Lasziv räkelt sich die nackte Frau mit
spitzen Brüsten an der Wand. Auf der gegenüberliegenden Seite zwei
weitere hüllenlose Musen, eine davon beißt lustvoll mit roten
Lippen in den Sündenapfel. Nicht in Natura – allesamt Nackedeis in
Öl und coloriertem Graphit. An sich nichts Ungewöhnliches. Aber so
viel geballte gerahmte Erotik als Wandschmuck im „Haus des
Pfarrers“? Dieser Schriftzug steht zumindest draußen auf dem runden
Leuchtreklameschild. Josefa Martín lacht, zieht keck eine
Augenbraue nach oben. „Ach, das sehn wir hier alles ein bisschen
locker in Búger.“ Seit 14 Jahren führt sie dort die Bar „Cas
Rector“ (Haus des Pfarrers) direkt neben der hoch aufragenden
Kirche. Nur ein Name? „Natürlich nicht“, sagt ein älterer Herr an
der Theke fast schon amüsiert, als könne das ja wohl nur eine
rhetorische Frage sein, „auch wenn Josefa den Laden gepachtet hat –
er gehört immer noch der Kirche, die Pacht wandert direkt in den
Klingelbeutel.“ Schnaps- und Kaffeeausschank im Namen Gottes wie in
Búger ist auf Mallorca keine Seltenheit – in Galilea etwa gibt es
ebenfalls eine „Bar Parroquial“, wie diese Lokale genannt werden.
Dort stand der Pfarrer bis vor rund 25 Jahren auch noch regelmäßig
hinter dem Tresen und half bei viel Betrieb aus. Mal abgesehen
davon, dass er irgendwann Schnaps Schnaps und Messwein Messwein
sein ließ und von der Kanzel seine Hochzeit verkündete. „Ich kann
mich ja nicht daran erinnern, dass bei uns auch ab und an der
Pastor Bier gezapft hätte“ sagt der 75-jährige Gabriel, grinst
dabei aber so breit, als sei das nur die offizielle Version.
Schnell redet er weiter. „Ist doch praktisch: Die Leute essen und
trinken gern, und wenn das dann gleich noch für einen guten Zweck
ist...“ Auch heute noch sei ein Gottesdienstbesuch ohne deftige
Einkehr im „Ca's Rector“ für viele undenkbar, „aber Gott sei Dank
haben wir nicht nur die Kirchgänger hier bei uns als Gäste“, betont
Josefa mit einem Lächeln, „sonst könnten wir in ein paar Jahren
wohl zumachen“.
Gegen elf Uhr morgens ist die Bar wie leer gefegt, eine Stunde
vorher dagegen so voll, dass ihr Sohn Álvaro spontan mithelfen
muss, sonst käme sie mit den Kaffees nicht nach.
In dem dunkelgrün gestrichenen, düsteren Raum sind alle Tische
besetzt. Ein paar Männer wagen sich am Billardtisch an die erste
Partie des Tages. Neben den Aktgemälden hängt eine freche übergroße
Coca-Cola-Kollage – ein Geschenk einer befreundeten Gruppe junger
Künstler, erzählt Josefa, von denen es viele in dem
Tausend-Seelen-Dorf gebe. Nackte Glühbirnen baumeln von der Decke,
auf den unteren Teil der Theke ist mit abstrakten Strichen die
„Skyline“ von Búger gepinselt, in der Ecke stapelt sich eine
CD-Sammlung. Das „Cas Rector“ hat etwas vom Charme einer
Studentenkneipe.
Merkwürdiges Detail: In einer Wand verschwinden Treppenstufen
ins Leere. Josefa erklärt: Dort sei es einst mal direkt auf die
danebenliegende Bühne gegangen, „der Pfarrer hat hier nämlich nicht
nur eine eigene Bar – sondern auch ein Theater mit Kino“.
Allerdings – heute sei das zwar Eigentum der Kirchengemeinde, mit
einem eigenen Dorfpfarrer aber sei die schon lange nicht mehr
gesegnet, „der hat hier im Haus gegenüber zwar noch sein Büro,
wohnt aber in Inca“.
Vier Bars gebe es in dem kleinen Dorf, erzählt die weißhaarige
Maria, die emsig die Stufen zum Kirchvorplatz schrubbt. „Aber so
darf man das im Grunde nicht zählen“, sagt Maria und wringt den
nassen Mopp aus. „die eine ist das Schwimmbadcafé, die andere im
Altenheim und die dritte haben sie so ganz modern renoviert – da
ist irgendwie das Flair verloren gegangen, wer will da schon hin?“
Dabei seien die Bugerrós alles andere als unaufgeschlossen für
Neuerungen: Vor rund vier Wochen hat hier der erste Supermarkt
aufgemacht. Und eingeschlagen wie eine Bombe. „Die haben bis raus
Schlange gestanden“, erzählt Álvaro, „klar, das ist genial: Jetzt
müssen wir hier nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit nach Sa Pobla
fahren.“ Álvaros Oma Pepa, eine kleine Frau mit wachen Augen,
schlurft aus der Küche. Seit ihr Mann nicht mehr lebt, ist sie zu
ihrer Tochter Josefa gezogen – die Familie kommt ursprünglich aus
der Extremadura. Josefa ist schon, seit sie 17 Jahre alt ist,
Wahl-Mallorquinerin, jetzt ist sie 42. Während sie die Gläser
poliert, erzählt sie von ihren ersten Jahren auf der Insel, „da
habe ich noch in Campanet gelebt – und mich unwahrscheinlich schwer
getan mit der Mentalität hier. Campanet ist so nah, dass man
rübergucken kann, aber die Leute sind einfach komplett anders. Das
glaubt man kaum, was ein paar Kilometer ausmachen können. Dort sind
sie reserviert und für sich und hier wahnsinnig herzlich.“ Gabriels
Gesicht leuchtet, als er hört, wie Josefa sein Heimatdorf lobt.
„Ganz davon abgesehen ist es bei uns auch viel schöner! Allein
wegen der alten Mühlen“, gibt er zu bedenken.
Búger war einst aufgrund seiner exponierten Lage eine der
Mehl-Hochburgen der Insel. „Der brausende Wind hier muss ja für was
gut sein“, sagt Gabriel feixend. Er selbst wohnt in einer dieser
historischen Mühlen, die sich nur einen Steinwurf hinter der Bar
befinden. Brausender Wind? Draußen regt sich kein einziges
Lüftchen. „Ja“, sagt Gabriel mit lang gezogenem A und die
mittlerweile handverlesenen Gäste um ihn rum stimmen in sein Lachen
mit ein, „heute nicht. Das ist aber die Ausnahme der Regel.“
Draußen schlägt die Kirchturmuhr die Mittagsstunde. Zwölf dumpfe
Glockenschläge. Kritisch beäugt der Messner Jaime den Turm durch
dicke Brillengläser, er hat sich in den Türrahmen des „Cas Rector“
gestellt – wie er es zu jeder vollen Stunde tut. Doch auch, als der
letzte Klang verhallt ist, bleibt er stehen, schaut abwartend in
die Luft. „Wir haben hier jetzt die neueste Technologie im
Glockenturm“ sagt er und seine Stimme klingt stolz. Noch immer
blickt er nach oben. Da fangen die Glocken erneut an zu schlagen.
Wieder zwölf Mal. Jaimes Miene wird zufrieden. „Die Glocken
schlagen immer zweimal in Búger“, flüstert Josefa erklärend, als
solle Jaime sie nicht hören, „seit sie das System vor fünf Jahren
erneuert haben, gibt es diesen Fehler.“ Jaimes Mundwinkel zucken
kurz, dann hat er sich wieder gefasst. „Mag ja sein, dass manche
das für einen Fehler halten. Dafür ist es vollautomatisch – und
absolut neueste Technologie.“
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