Die Morgendämmerung bringt den Tod.
Während sich glutrot die ersten Sonnenstrahlen über den
Stoppelfeldern ausbreiten, ergießt sich ein dicker Schwall frischen
Blutes auf den Fincavorhof. Ein letztes Zucken, dann erschlafft das
Bein des Ebers. Es riecht nach Feuer, nach Kot, nach dampfenden
Eingeweiden. Und nach frischem Kaffee. Davon drückt die rotbäckige
Maria jedem Neuankömmling einen dampfenden Plastikbecher voll in
die Hand. Jenen mit bangen Blicken auch Gebäck: "Schau nicht hin",
sagt sie, und knabbert selbst nervös an einem Keks, "schau einfach
nicht hin. Es ist gleich vorbei."
Aber die meisten der rund 20 Helfer, gegen Mittag werden es fast
30 Freunde und Bekannte sein, die sich in der Fincagarage
eingefunden haben, sind ohnehin nicht so zart besaitet wie Maria.
Herzhaft wird zugepackt. Mit einem Ächzen heben die Männer den
leblosen Körper auf eine Metallbahre. Zehn starke Hände sind nötig:
Das Tier wiegt über 270 Kilo. Der Tierarzt eilt herbei. Flink
zwackt er ein Stück Fleisch ab. "Wegen Trichinen", erklärt Tomeu
Torres. "Das lassen auf der Insel leider immer noch viel zu wenige
untersuchen."
Der 61-Jährige ist der Gastgeber des heutigen Tages. Einmal im
Jahr lädt er zur Matanza. "Früher haben wir sogar zwei- oder
dreimal geschlachtet", erinnert sich seine Frau Anni. Stattdessen
müssen heute gleich zwei Eber daran glauben. Es sind massige
schwarze Tiere - Tomeu ist der Präsident des Verbandes der Züchter
von Schwarzen Schweinen auf Mallorca. 72 "Porc negre"-Bauern gibt
es auf der Insel, 1100 Tiere sind registriert. Einst gab es hier
nur diese Rasse, mittlerweile ist sie vom weißen Hausschwein
weitgehend verdrängt worden. "Weil die Schwarzen viel Fett haben
und das wollen die Konsumenten nicht", erklärt Jaime, während er
gut zehn Zentimeter dicke weiße, wabrige Fettplatten in Stücke
zerteilt, "aber die haben keine Ahnung - für die Sobrassada ist das
Beste!" Er deutet auf die großen Fleischbrocken auf einer der vier
aufgestellten Tapeziertische. Sie sind von dunkelstem Rot, als wäre
es Rind. "Daran sieht man, dass das Tier sich auf dem Bauernhof
viel bewegen durfte. Der Körper ist gut durchblutet und die
Muskelfasern sind länger - das macht das Fleisch schön saftig. Es
wird uns auf der Zunge zergehen!"
Mit einem breiten Grinsen nickt er in Marias Richtung, die sich
mit anderen Frauen im hinteren Teil der Garage hinter aufgebauten
Töpfen und Pfannen verschanzt hat, in die bereits die ersten
Fleischstücke wandern. Würziger Rauch steigt auf. Zur Stärkung
während der Mittagszeit sollen "Sopas de Matanza" und "Frito
Mallorquín" auf den Tisch kommen, abends wird der Tag mit einem
Garagengelage mit "Arroz Brut" und "Sofrito" ausklingen.
"Und viel Alkohol. Das ist nämlich das Wichtigste bei einer
Matanza. Gutes Essen und viel Wein und Schnaps!" sagt Tomeu lachend
und schlendert mit einer Flasche Palo vom einen zum anderen. Nur zu
gerne halten die Helfer, die meisten sind Freunde oder
Familienmitglieder, für einen tiefen Schluck inne: Die Matanza ist
im wahrsten Sinne des Wortes echte Knochenarbeit. Ohne Unterlass
wird gearbeitet - aber es weiß auch jeder, was zu tun ist. Die
meisten sind eingespielt in einem Team, in dem reihum eine Hand die
andere wäscht. Am 9. Januar werden wieder alle ran müssen. Dann
steht im Haus von Maria die Matanza an.
"Jeder hat so seinen Posten. Ich bin immer zum Heulen
verdonnert!", sagt Biel und reibt sich die tränenden Augen. In der
Hocke bewacht er die Feuerstellen im Freien, über denen mehrere
Kessel mit flüssigem Schweineschmalz und heißem Wasser brodeln. In
einem kochen Knochen aus, in einem anderen stecken Lunge und Herz.
"Die muss man vorkochen, weil sich das Fleisch ausdehnt. Wenn wir
es so in die Wurst stecken würden, würde es uns später den Darm
zerreißen", erklärt er. Bis auf die Hufe und den Penis wird jedes
kleinste Fitzelchen des Tieres verarbeitet. Selbst die Haut wird -
dann kross gebraten - in die Butifarrones wandern und die
Beinlappen der Oberschenkel verwandeln sich - mit Fleischmasse
gefüllt und vier Stunden gekocht - zur groben Blutwurst
"Camaiot".
Mit porösen Steinen und dampfendem Wasser kurz vor dem
Siedepunkt schrubben mehrere Männer das tote Tier, um jede einzelne
Borste zu entfernen. "Mehr Wasser" ruft Toni knapp. Der eben erst
dem Teenageralter entwachsene junge Mann macht wenig Worte, dennoch
gibt er in der Gruppe den Ton an. Er und sein Vater sind die
"Matarifes" im Dorf - jene, die die Kunst des Tötens und des
Tierzerlegens beherrschen, im Herbst von Matanza zu Matanza ziehen.
Mit einem gezielten Schnitt schlitzt er dem Eber den Bauch auf,
greift mit bloßen Händen hinein, lässt Darm und Innereien auf ein
Tablett gleiten.
Auf die haben Catalina und Antonia, die draußen etwas abseits
unter einem Vordach Position bezogen haben, schon gewartet.
Schließlich müssen die Gedärme zeitgleich mit der Wurstmasse fertig
werden. Flink schneiden sie die aneinandergewachsenen Schleifen
auseinander, dann wird Stück für Stück ausgereinigt, die weiße Haut
hin- und hergestülpt und mit Wasser durchgeschwenkt, bis die
letzten Kotreste ausgespült sind. "Ekel?", sagt Antonia mit einem
Lachen, "nein. Wieso sollten wir auch Ekel empfinden? Das ist hier
ja das Natürlichste von der Welt." Und fügt mit einem Augenzwinkern
hinzu: "Außerdem verpassen wir dem ganzen jetzt ein wunderbares
Parfüm." Rund eine Viertelstunde knetet und walkt sie die Därme in
einem bis zum Rand mit Zitronenstücken und einer Salz-Essiglauge
gefüllten Zuber - danach haftet den Häuten nur mehr ein zartes
Zitronen-aroma an.
Die Dickdarmstücke werden zu Sobrassada verarbeitet, der
Dünndarm zu Butifarrones und Longaniza - wovon Letztere im Grunde
nur dünnere Sobrassadas sind. "Dadurch, dass sie schmaler sind,
müssen sie nicht so lange abgehangen werden", erklärt Anni, "die
kommen schon nach einer Woche auf den Tisch - die Sobrassada ist
erst zur Mandelblüte so weit." "Ach, die ist doch jetzt schon
herrlich!" scherzt Miguel, der mit seinen kleinen Witzen schon den
ganzen Morgen über unterhält - und flux hat er jeder der Frauen
einen Klecks der ziegelfarbenen Masse auf die Nase geschmiert.
Dabei hat Anni ihren Kopf gerade ganz wo anders: Sie hat zu
wenig Salz und Paprikapulver besorgt, muss einen Helfer für
Nachschub ins Dorf schicken. Ein willkommenes Päuschen für das
halbe Dutzend Freunde, die mit beiden Händen tief in den rund 150
Kilo auf dem Tisch ausgebreiteter Wurstmasse stecken. Und die
Gelegenheit für die neunjährige Maria de Lluch, heimlich davon zu
naschen. "Ich liiiiiebe Sobrassada!" flüstert sie und verdreht
dabei theatralisch die Augen. Wie eine Große kann sie das
Mischungsverhältnis herunterrattern: Auf 20 Kilo Fleisch ein Kilo
Paprikapulver, auf 40 Kilo Fleisch ein Kilo Salz.
"Sie war noch kein Jahr alt, da habe ich sie auf die erste
Matanza mitgenommen", erzählt ihr Vater Jaime, sichtlich stolz.
"Man muss es gleich von klein auf lernen, sonst fehlt dir nachher
das Verständnis. Da musst du nur nach Palma gehen - da waren die
wenigsten Mallorquiner schon einmal in ihrem Leben auf einer
Matanza. Und die Kinder glauben, die Sobrassada wachse im
Supermarkt." Während die ersten Därme gefüllt werden können und
Tomeus Tochter die Hausmacher-Spezialität "Sobrassada Blanca" -
ohne Paprikapulver, dafür mit ganzen Pfefferkörnern - anrührt,
brutzelt Maria am Herd fleißig weiter. Bald schon wird es richtig
voll werden in der Garage, schließlich sind alle Nachbarn und die
halbe Umgebung eingeladen: Tradition bei jeder echten Matanza.
"Gespart wird da nicht", erzählt Jaime. "Jeder soll etwas von dem
Festschmaus haben." Allerdings habe das ständige Anbieten des
Fleischtopfs mit "¿Quieres? ¿Quieres?" einst auch ganz andere
Gründe gehabt: "Als nach Jaime I. noch nicht alle Christen waren,
galt die Matanza als gutes Mittel, um herauszufinden, wer bei
Schweinefleisch weiterhin dankend ablehnte...".
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