Der Aufstieg fällt ihm leicht. Denn der Bürgermeister von Santa Eugènia ist kräftig und behände, ein junger Mann von Anfang 30. Mit jedem Schritt, den Guillem Crespí den Weg nach oben weist, wächst in seinem Rücken Mallorca als Panoramateppich in die Weite. Zu Füßen des Hausberges von Santa Eugènia liegt das Dorf selbst. Die Kirche, die Steinhäuser und die Windmühlen wirken idyllisch, wie die Landschaft einer Modelleisenbahn. Dahinter öffnet sich die Inselebene mit ihren derzeit grünen Wiesen und einigen Nachzüglern an Mandelbäumen, die noch immer in voller Blüte stehen. In der Ferne schließlich rahmen blaue Berge den Horizont ein. Ein Bürgermeister, der gleich Zeus auf seinem Olymp direkt neben seinem Rathaus über eine solch kommunale Fernsicht verfügt, dürfte vermutlich nie die Übersicht verlieren.
Sobald die letzten Villen am Wegesrand zurücksinken, macht sich auf dem Bergrücken dichtes Gestrüpp breit. "Das ist alles Privatgelände, aber mit freiem Zugang", erklärt Crespí. Dann taucht auf dem Gipfel hinter dem letzten Buschwerk wie aus dem Nichts ein sprödes Wrackteil auf. Erst bei genauerem Hinsehen wird erkennbar, dass es sich um ein ausrangiertes Ausflugsboot handelt. Noch vor ein paar Jahren war das Bull-augen-Gebilde vom Tal aus gut zu erkennen, wie ein Ufo, das dort oben auf dem Gipfel gestrandet war und nun vergeblich wieder sternwärts zu starten versuchte. Zuletzt aber war Santa Eugènias Mini-Arche-Noah vom Flachland her nicht mehr auszumachen. Der Grund ist schlicht: Das Schiff war einst auf gemauerten Steinsäulen aufgebockt worden. Eine davon wurde jedoch gewaltsam zerstört, so dass die gesamte Konstruktion zu Boden krachte - und dort noch immer herumliegt.
Bürgermeister Crespí kennt das "U-Boot", wie das Objekt im Dorf genannt wird, von Kindheit an. Wenn Lehrer mit ihren Klassen Ausflüge auf den Berg machten, um den Schülern die heimische Flora nahezubringen, dann hatten die Jungen nichts anderes im Sinn, als das U-Boot zu stürmen und sich dort hineinzusetzen. "Das war so etwas wie ein Monument für das Dorf", sagt Crespí und weiß auch die Hintergründe der lokalen Posse zu erzählen: Ende der 1960er Jahren wollte der Besitzer des Geländes auf dem Berg ein Haus errichten. Das wurde ihm untersagt. Aus Ärger darüber erwarb er in Arenal ein altes Ausflugsboot mit großen Fenstern und ließ das Wassergefährt per Traktor auf den Berg schaffen, um es dort anstelle des Hauses als Aussichtsplattform zu verwenden. Schiff ahoi, mitten im Kernland der Insel.
Wenige Fußminuten von dem Boot entfernt, befindet sich auf dem Nachbargipfel, dem 245 Meter hohen Puig de Santa Eugènia, ein weiteres Monument des Dorfes, wenn auch von weit weniger kurioser Provenienz. Es handelt sich um eine obeliskenartige Steinsäule, die von einem christlichen Kreuz gekrönt wird. "Reino en España", ,Ich regiere in Spanien', verkündet eine stark ramponierte Jesus-Figur über dem Erdenrund, das sich von dieser höchsten Stelle aus wie entrückt bewundern lässt. Auch dieses Monument, das 1950 errichtet wurde, hat seine Geschichte: Damals ließ die Dame aus dem Geschlecht der Mascaró, die zudem den Adelstitel "Condesa de España" trug, das Monument errichten - als Einlösung ihres Versprechens an den Heiland, wenn er doch alle ihre Familienmitglieder unbeschadet durch den Spanischen Bürgerkrieg kommen ließe. Der Herr wollte aus jenem Geschlecht tatsächlich keinen Gefallenen für Gott und Vaterland, so dass die Gräfin ihrerseits Wort hielt und das Bauwerk errichten ließ. Damals wohlgemerkt auf eigenem Grund und Boden; das Herrenhaus von Son Mascaró am Fuße des Berges umfasst noch heute rund 50 Hektar landwirtschaftlich genutzte Ackerscholle.
Der Berg jedoch wurde veräußert. Ihn erwarb ein mallorquinischer Unternehmer, der mit französischen Autos handelte. Kurz vor seinem Tod beschenkte der edle Spender das Dorf Santa Eugènia mit dem Puig gleichen Namens. Die Gemeinde ist darum seit 1993 Eigentümerin von 14 Hektar und damit etwa der Hälfte des Berges samt dem Monument von Son Mascaró. "Das ist unsere kommunale Grünzone", sagt Crespí.
Warum aber ist das Denkmal so heruntergekommen? Der Zustand ist dem Bürgermeister selbst ein Dorn im Auge, wie er sagt. Seit 2004 gibt es ein Projekt, die kommunale Fläche herzurichten, als "landschaftspflegerische Maßnahme von touristischem Interesse". Ziel sei es, einen auch für ältere Spaziergänger bequemen Fußweg auf den Berg hin-auf anzulegen sowie das Denkmal wieder herzurichten. 190.000 Euro sollte die Investition betragen, zur Hälfte bezuschusst vom balearischen Tourismusministerium. Doch noch immer sind sich die Behörden nicht einig geworden, obgleich der konservative Bürgermeister ungeachtet seiner politischen Ausrichtung nach wie vor guter Hoffnung ist, von dem Ministerium in sozialistischer Hand das Geld zu erhalten.
Aus eigener Kraft kann das Rathaus die Kosten nicht stemmen, sagt Cres-pí. "Unsere Finanzlage ist fatal." Da muss der Alkalde schon zu unkonventionellen Methoden greifen, um an Finanzmittel zu gelangen. So wurden 2008 und 2009 gemeinnützige Bingo-Spiele im Dorf abgehalten, um 1500 Euro für Eisen zusammenzukratzen. Aus dem Metall wurde nun ein 150 Meter langes Treppengeländer geschweißt, um ein weiteres Vorzeige-Monument von Santa Eugènia für Senioren sicherer zu machen. Die Rede ist von der sogenannten Lourdes-Grotte, die sich auf halbem Wege zwischen dem Dorf und dem Weiler Ses Olleries befindet. Ein stiller, abgelegener Ort mit Marien-Figur in einer Tropfsteinhöhle, die einen traumhaften Ausblick auf den Randaberg bietet. 1920 hatte der damalige Pfarrer die steinerne (und bunt bemalte) Muttergottes in voller Lebensgröße in den kontemplativen Winkel stellen lassen.
Von den Feldern aus führen seit 1983 exakt 118 steile Steinstufen zu Füßen der Heiligen auf die Besucherplattform hinauf. Für ältere Herrschaften war die Steige bislang halsbrecherisch. Doch seit einem Monat ist endlich der praktische Handlauf aus unverwüstlichem Eisen an der Freitreppe anmontiert. Bürgermeister Crespí ist stolz auf das gelungene Werk. Jetzt ist auch dort der Aufstieg gesichert.
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