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Hier sieht alles so unaufgetakelt aus: Der Eingang zur Fabrik ist unscheinbar, hinter einer kahlen Mauer befinden sich grau-bräunliche Werkbänke für Arbeiter, in einem unauffälligen Erdgeschoss-Zimmer sitzt bei zum schmucklosen Hof hin offen stehender Tür eine Sekretärin. Schreitet man durch das Fliesenunternehmen Huguet am Ortseingang von Campos, könnte man meinen, eine dieser stinknormalen dunklen Insel-Manufakturen für alles Mögliche zu besuchen. Das kumpelig-erdverbundene Auftreten von Manena Huguet und von ihrem Bruder, dem Firmenchef Biel Huguet, unterstreicht diese für Mallorca nicht untypische Bescheidenheit.

Doch hier im staubigen Campos wird in Sachen Insel-Fliesen („baldosas hidráulicas”) derzeit an einem Rad gedreht, das stetig größer zu werden scheint. Gern blickt man auf das Jahr 2015 zurück, als der Fabrik der mit immerhin 60.000 Euro dotierte Preis zu Ehren des Bauhauspapstes Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) zuerkannt wurde. Den gab es für die Befliesung der neuen schneeweißen und zugleich futuristisch anmutenden Philharmonie der westpolnischen Stadt Stettin mit 44.000 Fünfecken. Jetzt legten die Firmeninhaber mit Spaß an der Freude nach: Mit Fliesen unter anderem vom schweizerisch-argentinischen Star-Designer Alfredo Häberli und der katalanischen Architektin Carme Pinós, die jüngst bei einem locker-flockigen Open-Air-Umtrunk in Anwesenheit von Balearen-Präsidentin Francina Armengol präsentiert wurden, stößt der mittelständische Betrieb auch in die Lebenswelt oberhipper Zeitgenossen vor. Das passt zur Familientradition, denn Damià Huguet, der Vater der jetzigen Firmenlenker, war nicht nur Unternehmer, sondern auch Poet.

Man wolle mallorquinische Fliesentradition und neue Trends verschmelzen, definiert Firmenchef Biel Huguet das derzeitige Konzept. Angesichts dessen ist es für die 1933 gegründete Firma im Augenblick nicht schwierig, hochkarätige Aufträge an Land zu ziehen. „Der aus dem Fernsehen bekannte spanisch-amerikanische Starkoch José Andrés bat uns, sein künftiges Restaurant im Disneyworld-Park in Orlando mit Fliesen zu versehen”, sagt stolz Manena Huguet, die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Bereits vor einigen Jahren hatte die Firma ein anderes Restaurant des Küchenkrösus in Washington so sehr verschönert, dass dieser hin und weg war. Hinzu kamen Hotellobbys sogar im fernen Inselstaat Neuseeland. Hilfreich bei der Akquise von Aufträgen waren und sind auch weitere bekannte Fliesenkünstler wie die spanische High-End-Modedesignerin Sybilla, deren Minimalismus den Huguets bereits im Jahr 2000 einen Preis ob ihres Mutes einbrachte. Auch der preisgekrönte Architekt Elías Torres, der in den letzten Jahren Reste der Stadtmauer von Palma neben dem nagelneuen Es-Princep-Boutiquehotel restauriert hatte, verewigte sich mit einer Kachelkollektion.

Parallel zur Welt der Schönen und Kreativen tummelt sich die Fliesenfirma in der Welt der Normalos, die sich seit den 90er-Jahren mit zunehmender Tendenz bei Haus-Restaurierungen oder in Neubauten wieder an traditionellen Inselmotiven erfreuen wollen. Dabei war die Mallorca-Fliese jahrzehntelang mausetot: „Hatte es bis tief in die 50er-Jahre hinein noch etwa 100 Fliesenfabriken auf der Insel gegeben, so änderte sich der Geschmack beim Aufkommen des Massentourismus in den 60ern radikal”, so Manena Huguet. „Man wollte für neue Gebäude lieber alles aus dem Ausland importieren, statt auf die Mallorca-Kacheln zu setzen.” Die heimischen Produkte galten damals unter den Spaniern als rückständig, kurz gesagt als „mega-out”.

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Kein Wunder, dass die meisten Kachelfabriken auf der Insel zumachen mussten. Die Huguets schafften es dagegen, mit Ach und Krach zu überleben. Sie schlugen sich mit der Herstellung hauptsächlich von während des Baubooms stark nachgefragten Zementbalken in allen möglichen Größen durch, bis ein erneuter allgemeiner Geschmackswechsel sie aus ihrem Schattendasein holte. In den 90ern nahm die Nachfrage nach Mallorca-Fliesen kontinuierlich zu, und das vor allem bei mittelmeersüchtigen Ausländern aus kälteren Ecken Europas. Die erinnerten sich an das Wirken des unvergessenen Jugendstil-Architekten Antoni Gaudí (1852-1926), der nicht nur in Barcelona die Sagrada Familia hochzog, sondern auch in Palma arbeitete. Der war ein veritabler Fliesen-Freak und ersann viele Designs.

So etwas wollte man auch haben, doch das gab es damals nicht auf Mallorca. Nur gut, dass die Huguets die Pressformen des Großvaters und Firmengründers mit immerhin 200 Motiven aufbewahrt hatten. Sie wurden entstaubt. „Wir mussten damals in Rente befindliche Ex-Mitarbeiter bitten, zu uns zu kommen, damit sie den jüngeren Mitarbeitern die Kunst des Fliesenmachens beibringen konnten”, so Manena Huguet.

Die ist so kompliziert nicht: Die Arbeiter stellen die Fliesen mit speziellen Pressformen her. Sie füllen diese zunächst mit Farben, körnigem trockenen Zement und Marmorpulver. Dann platzieren sie jede Form unter einer besonders leistungsstarken Spezial­Maschine, die das Ganze fest zusammenpresst. Dadurch, dass Feuchtigkeit in das Material zieht, wird es sehr hart, es ist jahrzehntelang unverwüstlich. „Öfen benutzen wir nicht”, sagt Manena Huguet.

Neben der Pflege der Kachel-Tradition und dem Vorstoß in hippe Höhen hat man in Campos auch einen anderen Trend fest im Blick: den Wunsch vieler Menschen, zwar schick, aber umweltfreundlich zu leben. In einige mit den gleichen Materialien wie die Fliesen hergestellten Dekorationsobjekte – Tische, Vasen und Ähnliches – arbeiten die pfiffigen Profis etwa Glasscherben oder Teile von angejahrten Dachziegeln ein, um ihnen ein neues Leben einzuhauchen.

Mithilfe der Kacheln, Terrassenfliesen, Badewannen und anderen Objekten aus Campos und den sozialen Netzwerken haben sich die Huguets mittlerweile in der Ferne eine treue Fan-Gemeinde geschaffen: „Unsere besten Kunden sind noch vor den Deutschen die Briten und vor allem die Londoner”, weiß Manena Huguet. „Auf unserem Insta-gram-Account kommentieren sie besonders oft.”