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„Alles in allem darf man das ‚Lied von der Erde‘ jedenfalls zum besten rechnen, was Mahler je geschaffen hat“ schrieb die Allgemeine musikalische Zeitung über das Werk, mit dem die Sinfoniker am kommenden Donnerstag (18.05.) im Auditorium die Saison beenden. Das war 1911, nach der posthumen Uraufführung durch Bruno Walter. An dieser Einschätzung hat sich bis heute nichts geändert. Dennoch: Gustav Mahler war als Komponist keineswegs immer unumstritten. Der Rassenwahn der Nazis machte auch vor seiner Musik nicht halt – Mahler war Jude. Erst in den 60er Jahren fand so etwas wie eine Mahler-Renaissance statt. Maßgeblich vorangetrieben wurde sie unter anderen von Leonard Bernstein, selbst Jude. Er berichtet, wie bei der ersten Mahlerprobe mit den Wiener Philharmonikern zwischen den Zähnen gemurmelte Äußerungen wie „Scheiß-Musik“ zu hören gewesen seien.

Das hat sich schnell gelegt. Heute sind seine 9 Sinfonien auf den Konzertbühnen der Welt Alltag. Vom Lied von der Erde existieren, Doubletten und digitale Remasterings mitgerechnet, an die 100 CDs. – Die Gattungszuordnung ist etwas schwierig: ist es nun eine Liedkantate oder eine Sinfonie? Für letzteres spricht, dass das Werk die formalen Anforderung an eine Sinfonie ebenso erfüllt, wie die Vorgängersinfonien, von denen die meisten das Wort und die menschliche Stimme einschließen. Und die Überlieferung, Mahler habe sich aus Aberglauben um eine 9.Sinfonie herumgemogelt und deshalb diesen Titel gewählt. Schließlich gilt die Zahl neun als tödliches Omen: Beethoven, Dvorak und Bruckner sind über sie nicht hinausgekommen und starben, bevor sie eine 10.Sinfonie vollenden konnten. (Mahler hat dann doch noch eine „Neunte geschrieben – und starb, bevor er seine Zehnte fertigstellen konnte…) – Für die Aufführung des „Liedes“ braucht man einen Tenor und einen Bariton (ersatzweise eine Altstimme) und ein großes Orchester. Nicht so groß wie in der Achten, der sogenannten „Sinfonie der Tausend“, aber Schlagzeug und Blech sollten schon üppig vorhanden sein.

Die Sprache war für Mahler seit jeher wichtig. Meist griff er auf Dichtungen von Rückert und Nietzsche, in der 8.Sinfonie sogar auf Textstellen aus Goethes „Faust“, oder auf volkstümliche Gedichtsammlungen wie „Des Knaben Wunderhorn“ zurück. Im Lied von der Erde vertonte er sieben Gedichte aus der Sammlung „Die chinesische Flöte“ von Hans Bethke. (Erstaunlich eigentlich, dass er bei seiner ausgesprochenen Vorliebe für die menschliche Stimme keine einzige Oper geschrieben hat, zumal er 10 Jahre lang Chef der Wiener Hofoper war!)

Das Werk besteht aus sechs Teilen, die jeweils die Überschrift des zugrundeliegenden Gedichts tragen. Titel wie „Das Trinklied vom Jammer der Erde“, „Von der Jugend“, „Der Einsame im Herbst“, „Von der Schönheit“ oder „Abschied“ haben Alban Berg zu folgender Beschreibung veranlasst: „Es ist so wie das Vorbeiziehen des Lebens, besser des Gelebten, an der Seele des Sterbenden. Das Kunstwerk verdichtet; das Thatsächliche verflüchtigt, die Idee bleibt; so sind diese Lieder.“ – Der letzte Teil (Abschied“) ist ungefähr genauso lang wie die ersten fünf Sätze zusammen, ist der transzendente Ziel- und Höhepunkt des Werkes. Er enthält alles, was Mahler ausmacht: die kleinteilige Themenfragmentierung, das lange Ringen um einen Höhepunkt, die tiefe Einsamkeit und das Wandeln ins Nichts, ins Dunkel. Erst durch dieses halbstündige Finale wird die Liedfolge zu einem sinfonischen Zyklus, zu einer Sinfonie. Es endet zwischen Abschiedstrauer und Ewigkeitsnähe. „Man weiß nicht recht, ob es ein Verstummen im Tod ist oder der Übergang in ein anderes Leben.“ (Dietmar Holland in „Der Konzertführer“) – Wenn Sie vorab reinhören wollen: tun Sie’s mit Leonard Bernstein, er war der vielleicht aufrührendste Mahlerdirigent des 20.Jahrhunderts. Oder erleben Sie seine (sehr persönliche) Einführung mit Probenausschnitten. Karten gibt’s hier.