Ludwig ist ein zufriedener Typ. Liest, löst
Kreuzworträtsel. Viele Unterhaltungsmöglichkeiten bietet ihm sein
Reich in der hinteren rechten Ecke der Abflughalle auch nicht. Aber
das scheint den 50-Jährigen nicht zu stören. Ludwig gehört zu einer
Handvoll Deutscher, die derzeit an Palmas Flughafen Son Sant Joan
leben, Zuflucht gefunden haben zwischen Gepäckwagen und hetzenden
Passagieren.
Wenn es Nacht wird, wird die schmale schwarze Plastikstuhlreihe
zu seinem Bett. Aber vielleicht nicht mehr lange. Denn die
Obdachlosen scheinen der Flughafenbetreibergesellschaft Aena
mittlerweile ein Dorn im Auge zu sein. Ludwig zieht einen Ausdruck
aus seiner Tasche. Ein dreisprachiges kurzes Anschreiben, in dem
darauf hingewiesen wird, dass der Aufenthalt am Flughafen nachts
nur Passagieren und Servicepersonal vorbehalten sei. Zwei Adressen
von Sozialheimen folgen. „Die Zettel haben sie vor ein paar Tagen
an uns verteilt“, erzählt er. Auch an mehreren Säulen rund um die
Lieblingsplätze der Flughafenschläfer kleben sie. Über einem prangt
ein ausgerissener Zeitungsschnipsel. „Injusticia“ (Ungerechtigkeit)
steht darauf. Sympathie oder Mitleid: Die Angestellten der
Cafeteria, des Kiosks und auch der junge Sicherheitsbeamte im
Dienst finden nur nette Worte über die Gestrandeten – es seien
korrekte, ruhige Leute, die keinen Ärger machen.
„Wir wissen, dass Menschen am Flughafen leben“, sagt
Aena-Sprecherin Margarita Ferrándiz. „Bei der nächtlichen
Einschränkung geht es um verschärfte Sicherheitsmaßnahmen. Das eine
hat mit dem anderen nichts zu tun.“ Dass laut neu angebrachter
Hinweisschilder ab sofort nicht mehr die seitlichen Eingänge –
dadurch wandeln die Obdachlosen gerne ein und aus – sondern die
leicht einsehbaren mittigen Haupteingänge zu benutzen sind, seien
auch nur einleitende Maßnahmen der neuen Sicherheitsbestimmungen.
Wie diese aber konkret aussehen und was sie für den Verbleib der
Obdachlosen bedeuten werden, dazu will sie sich nicht äußern.
Ludwig sieht es gelassen: „In drei Wochen bin ich hier eh weg.“
Er will nach Ibiza, dort arbeite er seit ein paar Jahren in der
Saison als Tellerwäscher. Er könne verstehen, dass die
Betreibergesellschaft sich gezwungen sehe, in irgendeiner Form
einzugreifen: „Im Moment wohnen hier einfach zu viele. Aber uns
verjagen werden sie schlecht können, schließlich ist der Flughafen
ein öffentliches staatliches Gebäude.“
Mit ihm sind es derzeit fünf Bundesbürger, die hier leben. Da
ist Birgit, die als „die Frau mit der Katze“ schon im Sommer vor
zwei Jahren in den deutschen Medien für Schlagzeilen sorgte. Mit
ihr verstehe er sich gut, erzählt er, während er ihren Kater Mumus
krault. Birgit ist nicht da. „Wahrscheinlich kurz mal einkaufen,
wir laufen immer zum Carrefour.“ Ein paar Sitze weiter liegt ein
langbärtiger Holländer. „Wir nennen ihn nur den Rübezahl“, sagt
Ludwig und muss breit lachen, „aber mit dem will ich nichts zu tun
haben. Der spuckt auf den Boden und er riecht. Solche Typen sind
schuld daran, dass die uns hier weghaben wollen. Genauso wie der
Geist.“
Der „Geist“ – hier hat jeder schnell seinen Spitznamen weg – ist
ein Mann mit halblangem grauen Haar, der sich ans entgegengesetzte
Ende der Halle zurückgezogen hat. Er will kein Interview geben und
schon gar nicht mit Foto erscheinen. „Ich bin hier nur
übergangsweise“, sagt er und gibt den Businessmann, „ich will mir
meine Geschäftskontakte nicht kaputt machen.“ Ludwig hat dazu seine
ganz eigene Meinung: „So wie der sich verhält, hat der Dreck am
Stecken.“ Auch Mike aus Sachsen hat eine kriminelle Vorgeschichte.
Zumindest erwähnte er das gegenüber der „Bild“-Zeitung, die den
Flughafenschläfern vor wenigen Tagen einen Besuch abgestattet
hatte. Kurz bevor sich abzeichnete, dass deren Tage im Terminal
möglicherweise gezählt sein könnten. „Ist der doof, das zu
erzählen?“ echauffiert sich Ludwig, „das fällt doch alles auf uns
zurück!“ Und dann ist da noch „Blondi“: Eine adrett zurechtgemachte
Frau mit Zopf, die Koffer vor sich herschiebend wirkt wie eine
Reisende. Bis sie an einer Mülltüte innehält, vorsichtig und auf
Diskretion bedacht, anfängt, diese nach Essbarem zu durchforsten.
Als sie angesprochen wird, ergreift sie die Flucht.
So weit wird es bei Ludwig nicht kommen, „ich bin der Einzige
hier, der Geld hat“. Nicht nur das, was er sich auf Ibiza verdient,
sondern auch 481 Euro Witwerrente. Seine Frau Gertrud starb vor
sechs Jahren, damals lebten die beiden in Bad Rodach. Ihr Tod habe
ihn aus der Bahn geworfen, erzählt der einstige Auto-Mechaniker.
Ludwig zog in den sozialen Wohnbau, doch dort gab es Probleme, er
zog wieder aus. Zwei Umschulungen für Holzhandwerk habe er über
sich ergehen lassen müssen, dabei wollte er doch Koch werden. Dann
strichen sie ihm das Arbeitslosengeld. „Ich hatte damals einfach
keine Lust mehr, hab den Koffer gepackt und mich in den Flieger
gesetzt.“ Heute ist er in Deutschland ausgesteuert, hat eine
spanische NIE, ist auf den Balearen als Resident gemeldet. „Ich
will nichts mehr mit Deutschland zu tun haben. Aber ich will auch
nicht, dass Deutschland etwas von mir will...“
Kein Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Noch kein Kommentar vorhanden.