Es ist ein anhaltender, nicht enden wollender Schrei, den nur
ein Geschöpf ausstößt, das Todesangst hat. Doch nach fünf Minuten
verstummt er, wenn der „Matançer” dem Schwarzen Schwein mit
gekonntem Schnitt die Halsschlagader durchgetrennt hat.
Für Tolo Deià, den Gastgeber der „Matança”, beginnt der Tag
früh. Bevor der Metzger, der „Matançer”, um 9 Uhr das Messer
ansetzt, gibt es für Tolo und seine Frau Manoli viel zu tun. Von
der Hauptstraße abzweigend, führt ein holpriger Weg zum Grundstück
der beiden. Inmitten von Olivenbäumen erscheint im Halbdunkel des
Morgengrauens ein kleines Häuschen. Unter dessen Vordach richtet
Manoli zwei lange Tische als Arbeitsflächen her, und Tolo bereitet
vor, was für die Tötung des Schweines nötig ist. Dieses Jahr ist es
ein richtiges Prachtexemplar: eine 120 Kilogramm schwere Sau der
heimischen Urrasse „Porc negre mallorquín”. Die dicken Holzbretter,
die auf einem Eisengestell befestigt sind, sollten dieses Gewicht
mühelos aushalten. Etwas Mühe dagegen haben die Männer später
damit, die kräftige Schweinedame dorthin zu bewegen, wo für sie das
Leben endet und das Schlachtfest beginnt.
Die Sonne ist aufgegangen, aber es wird noch eine Weile dauern,
bis sich die ersten Sonnenstrahlen über die Gipfel der Tramuntana
nach Deià bequemen. Die kalten Tage der Monate Dezember und Januar
ermöglichen die Schlachtung des Tieres unter freiem Himmel. Die
ersten Erzählungen über „Matanças” in den ländlichen Regionen
Mallorcas stammen aus dem 17. Jahrhundert. Einmal im Jahr
schlachteten die Bewohner einer Finca einige ihrer Schweine für den
Eigenbedarf und den Besitzer der Finca. Mithelfende Freunde und
Verwandte belohnten sie mit Produkten des Schlachtfestes. Alles vom
Tier wurde verwertet: Fettreiche Wurstwaren wie Sobrassada und
Butifarrón ergänzten als wichtiger Energielieferant den Speiseplan
der Familie für mehrere Monate. Knochen wurden durch Einsalzen
haltbar gemacht, und würzten noch lange nach dem Schlachtfest
Brühen und Suppen. Überschüssiges Fett nutzten die Mallorquiner
damals als Schmiermittel für Karren und Geräte.
Die Tradition der „Matanças” hat sich bis heute fast unverändert
erhalten und ist Touristen kaum zugänglich. Sie werden privat oder
von der Gemeindeverwaltung eines Dorfes veranstaltet. Für die
Gemeinden erließ das Gesundheitsamt 1993 vorsorglich
Hygieneauflagen, die vom verantwortlichen „Matançer” überwacht
werden.
Die ersten Gäste sind eingetroffen: Eine Gruppe von Frauen steht
lachend und plaudernd um einem Tisch mit einer Ladung eingesalzener
Naturdärme. Ein junges Mädchen lernt, wie man den Darm in Wasser
mit Zitronenscheiben vom Salz befreit und das glitschige Organ mit
den Händen auswringt. Die Därme sind schon gesäubert gekauft
worden, der unangenehme Teil dieser Arbeit ist also bereits
erledigt. Nach dem Zitronenbad hängen die Frauen die Därme in Reih'
und Glied an eine Leiter, die zwischen zwei Gestellen quer
liegt.
Im Hintergrund versammeln sich die Männer und einige mutige
Frauen und Mädchen, um dem „Matançer” bei der Arbeit zuzuschauen.
Es fällt schwer hinzusehen. Eine Art Panik vor dem Tod steigt in
einem auf und nistet sich für eine Weile als beklemmendes Gefühl in
der Magengegend ein. Der Tötungsakt selbst ist schnell vorbei - der
Metzger versteht sein Handwerk.
Er flämmt dem Schwein mit einem überdimensionalen Bunsenbrenner
die Borsten ab. Der frische Wind erweist sich während der ganzen
Verarbeitung als großer Vorteil: Man ist nicht dem Geruch eines
Schlachthauses ausgesetzt. „Auf geht's - alles mach' ich nicht
allein”: Der Matançer gibt zwei Freiwilligen je einen schwarzen,
porösen Stein, den „piedra tosca” in die Hand, und mit reichlich
Wasser schrubben sie die graue Schweinehaut. „Wow, so eine Massage
hätte ich auch gern! Wer von den Damen will als nächstes?” Eine
fröhliche Mallorquinerin muntert einige skeptisch schauende Mädchen
mit ihrem trockenen Humor auf. Wer nicht zuschauen kann, lässt
seinen Blick über die Olivenbäume aufs blassblaue Meer schweifen,
um sich mit der schönen Aussicht abzulenken.
Von der kalten Luft gerötet sind die Hände des „Matançer”, als
er mit der Zerlegung des Tieres beginnt. Fleischteile und Organe
drückt er den Helfern nach und nach in die Hand, damit sie sie
neben den Därmen an der Leiter aufhängen. „Oh, schaut euch das mal
an!” Die Fleischteile dampfen leicht, schließlich ist der Körper
des Schweines noch warm. Doch die Entdeckung, dass Nerven die
Muskeln so kurz nach dem Tod noch zucken lassen, versetzt die junge
Mallorquinerin in eine Mischung aus Erstaunen und Ekel.
Nachdem der „Matancer” die Knochen der dunkelroten Fleischteile
ausgelöst hat, bleibt keine Zeit mehr zum Staunen und Zuschauen:
Die langen Därme müssen gekürzt und die Enden zugenäht werden. Ein
Teil des Schweinefleisches landet zum Kleinschneiden auf den
Schneidebrettern, um dann mit einer guten Portion Fett durch den
Fleischwolf gelassen zu werden. Die Hackfleischmasse baumelt in
einer Riesenschüssel am Haken einer alten mechanischen Waage. In 40
Kilogramm roher Hackmasse versinken die Arme von vier Freiwilligen
bis zu den Ellenbogen, um sie mit Salz, Pfeffer und reichlich
Paprikapulver zu vermengen. Geduldig füllen die Helfer die
vorbereiteten Därme, und eine Stunde später hängt Gastgeber Tolo
die berühmten mallorquinischen Sobrassadas an die Leiter.
Mit der aufsteigenden Sonne steigt die Stimmung - und der erste
Hunger macht sich bemerkbar. Die Truppe versammelt sich um eine
Pfanne mit „Migas manchegas”. Das traditionelle Schäferessen macht
nach wenigen Löffeln satt: im frischen Schweinefett gebruzelte
Brotstückchen mit frittierten Chorizos, Butifarróns, grünen
Paprikaschoten und Knoblauch. Dazu isst man frische Trauben und die
ersten Flaschen Wein werden geöffnet.
Lange dauert die Pause nicht - die zweite Hälfte der
Fleischmassse und die Innereien des Schweins sollen zu Butifarrónes
verarbeitet werden! Im Gegensatz zur rohen Sobrassada ist die
Butifarrón eine Kochwurst: Alles, was durch den Wolf gedreht wird,
muss vorher gekocht werden. Der Masse aus Fleisch, Speck, Innereien
und Schwarten fügt dann der Matançer persönlich das Wichtigste
hinzu: Blut und Gewürze. Fenchelsaat, Pinienkerne, Muskatnuss, Anis
und Nelken: Die Zutaten sind kein Geheimnis, aber man muss wissen,
wie man sie dosiert. Abgeschmeckt und für gut befunden, wird die
Wurstmasse in Därme gefüllt. Das folgende heiße Wasserbad lässt das
Blut stocken und die Gewürze entfalten ihren Geschmack. Tolo
strahlt zufrieden auf seine „Wurstleiter”, und endlich kann die
gelungene Arbeit ausgiebig gefeiert werden. Die Arbeitstische
werden mit wenigen Handgriffen zur Tafel. Er serviert das beste
Frito mallorquín, bevor er uns zum Abschied eine der besten
Sobrassadas oder Butifarrónes des Jahres mitgibt: unter freiem
Himmel, mit Freunden und Familie, und aus dem eigenen
Schweinefleisch hergestellt.
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