Die Playa de Muro hat von April bis September dieses Jahres an manchen Stellen zwischen sechs und zehn Meter Strandbreite zwischen Dünen und Wasser verloren. | Philipp Schulte
Philipp SchultePlaya de Muro, Mallorca07.12.21 08:05
Das Meerwasser umspült die vier Holzpfosten des sonnengelben Wachturms am Strand von Muro alle neun, zehn Sekunden. Geht es nach Umweltexperte Jaume Ramón, ist der Wellengang an diesem Donnerstagvormittag normal. Zwar wühlt „Blas”, das um die Insel kreisende Tiefdruckgebiet, das Meer mit so kalten Windböen auf, dass Jaume seine Hände in der nachtschwarzen Weste verbirgt. Doch agiler Wellengang herrscht hier oben im Inselnorden auch im Sommer. Dann wird die Playa de Muro – wie heute – noch schmaler. An manchen Stellen bleiben nur vier, fünf Meter Sandstreifen.
Wie der Wachturm sind auch zwei Sonnenschirm-Pfähle, letzte Symbole der Sommersaison, dem Meer ausgeliefert. Vielleicht werden sie in der kommenden Saison an dieser Stelle gar nicht mehr aufgestellt: Die Gemeinde Muro kann nach eigenen Angaben von Jahr zu Jahr immer weniger Schattenspender und Liegestühle an ihrem Strand installieren. Das bedeutet weniger Einnahmen.
Die Playa de Muro hat zwischen April und September dieses Jahres an manchen Stellen sechs bis zehn Meter an Breite zwischen Dünen und Wasser verloren, teilt das Rathaus mit. Starker Wellengang trägt den Sandstrand ab, sagt Jaume Ramón, Biologe und bei der Gemeinde Muro tätig. Auch der Hafen von Alcúdia, westlich des Strandes gelegen, steht im Verdacht, als künstliches Hindernis die natürlichen Wasserströmungen zu stören, was ebenfalls zum Sandschwund im Inselnorden beitragen könnte.
Die Playa de Muro ist zudem von Überschwemmungen bedroht, weil der Meeresspiegel steigt. Das mallorquinische Unternehmen Trueworld zeigt auf Simulationen, wie die See im Jahr 2050 das Ufer und den dahinterliegenden Naturpark S’Albufera überfluten könnte. Das ist eine Folge der Erderwärmung, die Eis etwa am Nordpol schmelzen lässt.
Jaume Ramón nennt zwei Möglichkeiten, um den Sand-Verlust zu reduzieren. Das Technologieunternehmen Biorock hat der Gemeinde Muro ein Angebot unterbreitet, ein künstliches Riff 50 Meter vor der Küste zu installieren. Kästen, die aussehen wie Käfige für Kaninchen, würden auf dem Meeresgrund platziert und mit Hilfe elektrischer Streben Mineralien ansammeln. Es entstünden künstliche Felsen, einem Riff ähnlich. Balearenweit ist dieses System zwar noch nicht zum Einsatz gekommen, anderswo diente es aber dazu, dass sich Korallenriffe regenerierten.
In Muro soll die Technologie jenen Wellen, die den Sand forttragen, ihre Kraft nehmen. Das wäre besonders bei Unwetter wichtig. Wie viel das System kosten würde, weiß Jaume Ramón nicht. Er weiß nur, dass die 7500-Einwohner-Gemeinde Muro die Kosten sowieso nicht stemmen könnte. Außerdem endet die Zuständigkeit des Rathauses am Ufer. „Das Meer ist nicht unser Aufgabenbereich. Wir stellen Liegen auf, halten den Strand sauber und sorgen mit Rettungsschwimmern für Sicherheit”, sagt der Biologe. „Ja” oder „Nein” zu dem Projekt zu sagen und es zu finanzieren, das müssten die Küstenbehörde und die Balearen-Regierung. Auch den angrenzenden Gemeinden Can Picafort und Alcúdia seien von Biorock Riffe angeboten worden.
Dann doch lieber Plan B? Der sieht so aus: „Sand mit Lastwagen und Booten von woanders herholen und ihn bei uns aufschütten”, sagt Jaume Ramón. Vor 20 Jahren habe man das schon einmal gemacht; damals kam der Sand aus Banyalbufar, erinnert sich der studierte Naturwissenschaftler.
Wer die Playa de Muro in östlicher Richtung nach Can Picafort entlang läuft, entdeckt kurz vor ihrem Ende knapp 150 bungalowartige Sommerhäuschen – und stößt auf das nächste Problem der Gemeinde. Die Unterkünfte bilden die Siedlung Casetes des Capellans, in der die Eigentümer aus Muro ihre Ferien verbringen. Die Bewohner haben nun, Mitte November, die Fensterläden zugeklappt und die Terrassenstühle ineinander gesteckt. Über die ein oder andere Veranda laufen noch Katzen und Popmusik klingt aus einer Küche. Nach den Regenfällen der vergangenen Tage stehen die Straßen – ihr Untergrund ist Sand – unter Wasser.
Die Casetes befinden sich inmitten der Dünen – und das gefällt der spanischen Küstenbehörde nicht. Sie will das Areal schützen und hat auf der Landkarte parallel zum Strand eine Linie gezogen, die sogar durch die Wohnzimmer einiger Häuschen führt. Alles, was in Richtung Meer zeigt, soll öffentlicher Grund werden, sprich: Dort dürfen Menschen keinen Privatbesitz mehr haben. Gut 20 Casetes sind betroffen. Familien leben dort schon seit mehreren Generationen.
Vor zehn Jahren war die ganze Siedlung bedroht, berichtet Jaume Ramón. Die Gemeinde habe immer wieder Einspruch eingelegt und Gegenangebote gemacht. „Wir waren erfolgreich und warten nun ab, ob nur noch dieser kleine Teil öffentlicher Grund wird.”
Teil der Siedlung Capellans sind auch drei Strandbars, auf Spanisch „Chiringuitos” genannt. Sie befinden sich in erster Meereslinie, um ihre Zäune herum wächst das Gras der Dünen. Früher waren es provisorische Stände, an denen es Salami-Sandwichs und Cola gab. Heute passen auf ihre Terrassen 25 Tische und 100 Stühle, es gibt Burger, Tapas, Pasta und es läuft Chill-out-Musik. Der Blick geht auf die Bucht.
Nach den Plänen der Küstenbehörde sollen auch die derzeit geschlossenen Bars weichen. „Bis voraussichtlich März, April wissen wir Bescheid”, sagt Jaume Ramón. Auch die „Chiringuitos” sorgen – wie der Strand mit seinen weniger werdenden Sonnenschirmen und Liegen – für Einnahmen. Ramón berichtet, dass es im Sommer extrem schwierig sei, dort überhaupt einen Parkplatz zu bekommen.
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