Böse Zungen fassen die
Wirtschaftsgeschichte Mallorcas in zwei Sätzen zusammen: Lange
Jahrhunderte hindurch gab es Großgrundbesitzer und Landarbeiter.
Dann stellte sich der Wandel ein – aus den einen wurden Hoteliers,
aus den anderen Kellner.
Das ist sicherlich eine viel zu pauschale Sichtweise, denn in
den Jahren vor dem Spanischen Bürgerkrieg hatte die Insel durchaus
eine beachtliche Industrialisierung absolviert und eine große
Bandbreite an Produktionen etabliert, die weit über das
traditionelle Leder-, Korb- und Schreinerhandwerk hinausreichte.
Kaum jemandem ist heute noch bewusst, dass auf der Insel einst
Bergwerke, Raffinerien und Stahlwerke existierten, hier selbst
Autos, Kameras, Gummireifen und Papier erzeugt wurden.
Richtig ist aber auch, dass der Tourismus seit nunmehr 50 Jahren
das Rückgrat der Inselökonomie ist. Knapp 50 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts steuert das Urlaubsgewerbe bei. Da viele
Zulieferer und nachgeordnete Betriebe ebenfalls vom Tourismus
abhängen, stellt der Dienstleistungsbereich etwa 80 Prozent der
Wirtschaftskraft der Inseln.
Ökonomie-Experten weisen jedoch darauf hin, dass das nicht immer
so bleiben wird. Vor allem der Tourismus befinde sich auf den
Inseln in einer strukturellen Krise, weil der Wettbewerb rund ums
Mittelmeer immer weiter zunahm. Mallorca als "Inselprodukt" ist
wegen der Überalterung seiner touristischen Infrastrukturen, sprich
Hotels, der gestiegenen Arbeitskosten und der gesunkenen Renditen
nicht mehr in vollem Umfang konkurrenzfähig.
Visionäre wie der ehemalige Tourismusminister Jaume Cladera -
der in den 1980er Jahren mit der Erfindung des "Qualitätstourismus"
schon einmal eine grundlegende Erneuerung des Fremdenverkehrs auf
den Inseln angestoßen hatte - fordern ein Umdenken. Nach seinen
Worten wird die Bedeutung des Tourismus für die Wirtschaft der
Balearen sinken. Um den Wohlstand abzusichern, seien neue
Betätigungsfelder in der Wirtschaft notwendig. Cladera sieht die
Arbeitsplätze der Zukunft - neben dem Tourismus, der nach wie vor
den Löwenanteil stellen wird - in den Neuen Technologien.
Aber welche Jobs sollen das sein? In welche Richtung der Zug der
Zeit fahren soll, ließ sich auf dem zweiten Technologieforum der
Balearischen Inseln, "Forotec", erahnen, das am vergangenen
Wochenende im Gewerbegebiet Parc Bit bei Palma veranstaltet wurde.
Unter den Auspizien der Balearen-Regierung präsentierten dort eine
Reihe von öffentlichen Forschungsinstituten und privaten
Unternehmen ihre neuesten Produkte und Innovationen.
Dass Mallorca sich auf das Organisieren von
Sonne-Sommer-Strand-Urlaub versteht, ist hinlänglich erwiesen. Dass
auf der Insel aber auch pharmazeutische Zusatzstoffe, etwa für
Zahnpasta, erforscht, patentiert und vermarktet werden, dürfte
vielen unbekannt sein.
Ungeachtet aller Haushaltsprobleme haben die
Balearen-Regierungen der vergangenen zehn Jahre die drängenden
Probleme um die Zukunft des Arbeitsmarktes offenbar erkannt. Die
Investitionen in Innovation, Forschung und Entwicklung sind seit
2000 von 0'23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kontinuierlich auf
0'35 Prozent (Stand 2008) aufgestockt worden.
Betrachtet man den Zehn-Jahres-Plan der Balearen für
Wissenschaft, Technologie und Erneuerung ("Pla Cti"), dann hat sich
auf den Inseln seit 1999 viel getan. Im Jahre 2000 etwa wurde das
wissenschaftstechnologische Institut an der Balearen-Universität,
2002 der Parc Bit eröffnet. In den ersten beiden Jahren des neuen
Jahrtausends wurden auch die Grundlagen für die sogenannten Cluster
gelegt.
Der Begriff aus dem Englischen steht für eine Ansammlung
bestimmter Zellen oder Moleküle. So wie diese Konzentrationen
sollten sich auf den Inseln auch die Firmen und
Forschungseinrichtungen zusammenballen, um gemeinsam zu forschen
und zu erfinden. Im Jahre 2007 wurden die ersten Cluster
präsentiert. Ihre Forschungskompetenzen beziehen sich auf die
unterschiedlichsten Gegebenheiten der Inseln, um hier für
Innovation zu sorgen. Die Bereiche sind Tourismus, Kommunikations-
und Biotechnologien, Meereskunde, Audiovisuelle Technologien,
erneuerbare Energien.
Der Cluster "Turistec" etwa umfasst 71 Firmen, die sich auf
Informationstechnologien und Software für touristische Unternehmen
spezialisiert haben. Der Cluster "Balears.t" widmet sich der
Erforschung touristischer Strömungen und Entwicklungen. Hier werden
Daten wissenschaftlich gesammelt und ausgewertet, um Trends und
Innovationen vorweg aufspüren zu können.
Der Cluster "Idimar" wirkt im nautischen Bereich. Die zehn
Gründungsunternehmen haben bislang sechs Innovationsprojekte auf
den Weg gebracht, sagt Cluster-Direktor Angel Puig. So soll es von
2011 an im Gewerbepark Son Castelló die erste Verschrottungs- und
Recyclingfirma auf den Balearen für Yachten und Boote geben.
"Bislang wurden Altschiffe im Meer versenkt oder auf Feldern
abgestellt."
Neu ist weiter, dass die Cluster interdisziplinär und
koordiniert zusammenarbeiten sollen, um Synergien abzuschöpfen. Bei
Idimar etwa werden mit Software-Spezialisten Programme entwickelt,
die exakt auf die Ansprüche von Hafenbetreibern zugeschnitten
sind.
Ziel dieser Cluster-Aktivitäten ist das "Erfinden" von neuen
Produktideen und Verfahren, die sich vermarkten und exportieren
lassen. Auf diese Weise sollen sie für die bisherigen
wirtschaftlichen Produkte auf den Inseln einen gewinnbringenden
Mehrwert schaffen. Zur Förderung all dieser komplexen Entwicklungen
finanziert die Balearen-Regierung den
Technologischen-Vierjahresplan (2009-2012) mit 326 Millionen
Euro.
Der forschungsinnovative Wandel auf den Inseln lässt sich auch
an anderen Parametern ablesen: Waren im Jahre 2000 lediglich 571
Wissenschaftler im Bereich Forschung und Entwicklung am Werkeln,
hat sich ihre Anzahl 2008 auf 1728 mehr als verdreifacht. Die
Männer und Frauen sind als Biologen, Chemiker, Physiker,
Informatiker, Meereskundler, Lebensmittelchemiker, Mediziner et
cetera aktiv.
Ziel müsse sein, Mallorca zum Kalifornien Europas zu machen,
sagt Professor Maxi San Miguel, Direktor des Interdisziplinarischen
Instituts für Physik (IFISC). Die Insel sei ideal, um zu einem
Zentrum für technologische Grundlagenforscher aus aller Welt zu
werden. Für Innovationen seien keine industriellen Fabriken
notwendig. Es reichten gute Institute und Laboratorien samt den
Menschen mit zündenden Ideen.
Der Innovationsschub und die hochqualifizierten Jobs, die damit
zusammenhängen, werden auch die Tourismusstruktur der Inseln
verändern, ist sich San Miguel sicher. "Der Wandel ist da: Früher
benötigten die Hotels Kellner. Heute sind es Programmierer."
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