Dicke Rauchschlieren hängen in der Luft,
kringeln sich im Windzug. Immer wieder kommt ein kalter Stoß durch
die halb geöffnete Tür. Kuschelig warm sind hier nur die dicken
Jacken, die die Gäste an diesem Morgen erst gar nicht ablegen
wollen. Oder das wohlig heiße Gefühl, wenn der von Tomas Comas
randvoll ausgeschenkte „Cazaya“ sich brennend seinen Weg durch die
Speiseröhre sucht. Den 63-Jährigen selbst hält eine dicke
Strickjacke und der Schwung auf Temperaturen – obwohl sie in der
Bar „Deportiu“ zu dritt sind, seine Frau Magdalena und Sohn Jaime
helfen mit, hat er alle Hände voll zu tun.
Flink häuft er Berge aus Ensaladilla Rusa, geschmorten
Champignons und Fleischstücken in Sauce auf Tellerchen – die
passende Elf-Uhr-Stärkung für ein paar Arbeiter hinten in der Ecke.
Tomas' Vater war der Erste, der mit der Übernahme der Bar auch die
Tapaskultur ins Dorf brachte. „Er hatte so eine Häppchentheke im
Lokal eines Freundes in Palma entdeckt und war gleich Feuer und
Flamme“, erinnert sich Tomas. Das liegt 54 Jahre zurück, da war die
Hauptstadt noch fast das Ziel einer Tagesreise. Der Vater hatte
ursprünglich eigentlich in einer der sechs Textilfabriken des
Dorfes gearbeitet. Dort wurden vor allem dicke Decken aus
Schafswolle hergestellt – ganz Mallorca schlief noch auf Webwerk
aus Esporles. Ein Handwerk, das von Generation zu Generation
weitergegeben wurde. Bis es plötzlich nicht mehr attraktiv genug
schien, alle auf Tourismus umsatteln wollten, die Fabriken
schlossen. Und auch Tomas Vater umsatteln musste. Doch aus der Not
machte er eine Tugend, erfreute fortan mit Tapas. Und mit selbst
gemachtem Mandeleis. „Davon gab es abends dann immer Zwei für
Eins, weil es ja noch keine richtigen Eisschränke gab, wo man es
hätte einfrieren können.“
Seine Frau Magdalena zieht eine alte Fotografie hervor – Tomas
Eltern hinter der Theke. Die war damals noch aus feinem Marmor
gearbeitet, heute ist sie aus Metall, dafür dreimal so lang. Die
bunte Flaschensammlung im Rücken aber ist geblieben. Stolz steht
das Ehepaar Comas davor – er in weißem Sakko und Fliege um den
Hals. „Wie elegant die Leute doch früher waren“, entzückt
betrachtet eine junge Frau die Aufnahme.
„Ja früher“, Tomas tut einen tiefen Seufzer, dann bläst er die
Backen auf, lässt die Luft in einem langen Stoß entweichen. „Da war
halt vieles noch anders.“ Ein älterer Herr nickt zustimmend:
„Eigentlich kann man sagen, jeden Tag verliert dieses Dorf.“ Das
schlägt in die Kerbe von Tomas, „ja, der Sinn des Dorflebens, das,
was es immer ausgemacht hat, das ist halt kaum noch da“. Früher sei
das Leben hier überschaubarer gewesen, kam einer mal nicht zum
morgendlichen Kaffee ins „Deportiu“, fiel das auf, erkundigten sich
die Leute besorgt. „Du hast deine Haustür immer offen gelassen,
damit, wenn du mal nicht da sein solltest und Besuch vorbeikommt,
er bequem im Haus auf dich warten kann. Wenn du etwas gebraucht
hast, bist du zum Nachbarn – und der war glücklich, dass er dir
etwas geben konnte. Denn das bedeutete, dass er sich im Falle auch
an dich würde wenden können. Früher hat man sich geholfen, hat
zusammen Karten gespielt, sich hier in der Bar ausgetauscht, was wo
wie wann passiert ist. Da halten sich die Leute doch heute in ihrer
ganzen Hetzerei nicht mehr damit auf, jeder wurstelt sich alleine
so durch...“
Dass „früher vieles besser war“ ist ein beliebtes Thema im
„Deportiu“ – zumindest bei den Einheimischen der älteren
Generation. Sie scheinen sich nur schwer daran zu gewöhnen, dass
sich ihr schmucker Ort, der sich malerisch am Ufer des Torrente
entlangschlängelt, in den letzten Jahrzehnten zu einem recht
multikulturellen Hideaway entwickelt hat, der nicht zuletzt die
deutschen Inselresidenten magisch anzieht.
Das Café „Deportiu“ aber ist einer der urtypischen Schätze, der
ihnen geblieben ist. Darum wohl zieht es vornehmlich Einheimische
hierher. Erst recht, seitdem die Bar „Colliseu“ vor gut zwanzig
Jahren schloss, einer Sa Nostra-Filiale weichen musste. Dafür kamen
zwar neue Cafés entlang der Hauptstraße hinzu, deren großzügige
Terrassen sich vor allem bei gutem Wetter schnell zu
Publikumsmagneten entwickeln, „aber da gehen eigentlich nur die
Leute von auswärts hin“, erzählt ein Mann vom Rentnertisch, der
hier so gut wie jeden Morgen zusammenkommt.
Hier im Haus war vor dem Barbetrieb eine Fabrikhalle für die
Herstellung von Textilfärbemittel aus abgeschälter Baumrinde
untergebracht. „Die Wagen mit der Rinde konnten direkt reinfahren
und abladen“, erklärt Tomas und zeigt auf die Empore im hinteren
Teil des Raumes. Was einst als Laderampe diente, ist heute ein
besonders beliebter Platz in der Bar. „Weil man von hier alles so
gut überblicken kann“, sagt Aina schmunzelnd, die sich dort gerne
mit anderen Müttern auf einen schnellen Kaffee niederlässt, wenn
sie die Kinder in die Schule gefahren haben. Dass die
gelbgestrichenen Mauern, auf denen der Rauch mittlerweile einen
beträchtlichen Grauschleier hinterlassen hat, Geschichte erzählen
könnten, weiß sie nicht. Und scheint sie auch nicht wirklich zu
interessiert. „Ach ja? Na, Hauptsache, der Kaffee schmeckt!“
Dabei ist das „Deportiu“ die mit Abstand älteste Bar im Ort –
1922 eröffnet, damals noch als Club. Derer gab es zu jener Zeit
mehrere in der Gemeinde – die den Ruf genoss, besonders
fortschrittlich und liberal zu sein. In diesen Clubs diskutierten
die Männer, gab es Kurse für die Frauen – von Sticktechniken bis
hin zur Verhütung. Normaler Barbetrieb stellte sich erst nach dem
Bürgerkrieg ein – als „Can Ñoka“. Tomas rundlicher Bauch wackelt
vor Lachen, als er erklärt, wie es zu diesem Namen kam: „Der alte
Besitzer hatte einen kleinen Lieferwagen mit ganz
charakteristischer Hupe, ihr ñook, ñook war meilenweit zu hören.
Irgendwann sprachen deswegen alle im Dorf nur noch vom Can
Ñoka.“
Zum „Café Deportiu“, dem „Sport-Café“ wurde die Bar wenig später
durch die Radsportler. In der näheren Umgebung gab es im Jahr
mehrere wichtige Rennen – die bergige Landschaft macht die Gegend
auch heute noch zu einem Paradies für Radsporttouristen. „Außerdem
gab es damals so gut wie keinen Durchgangverkehr, man konnte sich
also richtig in die Kurven hängen.“ Die Radler erkoren die Bar zum
Inselclub. Aber auch das war einmal.
Tomas blüht auf, während er von der Vergangenheit erzählt.
Erinnerungen, die so eingerostet waren wie das verschnörkelte
Metalldach vor der Eingangstür, drängen an die Oberfläche, zaubern
fast so etwas wie ein verträumtes Lächeln auf seine Lippen. „In
dieser Bar versammelten sich immer sämtliche Junggesellen der
Gegend“, erzählt er weiter und seine Mundwinkel zucken
verräterisch, „natürlich nur die Männer – Frauen waren ja lange in
Bars verboten. Damit sie nicht hineinsehen konnten, hingen dicke
schwere Vorhänge an den Fenstern. Ich weiß noch, wie es im
Nebenzimmer immer improvisierte Tanzkurse gab: Vor den Blicken der
Mädchen geschützt, brachten sich die Jungs gegenseitig die neuesten
Schritte bei, um beim nächsten Dorffest zu beeindrucken.“ Einige
Jahrzehnte später sollte die Bar dann die Erste weit und breit
werden, in der auch Frauen gern gesehen waren. „Dafür hat sich
meine Schwester Catalina starkgemacht“, erinnert sich Tomas. Bis
dahin blieb den Mädchen nichts anderes übrig, als sich die Zeit bei
Spaziergängen auf dem lang gezogenen Boulevard vor der Bar zu
vertreiben. Auf und ab, auf und ab seien die Mädchen Arm in Arm
flaniert. „Es gab ein offenes Geheimnis: Die, die noch zu haben
waren, liefen immer außen in der Reihe, damit sie leicht
angesprochen werden konnten. Viele haben sich hier vor der Tür
kennengelernt. Oder später dann, als hier auch ab und zu getanzt
wurde – immer züchtig und mit Abstand natürlich, nicht so wie
heute.“ Und wieder wackelt sein Bauch vor Lachen.
Er stieg 22 Jahre, nachdem sein Vater die Bar übernommen hatte,
mit in den Betrieb ein, hängte dafür seinen Job als Automechaniker
an den Nagel. Eine Entscheidung, die er nie bereut hat. „Hin und
wieder kommt es sogar noch vor, dass alte Ehepaare vorbeischauen
und erzählen, dass sie sich hier im Café ineinander verliebt haben.
Das sind für mich dann die schönsten Momente.“
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