Zu voll, zu laut, zu teuer: Die Auswüchse des Massentourismus auf Mallorca werden nicht nur den Einheimischen, sondern auch den Touristen zu viel. | Miquel Àngel Cañellas
Alle klagen über Mallorcas Überlastung durch den Massentourismus. Sogar die Touristen selbst. Und was sagen Politik und Wirtschaft? Eine erste Antwort gab es vom 5. bis 7. November auf der Touristikmesse World Travel Market (WTM) in London. Dort hat Mallorcas Urlaubsbranche auf neue wie alte Strategien gesetzt, um den Tourismus nachhaltiger zu gestalten. Die Hauptakteure betonten, dass verantwortungsbewusster Tourismus den künftigen Umgang mit den Ressourcen und Besuchern prägen soll. Gleichzeitig plant die Hotellerie, im kommenden Jahr noch früher in die Saison zu starten, um wirtschaftliche Engpässe abzufangen und Arbeitsplätze zu stabilisieren. Doch Experten warnen: Eine Verlängerung der Saison könnte die Insel langfristig stark belasten und ihr die „Atempause“ entziehen, die die Infrastruktur dringend braucht.
María Frontera, Präsidentin von Mallorcas Hotelierverband FEHM, erklärte, dass bereits im Februar rund 30 Prozent der Hotels öffnen würden, und ab Mai die volle Kapazität an Bettenplätzen zur Verfügung stehe. Ziel sei es, die Touristenströme gleichmäßiger über das Jahr zu verteilen, doch Kritiker fragen, ob Mallorca dabei die Belastbarkeit der Insel überschätzt. „Mallorca ist wie ein Gummiband, das immer weiter gespannt wird“, sagt ein Branchenanalyst. „Irgendwann gibt es nach – und das könnte die Umwelt und die Lebensqualität der Einwohner stark beeinträchtigen.“
Auch die Bemühungen von Mallorcas Inselrat, Touristen zu mehr Verantwortung zu bewegen, standen im Fokus der Messe. Seit der letzten WTM 2023 haben sich etwa 120.000 Urlauber der „Pledge“-Initiative angeschlossen, in der sie sich zu rücksichtsvollerem Verhalten verpflichten. Airlines und Reiseveranstalter wie TUI und Condor wurden aktiv eingebunden, um die Gäste bereits vorab über das Ziel eines nachhaltigen Tourismus zu informieren. Der Großteil der Interessenten kommt aus Deutschland und Großbritannien. Besonders auffällig: Frauen dominieren mit 73 Prozent der Unterschriften die Gruppe der „Pledge“-Befürworter, was die Vermutung nahelegt, dass sie oft stärker auf Umwelt- und Sozialthemen achten.
Doch so positiv die Bemühungen klingen, bestehen Zweifel, ob die Strategie des nachhaltigen Tourismus den harten Realitäten standhält. Die Saison immer weiter auszudehnen, könne den Massentourismus schlicht zu einem Ganzjahresmodell machen – „eine Dauerbelastung, der irgendwann alle Tribut zollen müssen“, so ein Sprecher einer Umweltorganisation. „Das Einzige, was sich wirklich verändern würde, ist die Dauer des Problems.“ In einer Inselwirtschaft, die stark vom Tourismus abhängt, scheint das Ziel, ein Gleichgewicht zwischen Wirtschaft und Natur zu finden, ein Balanceakt auf Messers Schneide zu sein.
Das Interesse aus Großbritannien, einem der Hauptmärkte der Insel, war auf der WTM natürlich besonders groß. Britische Touristen machten im Jahr 2023 etwa 40 Prozent der internationalen Gäste aus und gaben im Durchschnitt neun Prozent mehr aus als im Vorjahr. Gleichzeitig zeigt sich ein deutlicher Trend: Immer mehr Briten weichen auf die Frühjahrs- und Herbstmonate aus, was die Balearenregierung als Erfolg für die Entlastung der Hauptsaison wertet. Doch es gibt eine Kehrseite. Wenn sich das Modell etabliert, könnte Mallorca zum Beispiel eines „24-Stunden-Supermarkts“ für Touristen werden – stets geöffnet, immer erreichbar, aber am Ende ohne Erholungszeit für Mensch und Umwelt.
Ein weiterer Faktor: die steigende Konkurrenz aus anderen Mittelmeerregionen wie Griechenland und der Türkei. Diese bieten ähnliche Natur- und Stranderlebnisse zu niedrigeren Preisen, was Mallorca in den Sommermonaten möglicherweise Besucher kostet. „Mallorca muss sich umorientieren und sein Angebot an den Qualitäts- statt Quantitätstourismus anpassen“, sagte José Marcial Rodríguez, Tourismusldezernent im Inselrat. Die jüngste Welle von Bürgerprotesten gegen Überfüllung und Preissteigerungen in den Sommermonaten verdeutlicht, dass die Inselbewohner eine nachhaltige Lösung fordern.
Llorenç Galmés, Inselratspräsident, wies in London darauf hin, dass der leichte Rückgang der britischen Touristenzahlen um 3,7 Prozent im Sommer nicht als touristische Ablehnung der Insel zu werten sei. Vielmehr würden die Preisanstiege und das wachsende Angebot anderer Destinationen im Mittelmeerraum eine Rolle spielen. Trotz des Rückgangs bleibt Großbritannien jedoch weiterhin der zweitwichtigste Markt für die Balearen, was Mark Tanzer vom britischen Reiseverband ABTA bestätigt. Ein Zeichen für das Vertrauen in den balearischen Tourismus ist auch die Entscheidung, den nächsten Jahreskongress der ABTA 2025 in Calvià abzuhalten – unter dem Fokus auf „Qualitätstourismus“.
Mit der Pledge-Initiative und verstärkten Maßnahmen gegen illegale Vermietung wollen die balearischen Behörden die Insel von kurzfristigen Tourismusexzessen entlasten. Der „Pakt für Nachhaltigkeit“, wie ihn die Balearenregierung bezeichnet, soll die Basis für ein langfristiges Modell schaffen, das den Einklang von ökologischen und wirtschaftlichen Interessen anstrebt. Doch wie tragfähig dieses Modell wirklich ist, bleibt offen. Viele auf der Insel fragen sich, ob es sich nur um ein neues „Label“ handelt oder um einen echten Paradigmenwechsel.
Die politischen Akteure auf den Balearen stehen in der Pflicht, die Interessen der Inselwirtschaft mit denen der Einwohner und der Umwelt zu vereinen. Die starke Abhängigkeit vom Tourismusgeschäft ist dabei sowohl Fluch als auch Segen: Der wirtschaftliche Nutzen ist unbestreitbar, doch die Belastung für Natur und Gesellschaft wächst mit jedem Jahr. Trotz aller Anstrengungen auf der World Travel Market in London bleibt die große Frage bestehen, ob es der Insel gelingt, ein Gleichgewicht zu finden – oder ob der Ruf nach nachhaltigem Tourismus letztlich doch nur ein „schönes Etikett“ bleibt.
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