Terroristen werden begnadigt – aber die Opfer
werden nie begnadigt. Dieser Satz vom Co-Piloten der „Landshut”,
Jürgen Vietor, sagt Dorothea Selter, beschreibe ziemlich genau ihr
Lebensgefühl. Und das ihrer drei Freundinnen, die damals mit ihr,
im Oktober 1977, in der entführten Lufthansa-Maschine saßen, die
eigentlich von Palma nach Frankfurt fliegen sollte. Dann geriet sie
in die Hand der Terroristen. Erst nach fünf Tagen, am 18. Oktober,
endete das Drama in Mogadischu, wo die Maschine von der GSG 9
gestürmt wurde.
Am Wochenende trafen sich die Freundinnen, die damals zu den 82
„Landshut”-Geiseln gehörten, nach fünf Jahren zum zweiten Mal auf
Mallorca. Alle sind gut drauf, freuen sich über das Wiedersehen:
„Das Leben ist schön!” Aber das war nicht immer so. Jahrelang, so
bekennen die Frauen, waren sie unfähig, ein Flugzeug zu betreten,
die Beklemmung ist geblieben. „Ich habe jedesmal Schweißausbrüche
und schaue mich um, wer noch mit einsteigt”, erzählt Beate Müller.
Panik bekam sie, als sie kürzlich in den Ägypten-Urlaub flog und
der Pilot kurz vor der Landung die Maschine wieder hochzog, um noch
eine Schleife zu drehen: „Da dachte ich gleich an das
Schlimmste.”
Die Entführung ist das Hauptthema der Freundinnen. „Aber wir
reden natürlich nicht ständig drüber”, sagt Diana Müll, die als
Geisel damals besonders schlimme Momente durchlitt. Der Anführer
der Terroristen hielt ihr eine Pistole an die Schläfe, zählte von
zehn auf eins, um sie zu töten, falls der Tower sich weigerte, die
Maschine aufzutanken. Erst bei „eins” kam die Bestätigung. „Viele
der Erlebnisse in diesen fünf Tagen können wir nur untereinander
austauschen. Für Außenstehende ist das einfach nicht
nachfühlbar.”
Die Tage in der Maschine, dieser „engen, stinkenden Röhre”, wie
Diana Müll das nennt, waren die Hölle. Doch selbst jede der vier
Freundinnen hat sie anders erlebt: „Jede von uns erzählt eine
andere Geschichte.”
Dorothea Selter saß als Einzige mit ihrem Mann im Flieger, die
Beziehung ging später in die Brüche: „Wir konnten über das Erlebte
nicht sprechen.” Auch Jutta Knauffs Ehe hielt der notwendigen
Verarbeitung des Traumas nicht stand: „Ich wurde nicht aufgefangen,
das wurde totgeschwiegen. Nach dem Motto: Vielleicht geht es ja so
vorbei.”
Ging es aber nicht. Während Beate Müller von Anfang an über ihre
Erlebnisse sprach – „Ich war immer froh, wenn ich reden konnte” –
und sich in die Arbeit stürzte, hat Dorothea erst viel, dann kaum
noch gesprochen: „Das konnte keiner nachempfinden. Ich bin dann
eine Meisterin im Verdrängen geworden.” Diana Müll bekam erst Jahre
nach der Entführung schlimmste Paniattacken, die Suche nach einem
Therapeuten, nach Hilfe überhaupt, ist ein weiteres Leidenskapitel
in ihrem Leben. Gerade hat sie ein Buch darüber veröffentlich
(„Mogadischu. Meine Befreiung aus Terror und Todesangst”), obwohl
sie wusste: „Das wird hart. Du fliegst die fünf Tage noch mal
durch.”
Doch es war auch noch eine Therapie für sie, und die, sagt Diana
Müll, hätten auch die Angehörigen gebraucht: „Meine Mutter hat
damals, vollgepumpt mit Valium, die fünf Tage quasi vor dem
Fernseher verbracht, die einzige Möglichkeit der Kommunikation. Da
sah sie immer diese flimmernde Maschine, jeden Moment kann sie in
die Luft gehen, und da sitzt jetzt dein Kind drin.”
Erinnerungen, auch an später. Beate Müller denkt, was sie noch
alles machen wollte, wenn sie hier raus ist. An den Moment, als sie
1996 der einzig überlebenden Terroristin, Souhaila Andrawes, im
Hamburger Gericht ins Gesicht sieht: „Ich habe den Augenkontakt
richtig gesucht. Das war eine Machtsituation.” Immer wieder habe
sie gedacht – „nach fünf, zehn, 20 Jahren” –, das müsse doch mal
vorbei sein. Aber: „Das wird nie vorbei sein. Wir sind
Zeitzeugen.”
Jutta Knauff feiert jedes Jahr am 18. Oktober, den
Befreiungstag: „Mein zweiter Geburtstag”. Da kauft sie sich Rosen,
trinkt ein Glas Champagner. Letztes Jahr war sie an dem Tag wegen
einer Herz-OP im Krankenhaus: ,,Da kam alles wieder hoch". Ein
Gespräch mit einer Therapeutin dort habe ihr endlich Gewissheit
verschafft: ,,Ich soll gar nicht versuchen, zu vergessen. Das
gehört zu meinem Leben."
Kein Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Noch kein Kommentar vorhanden.