, oft auf sanfte Weise – die Eltern, die Lehrer. Ihre Fürsorge lenkt, beschützt, weist uns den Weg. Doch wie sanft auch immer die Macht sein mag, sie prägt das Gefühl der Unterlegenheit. Der „große Erwachsene» gibt den Ton an, und wir nehmen hin. Später, in der Schule oder im Beruf, wächst dieses Machtgefälle. Es sind nicht mehr nur die Eltern, sondern Chefs, Vermieter, Partner oder Behörden, die einen Einfluss auf unser Leben nehmen. Und mit jeder neuen Stufe unseres Lebens werden wir mehr oder weniger konfrontiert mit der Tatsache, dass Macht immer eine Wirkung auf uns hat, ob wir wollen oder nicht.

Für diejenigen, die Macht innehaben, stellt sich oft die Frage: wie viel Verantwortung kann und will ich tragen? Studien zeigen, dass Menschen mit Macht ihre Mitmenschen oft anders wahrnehmen – weniger als Individuen, sondern als Teile eines Ganzen, das sie lenken müssen. Es liegt im Wesen der Macht, dass sie eine Distanz schafft, eine Art emotionale Abkapselung, um Entscheidungen ungestört und ohne persönliche Bindungen treffen zu können. Dies mag effizient erscheinen, doch es birgt Risiken. Denn je mehr Distanz, desto leichter verliert sich das Gespür für die Menschlichkeit, die hinter jeder Entscheidung liegt.

Für jene auf der „anderen Seite« – jene, die sich der Macht anderer unterwerfen müssen – sieht die Erfahrung ganz anders aus. Die Psyche reagiert auf Machtausübung oft mit verschiedenen Strategien. Manche Menschen nehmen die Unterlegenheit hin, fügen sich, passen sich an, in dem Glauben, dass Widerstand nur unnötigen Schmerz verursacht. Andere rebellieren, versuchen sich durchzusetzen und geraten in endlose Kämpfe. Diesen beiden Extremen gemein ist eine tiefe Erschöpfung, ein Ausgeliefertsein, das an der Seele nagt und sie schwächt. Psychologisch gesehen können Machtspiele zu einem Gefühl der Ohnmacht führen, das unsere Selbstachtung untergräbt.

Besonders kritisch wird es, wenn Macht missbraucht wird. Man denke an Partnerschaften, in denen einer der Partner die Kontrolle übernimmt – jede Entscheidung, jede Handlung des anderen beeinflusst und lenkt. Die Psychologie spricht in solchen Fällen oft von narzisstischem Missbrauch, bei dem der mächtige Part das Selbstwertgefühl des anderen zermürbt, bis dieser seine eigene Identität kaum noch spürt. Hier hat die Macht eine zerstörerische Wirkung, die langfristig zu seelischen Schäden führen kann. Die Opfer solcher Beziehungen verlieren oft das Vertrauen in ihre eigene Urteilsfähigkeit, in ihre Würde und Autonomie. Ihre Seele scheint im Schatten der Macht des anderen zu verblassen.

Was aber können wir tun, um uns gegen zu viel Macht, gegen Übergriffe von außen zu schützen? Ein erster Schritt ist die Selbsterkenntnis: sich bewusst machen, wo wir Macht abgeben und warum. Oftmals ist es einfacher, Entscheidungen anderen zu überlassen, als selbst Verantwortung zu tragen. Doch diese Bequemlichkeit hat ihren Preis – sie macht uns abhängig und schwächt unser Selbstbewusstsein. Eine weitere Möglichkeit, sich zu schützen, liegt in der bewussten Kommunikation unserer Grenzen. Hier hilft es, klar zu formulieren, was akzeptabel ist und was nicht. Natürlich kann dies Konflikte erzeugen, doch wer seine eigenen Grenzen verteidigt, stärkt langfristig seine Resilienz. Sich bewusst auf seine eigenen Werte und Bedürfnisse zu besinnen, gibt innere Kraft. Ein „Nein» ist oft schwerer auszusprechen als ein „Ja», aber gerade hier liegt der Schlüssel zur Selbstbestimmung. Passend dazu, habe ich vor einiger Zeit die Kolumne geschrieben: „Nein« ist ein vollständiger Satz (siehe MM 4/2022).

Auch diejenigen in der Position der Macht können lernen, mit dieser Kraft verantwortungsvoll umzugehen. Macht ist nicht per se negativ; sie ermöglicht es, Dinge zu bewegen, Menschen zu inspirieren und positive Veränderungen zu fördern. Der Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Umgang mit Macht liegt im Bewusstsein darüber, dass Macht Verantwortung bedeutet. Ein achtsamer Umgang mit dieser Kraft beinhaltet Empathie und die Fähigkeit, die Perspektive der anderen zu verstehen. Wer sich in die Gefühle und Bedürfnisse derer einfühlt, die seiner Macht unterliegen, entwickelt eine innere Balance, die den Unterschied zwischen Führung und Diktatur ausmacht.

Studien, wie jene der Sozialpsychologin Dacher Keltner von der University of California, zeigen, dass Macht tatsächlich das Mitgefühl mindern kann. Menschen mit Macht neigen dazu, emotionale Signale anderer weniger zu erkennen, was zu Entscheidungen führt, die das soziale Miteinander beeinträchtigen. Doch genau hier kann bewusstes Handeln eine Balance schaffen und Macht zu einem Mittel des positiven Wandels machen.

Macht ist eine Kraft, die in beide Richtungen wirkt – sie kann aufbauen oder zerstören, heilen oder verletzen. Laut Keltner hat Machtlosigkeit (disempowerment) sogar Wirkungen, die sich auf Verhalten und auch physische Gesundheit auswirken, und geradezu lebensverkürzend wirken können. Macht beeinflusst also nicht nur das Verhalten, sondern auch das, was tief in uns liegt: unser Selbstbild, unsere Würde und unsere Seele. Mögen wir alle lernen, achtsam mit der Macht umzugehen, die wir in unserem Leben ausüben und uns gleichzeitig davor schützen, ungesunde Macht über uns wirken zu lassen. So wird Macht nicht zur Last, sondern zur Chance für echte, menschliche Begegnungen.

Und mit dem Blick über den großen Teich: Hoffen wir, dass sich der nächste mächtigste Mensch der Welt seines Amtes als würdig erweisen und seine Aufgaben zum Wohle der Bürger Amerikas erfüllen wird. In diesem Sinne.