Juan Bonnin Forteza aus Sa Pobla kann sich
noch gut daran erinnern, wie er schon als kleiner Steppke die
Sommermonate in Can Picafort verbrachte. "Damals gab es hier etwa
80 Häuser. Eines davon teilten wir uns mit einer anderen Familie,
jede hatte ein Schlafzimmer. Und wir allein waren acht ..."
Inzwischen ist Juan Bonnin 70 - und noch immer treuer Sommergast in
Can Picafort. Die spartanische Bleibe von einst ist längst einem
behaglichen Apartment gewichen - aber eng wird's zuweilen immer
noch, dann, wenn die Kinder und Enkel zusammenkommen.
Urlaub machen auf Mallorca - das ist keine Erfindung von Dr.
Tigges. Die mallorquinische Sommerfrische gehört zur Insel wie das
"Pa amb Oli" und der "Hierbas". Die ersten Strandgänger suchten
freilich nicht die Sonne; und das Baden in den Wellen war auch noch
nicht "in". Die Menschen aus dem Inselinneren flüchteten vor der
Hitze an die Küste, um die frische Meeresbrise zu genießen: den
"Embat", der jeden Mittag so zuverlässig einsetzt, dass man die Uhr
nach ihm stellen kann.
Noch früher, so ist es im Museum von Son Real bei Can Picafort
beschrieben, pilgerten die Tagelöhner hin und wieder ans Meer, um
sich den Staub der Felder von der Haut und aus den Kleidern zu
waschen. Hängematten aus Laken dienten als Bettstatt.
Heute sind viele Mallorquiner wohlhabend, ihre Insel
flugtechnisch mit der ganzen Welt verbunden. Und was machen sie?
Richtig: Urlaub auf Mallorca. Für den echten Mallorquiner gibt's
für die Monate Juli und August keine Alternative zu Mallorca. Da
mögen Gewohnheit und Bequemlichkeit eine Rolle spielen (Juan
Bonnin: "Von Sa Pobla nach Can Picafort sind's nur zehn Minuten"),
aber vor allem ist der Brauch Ausdruck tiefer Zufriedenheit. "Se
vive bien en Mallorca", wie oft hört man den Ausspruch in
geselliger Runde. Es lebt sich gut auf Mallorca.
Und so kommt es, dass viele Einheimische - und die Zugezogenen
machen es ihnen längst nach - eine Butze an der Küste haben, in
Eigentum oder gemietet. Meist ganz in der Nähe des Wohnorts; denn
so kann die Familie am Meer sein, auch wenn Vater oder Mutter
zwischendurch zur Arbeit müssen. Wer hat schon zwei Monate
Urlaub?
Ausländische Inselbesucher sind oft bass erstaunt, wenn sie
erfahren, dass der Palmesaner seinen Urlaub gerne in Cala Blava bei
Arenal verbringt und der Manacori in Porto Cristo, jeweils nur
wenige Kilometer von zu Hause entfernt. Wobei die Wohnortnähe nicht
mehr ganz so entscheidend ist, seit das Straßennetz ausgebaut
wurde. Sa Ràpita ist auch von Palma aus nur einen Katzensprung
entfernt - die Werbung für Ferienhaussiedlungen macht deutlich
darauf aufmerksam.
Das war noch anders, als der kleine Juan Bonnin nach Can
Picafort fuhr. Sein Vater, der Blechner von Sa Pobla, konnte schon
1940 stolz mit einem Citroën vorfahren. Auf ihrem Weg zur Küste
überholten motorisierte Sommerfrischler aber Leute, die die Strecke
mit Eselskarren, dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklegten.
Dass es auf der Insel am schönsten ist, meinen übrigens nicht
nur jene, die sich nichts anderes leisten können. Die Strandpaläste
"guter" Familien rings um die Insel zeugen davon. Einer der
mallorquinischen Hotelkönige mit Häusern auf der ganzen Welt hat
vor einigen Jahren die Fremdenzimmer im obersten Stockwerk eines
Vier-Sterne-Hotels an der Playa de Muro "geopfert", um dort sein
Luxuspenthaus einzurichten.
Jeder eben so, wie er's kann: Unser Juan Bonnin aus eher kleinen
Verhältnissen schaffte es mit der Kraft der Familie: Er und vier
seiner Geschwister bauten sich in Can Picafort ein Apartmenthaus:
für jeden ein Stockwerk, das "Ático" natürlich für den Ältesten.
Eine Schwester brauchte keins - sie wurde Nonne.
Wer genau hinschaut, wird in vielen Touristenzentren der Insel
also feststellen, dass sie weit mallorquinischer sind, als man das
auf den ersten Blick glauben mag. Das gilt für Colònia de Sant
Jordi genauso wie für Cala Rajada und Port d'Alcúdia. Und eben Can
Picafort, das gemeinhin als nicht allzu schickes Feriendorf für
Deutsche und Briten dargestellt wird. Dabei sind große Bereiche des
Küstenorts von Santa Margalida nicht von Bettenbunkern, sondern von
Sommerresidenzen dominiert, die auch diesem Ort einen gewissen
Charme geben.
Gegen Abend rücken die älteren Herrschaften gerne ihre
Schaukelstühle auf die Terrasse und lassen die Urlauber an sich
vorbeiflanieren. Der eine oder andere erhascht dabei einen Blick
ins Innere der Ferienhäuser - und glaubt sich um ein Jahrhundert
zurückversetzt. In der Tat sind viele Salons in den vergangenen
Jahrzehnten kaum verändert worden. Das Grammophon, das der
MM-Reporter in einem Haus entdeckt, stammt nicht vom Trödel. Es
gehört zur Originaleinrichtung.
Die Mallorquiner in "Can Pica" stehen den Touristenmassen, mit
denen sie den Ort teilen müssen, gelassen gegenüber. Dazu mag auch
beitragen, dass sich die Tagesabläufe deutlich unterscheiden.
Während sich das Gros der Urlauber den ganzen Tag am Strand grillt,
dosiert der Mallorquiner den Aufenthalt am Wasser: morgens ein
bisschen und abends ein bisschen. Dazwischen liegen Einkauf,
Kochen, Essen und Siesta.
Daher könnte eine deutsch-mallorquinische "Begegnung" gegen 20
Uhr wie folgt aussehen: Die Einheimischen plantschen genüsslich in
der Abendsonne, während sich die Urlauber, schon geduscht und
abgespeist, bei immer noch 30 Grad schwitzend die Promenade
entlangschleppen. Selbst wenn sie es anders machen wollten, die
Essenszeiten im Hotel lassen kaum einen Spielraum.
Apropos Essen: Juan Bonnin hat in Mangelzeiten als Kind gelernt,
den häuslichen Suppentopf etwas gehaltvoller zu machen. Er ging
fischen und sammelte Gambas. Und das macht er heute noch. Früh
morgens tuckert er mit seiner Llaüt hinaus in die Bucht, zieht die
"Fluxa" hinter sich her oder wirft die Angel.
Dazwischen eine Brotzeit, natürlich ein Pa amb Oli. Da das Boot
kräftig schwankt, legt er einige Scheiben frisches Graubrot einfach
in eine Wanne, gibt eine satte Ladung Salz und Olivenöl darüber.
Kurz durchgeschwenkt, fertigt. Juan genießt das einfache Mahl. "Ich
würde Mallorca mit nichts tauschen auf der Welt", sinniert er.
Wieder eine dieser Liebeserklärungen an die Heimat, diesen
kleinen Felsen im Mittelmeer.
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