Samstag, gegen drei Uhr früh: In Palmas Schinkenstraße sind
Menschenmassen unterwegs. Viele Besucher sind angetrunken, manche
torkeln, andere geben sich euphorisch laut. Plötzlich bricht auf
der Höhe des Bierkönigs ein Gerangel aus, Arme fliegen durch die
Luft, die Menge schafft sofort Platz. Schlägerei? Drei, vier
kräftige Typen haben sich irgendwie am Wickel. Ein Polizist, der
zufällig vorbeispringt, zieht gleich wieder ab. Man kennt sich. Die
Jungs mit den kräftigen Oberarmen sind offenbar Kollegen in Zivil
oder andere Sicherheitsleute. Wie im Handumdrehen landet der
Nordländer mit dem blonden Lockenkopf auf dem Straßenbelag. Der
Hüne wirkt weder betrunken noch aggressiv. Er scheint sich nur
furchtbar zu ärgern. Dann darf er sich wieder aufrichten. Knieend
vor den Ordnungshütern wird er mit erhobenem Zeigefinger
eindringlich verwarnt.
Vom benachbarten Lokal aus beobachten zwei junge Frauen die
Szene. Die 20 und 21 Jahre alten Deutschen sind das erste Mal im
Nachtleben an der Playa de Palma unterwegs. Begeistert zeigen sie
sich nicht: "Es ist hier alles viel zu groß. Zu viel Anmache, zu
viele Besoffene." Auch die unschöne Handgreiflichkeit direkt vor
ihren Augen empfinden die jungen Frauen nicht als Beleg für eine
unbeschwerte Partymeile.
Der Vorfall macht indes deutlich, dass die Ordnungshüter in
Zivil und Uniform in der Ballermann-Zone agieren. "Die Playa de
Palma ist einer der sichersten Orte der Welt", sagt der Chef der
Lokalpolizei für Palmas Osten, Major Tomás Brull. In seinem Bezirk
kommen bewaffnete Raubüberfälle oder Vergewaltigungen so gut wie
nicht vor. Die Playa sei kein Terrain der Schwerkriminalität. "Die
Deutschen können beruhigt sein." Gleichwohl räumt der Polizeichef
ein, dass Kleinkriminelle wie Hütchenspieler, illegale Händler und
Auswüchse der Straßenprostitution den Ordnungshütern viel Arbeit
bereiten.
Polizei in Uniform ist in jener Nacht von Freitag auf Samstag
nur wenig zu sehen. Als weit nach Mitternacht junge Leute in großer
Ansammlung vor einem beliebten Lokal zusammenkommen, zum Teil stark
angetrunken und bereit zu jeder Art von Hahnenkampf, ist kein
Polizist zu erblicken. Allerdings ist ein Streifenwagen um die Ecke
geparkt, die beiden Beamten unterhalten sich in einem Lokal in der
Nachbarschaft mit dem Wirt.
Im Gegensatz zur Polizei zeigen in jener Nacht Hütchenspieler,
fliegende Händler und afrikanische Prostituierte unweit der
beliebten Tanztempel eine geradezu erdrückende Präsenz. Die
Liebesdamen gehen ihre potenziellen Kunden offensiv an. Es wird
gewunken, angesprochen, berührt. Es soll vorkommen, dass die Frauen
Männern ohne Vorwarnung in den Schritt greifen, während ihre
Kolleginnen den Betroffenen von hinten die Geldbörse rauben.
"Die Gesetze sind in Spanien so, wie sie sind, Prostitution ist
nicht illegal", sagt Polizeichef Brull. Die Frauen stammen zumeist
aus Nigeria und fallen damit in die Kompetenz der für Ausländer
zuständigen Nationalpolizei. Zwar gab es wiederholt Razzien, doch
Abschiebeverfahren gestalten sich zeitraubend.
Keine Scheu vor Auftritten in der Öffentlichkeit haben die
Hütchenspieler. Begleitet von einem Kauderwelsch aus Spanisch,
Italienisch, Deutsch lassen sie fingerfertig drei Deckel auf dem
Karton wirbeln. Die Banden wirken auf Dumme wie Honig auf Fliegen.
Stets findet sich ein leichtsinniger Tourist, der der Versuchung
nicht widersteht, seine Urlaubskasse mit schnellem Gewinn
auffrischen zu wollen. "Wir fordern schon seit Jahren mehr
Sicherheit und Sauberkeit durch mehr Polizeipräsenz", sagt
Alexandre Charles Rolland, Präsident des Anwohnervereins von
Arenal-Palma. Ihm sind vor allem die Hütchenspieler ein Dorn im
Auge, weil sie betrügen. "Diese Banden sind hier schon so lange
tätig, dass man ihre Anwesenheit für normal hält", schimpft er.
Gegen die Prostituierten lasse sich dagegen nicht viel sagen, so
Rolland. "Das ist eine Sache von Angebot und Nachfrage. Wenn Männer
nicht ihre Dienste in Anspruch nehmen würden, würde es diese Frauen
hier gar nicht geben." Roland hofft, dass mit dem Projekt des
Konsortiums zur Sanierung der Playa de Palma der positive Wandel
beginnt. "Die Wurzel allen Übels an der Playa de Palma liegt
letztlich in der schlechten Qualität der Touristen, die uns
besuchen."
Das Image der Playa de Palma ist nicht nur für Rolland im
Keller. Zu den langjährigen Beschwerden über Taschendiebe und
Trickbetrüger kamen jüngst Schlagzeilen über Massenschlägereien
zwischen deutschen Rockerbanden. Die spanische Tageszeitung "Ultima
Hora" warnt vor einer unguten "Fauna", die sich an der Playa
breitmache.
Bemühungen, gegenzusteuern, hat es immer wieder gegeben, etwa
durch die Veranstaltung von positiv besetzten Events wie dem seit
2005 stattfindenden Spektakel "Mallorca Surf Action" (siehe S. 55).
Auch sonst ist ein Wandel in kleinen Dingen festzustellen. Die
Musik auf den Freiluftterrassen etwa in der Bierstraße ist vor
Mitternacht längst nicht mehr so laut.
Im Vergleich zu früher ist zudem die Strandpromenade viel
übersichtlicher, dank neuer Energie-Sparlampen, die im vergangenen
Sommer installiert wurden. Anders als das alte Flutlicht vermeidet
die weichere Beleuchtung scharf abgegrenzte Hell-Dunkel-Zonen. Das
schafft Transparenz und ein Gefühl von Sicherheit am nächtlichen
Strand. Adriaan Geuze, der niederländische Landschaftsplaner, der
als Visionär die Umgestaltung der Playa de Palma vorausgedacht hat,
will sogar eine noch weichere, Mondlicht-artige Beleuchtung
einführen, um die gesamte Promenade romantisch aufzuhellen.
Nichtsdestotrotz gibt es gestandene Mannsbilder, die aus Angst
vor Straßenkriminalität nach 22 Uhr nicht mehr zu Fuß an der Playa
de Palma unterwegs sind. Ängste, die übertrieben erscheinen.
Tagsüber ist an der Playa de Palma sprichwörtlich eitel
Sonnenschein. Und selbst nachts herrscht in der ersten Meereslinie
bis in die Morgenstunden reges Kommen und Gehen, auch wenn die
Abschnitte unterschiedlich stark besucht sind. Nach der von
Deutschen dominierten Meile am "Ballermann 6" folgt in Richtung
Arenal der niederländische Abschnitt mit vielen Kneipen. Hier sind
die Dimensionen kleiner. Die Lokale wirken dadurch freundlicher und
gemütlicher, auch wenn die Niederländer in ihrem Trinkverhalten den
teutonischen Brüdern in nichts nachstehen.
Nach dem Torrent de Jueus beginnt der zu Llucmajor gehörende
Teil von Arenal. Wie eine hässliche Narbe liegt das ausbetonierte
Flussbett nachts da. Das trostlose Beispiel an öffentlicher
Raumgestaltung hat den Landschaftsarchitekten Geuze zur Planung
eines grünen Parks mit Spazierwegen und Geschäften inspiriert.
In Arenal de Llucmajor wandelt sich die Sprache schlagartig.
Statt Deutsch und Niederländisch hört man Spanisch, Italienisch,
Französisch, Polnisch. Die Playa de Palma ist längst nicht
vollständig in Germanenhand.
Eine groteskere Ansammlung an Bausünden ist auf Mallorca
außerhalb von Arenal de Llucmajor kaum zu finden: Enge
Straßenschluchten mit Wohntürmen von bis zu 15 Etagen, finster und
unheimlich bei Nacht. Doch in dem dicht besiedelten Viertel ist nie
wirklich Nacht. Nahezu rund um die Uhr finden sich geöffnete
Lokale, Döner-Imbisse und Handelsgeschäfte. Irgendwer zieht dort
immer über die Bürgersteige.
Verlassen und heruntergekommen wirken die zweite und dritte
Reihe von Arenal-Palma, mit düsteren Hinterhöfen und Sackgassen.
Man sollte meinen, dass einem hier mulmig zumute werden kann. Aber
genau dort kann es passieren, dass einem junge Frauen in Miniröcken
und Tops begegnen, die auf hohen Stilettos an den in Schlafsäcken
dösenden Obdachlosen vorbeistakeln, auf dem Weg in die nächste
Disco, wo die afrikanischen Straßenhändler schon warten.
"Wir sind aus dem Senegal und haben mit denen nichts zu tun. Das
sind schlechte Menschen", sagt ein Souvenirhändler. Gemeint sind
die Huren aus Nigeria. "Ich finde es schlimm, wenn Frauen sich
prostituieren." Der 18-Jährige räumt ein, dass der Handel mit den
Billigsouvenirs illegal ist. Er kauft die Ware bei Chinesen,
schlägt 50 Prozent drauf und versucht, sich damit über Wasser zu
halten. Die Polizei sei freundlich und lasse die Händler meist
gewähren. "Sie wissen, dass die Krise hart ist. Wir gehen dafür den
Beamten aus dem Weg."
Bei den Touristen tun sie das indes weniger. Wenn der
Verkaufsdruck steigt, bauen sie sich dreist vor ihnen auf, sprechen
sie mit "Helmut" oder "Manfred" an, drängen ihnen den Handschlag
auf oder ziehen am Arm.
"Die Rechtslage ist so, dass wir die Händler nicht wegen
illegalen Handels verhaften können", sagt Polizeichef Brull. Seine
Leute beschlagnahmen die Billigware und stellen Anzeige. "Vor
lauter Ware und Akten geht uns der Platz aus." Auch im Kampf gegen
die Hütchenspieler sei die Rechtslage wenig hilfreich. Die Polizei
zeige die Leute zwar an, könne sie aber nicht verhaften.
"Was wir an der Playa brauchen, ist die konsequente Umsetzung
der Gesetze", sagt der Präsident des Hotelverbandes, Francisco
Marín. Selbst wenn 10.000 Beamte auf der Straße wären, würde es
nichts an der Situation ändern, wenn die Kleinkriminellen am
nächsten Tag schon wieder anzutreffen seien. Das Image der Playa de
Palma sei nach wie vor problematisch. "Und dennoch sind die Hotels
alle komplett ausgebucht", sagt Marín. Er könne das alles nicht
verstehen. "Aber vielleicht gefällt den Deutschen diese Art Urlaub
einfach."
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