Gestern erzählte mir eine Klientin stolz, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben eine Erfahrung mit Marihuana gemacht hatte. Sie berichtete, dass sie ein (hier auf Mallorca legales) Gummibärchen, mit dem rauschauslösenden Wirkstoff THC, verzehrt hatte, da sie unbedingt einmal erleben wollte, wie sich ihr Sohn wohl fühle, wenn er gekifft hatte. Die Wirkung beim Verzehr von THC wirkt verzögert, so dass sie erst zwei Stunden nach der Einnahme überhaupt eine Veränderung in ihrer Wahrnehmung beobachten konnte. Sie erzählte mir, dass plötzlich alles um sie herum viel heller war, auch die Geräusche und Stimmen im Raum schienen lauter geworden zu sein. Sie spürte, dass ihr Mund trocken war und sie Mühe hatte, zu sprechen. Viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf, auch sorgenvolle darüber, ob es ein Fehler war, dieses Gummibärchen zu essen, und ob sie nun einen bleibenden Schaden behalten könnte.
Sie berichtete, dass sie zum Glück vorher einiges gelesen hatte und wusste sowohl, dass die Dosierung sehr gering war, als auch, dass die Wirkung nach einigen Stunden wieder vorbei sein würde. Sie hatte für ihr Experiment vorsorglich die Abendstunden gewählt, so dass sie davon ausging, ihren Rausch einfach ausschlafen zu können. Sie berichtete, dass sie kurz einen Anflug von Sorge gehabt hatte, als sie spürte, dass sich ihre Wahrnehmung veränderte. Sie konnte sich aber wieder beruhigen, da sie eben gut informiert war. Das hat sicher eine Panikattacke verhindert. Nachdem sie ein paar Stunden tief geschlafen hatte, war am nächsten Morgen der Zauber vorbei und sie erzählte mir, dass sie diese Erfahrung kein zweites Mal bräuchte. Sie hatte für ein paar Stunden erlebt, wie es sich anfühlt, die Kontrolle abzugeben und war stolz darauf, dass sie das geschafft hatte.
Möglicherweise fragen Sie sich jetzt, warum ich Ihnen von dieser Drogenerfahrung meiner Klientin erzähle. Ganz einfach. Die Dame kam zu mir mit einer ausgewachsenen Angststörung, die bereits einen großen Teil ihres Alltagslebens beherrschte. Sie hatte Angst vor Spinnen, vor Aufzügen, wollte auch nicht mehr Autofahren. Sie hatte über die Jahre immer mehr Ängste entwickelt und spürte irgendwann, dass sie dabei war, ihre Freiheit zu verlieren. Irgendwann hatte sie begonnen, alles zu kontrollieren, was ihr möglich war. Das führte zwangsläufig dazu, dass alles, was sie nicht kontrollieren konnte, wie beispielweise die Teilnahme am Straßenverkehr, auf den wir ja nur bedingt Einfluss nehmen können oder der Besuch kleiner Krabbeltiere, die sich oft schnell und unkoordiniert durch den Raum bewegen, große Angst machten. Sie begann, all die Dinge, die ihr Sorgen bereiteten, zu vermeiden. Das ist ein sehr gängiger Versuch, aufkommende Ängste zu beherrschen, aber leider selten von Erfolg gekrönt, da sich häufig das Unwohlsein mit der Zeit auf immer mehr Situationen und Gegebenheiten ausweitet. Als wir über die Dinge sprachen, die sie beschäftigt hatten in der letzten Zeit, verstand sie, dass sie viele schwierige Herausforderungen in ihrem Elternhaus, aber auch in der Schulzeit bewältigen musste, die zu ihren Ängsten geführt hatten. Mit diesem Wissen wurde es ihr möglich, wieder freier und selbstbestimmter zu leben.
Schwierig ist auch, wenn zu der Angst die Sorge um bevorstehende Ängste, sprich die Angst vor der Angst, kommt. Dann spielen wir in unseren Gedanken schon Situationen durch, die vielleicht auf uns zukommen könnten. Unser Angstsystem interessiert sich dann nicht mehr darum, ob die befürchtete Situation überhaupt eintrifft oder nicht, sondern reagiert so, als wäre es schon geschehen. Atemfrequenz und Herzschlag erhöhen sich, wir atmen flacher und unser Körper wird geflutet von Stresshormonen. Das Ganze kann dann in einer Panikattacke münden. Und das nicht etwa, weil wir wirklich bedroht wären, sondern nur, weil wir annehmen, wir könnten in Gefahr sein.
Drehen sich die Ängste um den Körper, kann das so aussehen, dass wir normale Körperreaktionen, wie Herzklopfen nach einer anstrengenden Tätigkeit oder leichtes Magendrücken nach einer üppigen Mahlzeit als den Beginn einer schweren, wohlmöglich lebensbedrohenden Krankheit interpretieren. Hier geraten wir manchmal sogar in einen Teufelskreis: Die Feststellung, dass unser Herz "rast" (weil wir eine Treppe hochgestiegen sind, im Hochsommer, bei 36 Grad) und die daraus entstehende Sorge vor einer Erkrankung führen dazu, dass wir uns aufregen und unser Herz dadurch noch schneller schlägt.
Die Lösung heißt, diese Kette an Ereignissen zu durchbrechen. Das erreichen wir, in dem wir uns zunächst einen Moment Zeit nehmen und atmen. Nicht schneller oder tiefer, sondern ganz normal. Ein- und ausatmen, dabei wahrnehmen, wie dieser Vorgang von selbst stattfindet. Es ist mehr ein Beobachten und Geschehen lassen. Wenn wir uns dann wieder etwas beruhigt haben, können wir prüfen, ob es einen Grund dafür geben kann, dass das Herz schneller geschlagen oder es im Magen gekniffen hat. Stellen wir fest, dass es keine nachvollziehbare Ursache gibt oder wir das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt, ist ein Besuch beim Arzt unseres Vertrauens ratsam. Erst wenn die körperliche Gesundheit abgeklärt ist, sollten wir uns mit möglichen seelischen Hintergründen befassen.
Dazu kann es sehr hilfreich sein, einen Therapeuten in Anspruch zu nehmen. Dieser hilft dabei, mögliche Ursachen herauszufinden, zu besprechen und im besten Fall, auch zu lösen. Oftmals sind Ängste an Ereignisse geknüpft, die lange schon vorbei sind und heute keinen Einfluss mehr auf unser Leben haben sollten. Oder es gab in der Vergangenheit reale Situationen, die uns belastet haben und deren Wiederholung wir befürchten. Auch dann ist es gut, darüber zu reden, den Befürchtungen Raum zu geben und sie anschließend wieder gehen zu lassen. So können wir allmählich lernen, zwischen realer Bedrohung (bei der Ängste eher eine Schutzfunktion haben) und übermäßiger Angst vor dem Leben, Krankheit, Verlusten zu unterscheiden. Wenn Sie das geschafft haben, werden Sie nicht mehr von Ihren Ängsten gesteuert und gewinnen die Freiheit zurück, das zu tun (oder zu lassen), was Sie möchten, und sei es noch so ausgefallen.
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