Es ist immer eine Gewissensentscheidung. Wer
eine Abtreibung vornehmen lässt, sollte deshalb auch heute, über 30
Jahre nach Abschaffung des Paragraphen 218 in Deutschland und
ähnlichen Regelungen in anderen Ländern, einen guten Grund haben
für diese Entscheidung. Doch was als wichtiger Schritt in der
Emanzipationsbewegung begann, wird heute auch leichtfertig
missbraucht. Waren früher Vergewaltigung, Missbildung des Fötus
oder schwerwiegende soziale Probleme ein Grund für einen Abbruch,
kann es heute auch das ungünstige Timing in der Lebensplanung
sein.
Steigt aber die Zahl der Abtreibungen in einem Land, nur weil
der Schwangerschaftsabbruch innerhalb einer bestimmten Frist
gesetzlich erleichtert wird? Die große Mehrzahl der europäischen
Länder und die USA haben zum Teil seit mehr als 30 Jahren eine
Fristenregelung. Jahrelange Statistiken zeigen heute: In keinem der
Länder erhöhte sich die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche durch die
Legalisierung der Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Wochen.
Jetzt plant Spanien, zusammen mit Polen und Irland eines der
letzten Länder Europas ohne Fristenregelung, das sogenannte "Ley
del Aborto Libre", ein Abtreibungsgesetz nach europäischem Modell.
Innerhalb der ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft soll es der
Frau überlassen bleiben, ob sie das Kind austragen will oder nicht.
Bisher ist dafür in Spanien offiziell eine medizinische oder
psychologische Indikation notwendig, die allerdings, das ist
bekannt, von Ärzten sehr weit ausgelegt werden kann. Die Folge sind
Abtreibungszentren, die mit legalen Schwangerschaftsabbrüchen
werben, sowie Zahlen, die weit über denen in Deutschland oder
anderer Länder liegen.
Jetzt befürchten Organisationen wie das "Instituto de Pólitica
Familiar (IPF)" durch das geplante Gesetz einen weiteren Anstieg
der Zahlen, und rechnen bis 2015 sogar mit einer Verdoppelung der
Abbrüche. "Sollte dieses Gesetz eingeführt werden, wird Spanien im
Jahre 2015 mit 232.000 Abtreibungen pro Jahr das Land mit der
höchsten Rate in Europa sein", kalkuliert Eduardo Hertfelder,
Vorsitzender des IPF, die Hochrechnung.
Eine falsche Rechnung, sagen Gynäkologen, denn nichts sei heute
einfacher, als in Spanien eine Abtreibung vornehmen zu lassen. "Es
gibt legale Abtreibungszentren, die Schwangerschaftsabbrüche bis
zur zwölften, manchmal sogar bis zur 22. Woche anbieten", erklärt
Dr. Miguel Terrasa, Gynäkologe im Centro Médico Porto Pi in Palma.
Die gesetzlichen Bestimmungen seien hier so weit gefasst, dass es
für die Ärzte dort offensichtlich kein Problem sei, am laufenden
Band Abtreibungen vorzunehmen. Niedergelassenen Gynäkologen wie ihm
selbst sei es außerhalb dieser Kliniken nicht erlaubt, abzutreiben.
Bestehe eine seiner Patientinnen auf einer Abtreibung, müsse sie
daher auf eines dieser Zentren ausweichen. Beratungsgespräche wie
in Deutschland gebe es seines Wissens dort nicht. Warum die Zahlen
so hoch seien? "Offensichtlich denken viele, es sei einfacher
abzutreiben oder die "Pille danach" zu nehmen, als sich vom
Frauenarzt ein Rezept für ein Verhütungsmittel zu holen." Dass die
Zahl der Abtreibungen in Spanien daher mit dem geplanten Gesetz
drastisch steigen werde, bezweifelt Terrasa.
Ähnliches belegen die Statistiken. Nicht die absolute Zahl der
Schwangerschaftsabbrüche ist maßgebend für die Entwicklung, sondern
die Abortrate auf 1000 Frauen im gebärfähigen Alter (15 bis 44
Jahre). Wenn die Abtreibungszahl ansteigt, so kann die Rate
trotzdem rückläufig sein, wenn gleichzeitig die Bevölkerungszahl
zunimmt. Ein Blick auf die Entwicklung in Europa zeigt auch, dass
die Gesetzgebung nicht der Grund sein kann für die Schwankungen. In
Ländern mit ähnlichen Gesetzen verlaufen die Entwicklungen nämlich
sehr unterschiedlich. Die Gründe für die Schwankungen sehen viele
Ärzte, wie auch Miguel Terrasa, daher eher im Verhütungsverhalten.
"Ein Fristengesetz wird die Zahlen sicherlich nicht erhöhen, doch
gesenkt werden sie nur durch das Verantwortungsbewusstsein junger
Menschen."
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