Wo ist das Jahr nur geblieben? Allseits
bekannt, hört man diese Frage dennoch immer wieder, wenn es auf
Silvester zugeht. Rund um die Uhr erreichbar, führt der Mensch in
unserem Kommunikationszeitalter ein Leben im „Multitasking-Modus”:
Zahllose Anforderungen prasseln alltäglich auf uns nieder, und wir
sind bemüht, sie möglichst alle gleichzeitig zu erledigen.
Ergebnis: Wir fühlen uns immer öfter selbst erledigt.
Entschleunigung heißt das Zauberwort, das schon seit den 1980er
Jahren wieder Muße und Genussfähigkeit in unser Leben bringen soll.
Hinzu kamen immer mehr Zeitmanagement-Seminare, die uns lehren
sollen, die verbliebene (Frei-)Zeit zumindest einigermaßen sinnvoll
zu gestalten: Allein der Online-Buchshop Amazon hat dazu über 500
Ratgeber im Angebot.
In einer Welt, in der täglich 171 Milliarden E-Mails verschickt
werden sollen, wie Statistiker errechneten (und von denen 70
Prozent im Spam-Ordner landen), entdecken immer mehr Menschen die
„Aus-Taste”, sagen Nein zum Diktat der Technik. Zumal jeder von
uns, wie Psychologen zu wissen glauben, ohnehin nur rund zwei
Prozent der eintreffenden Informationen verarbeiten kann.
Nach der „Slow-Food”-Welle, die schon um die Jahrtausendwende
aus Italien als Antwort auf Fast Food herüberschwappte, ist seit
2001 ein weiterer Trend unverkennbar: die „langsame Stadt”. In
Wirtschaftsmagazinen kriegen gestresste Manager immer öfter
unbekannte europäische Kleinstädte oder Regionen empfohlen, die
sich „Wahrung und Kultivierung der lokalen Kultur” auf die Fahnen
schreiben. Erste deutsche „cittaslow” ist das mittelfränkische
Hersbruck bei Nürnberg: 12.500 Einwohner, Handelsketten
unerwünscht, stattdessen Förderung alteingesessener Betriebe.
Beweidung historischer Flächen. Ziel: Nachhaltigkeit.
Auch der aktuelle Plan des Europäischen Parlaments, die
Arbeitszeit in der EU auf die 48-Stunden-Woche zu begrenzen, zeigt:
Das Hamsterrad hat ausgedient. Statt mailen, chatten, simsen – die
Entdeckung der Stille. Yoga- und Meditationskurse boomen, der
Mensch will wieder „zu sich” kommen. Und zu anderen. Denn Tempo,
Multitasking und Do-it-yourself haben auch dazu geführt, dass viele
es immer schwieriger finden, sich ein stabiles soziales Umfeld zu
erhalten: Wer nimmt sich noch die Zeit zur Pflege von Partnerschaft
und Freundschaft?
Dabei, so eine Studie des Statistischen Bundesamtes, haben die
Deutschen mit im Schnitt 42 Stunden pro Woche so viel Freizeit wie
nie zuvor. Das Problem, sagt Autor Stefan Klein („Zeit. Der Stoff,
aus dem das Leben ist”), sei denn auch nicht, dass wir gestresst
sind, weil wir keine Zeit haben, sondern: „Wir haben keine Zeit,
weil wir gestresst sind.” Mut zur Sendepause, Prioritäten setzen
und: Nein sagen lernen, lautet heute die Devise. Denn, so
Kabarettist Wolfgang Neuss: „Der Tag ist 24 Stunden lang, aber
unterschiedlich breit.”
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