Als am frühen Donnerstagmorgen vergangener Woche in den Madrider
Vorstadtzügen nahezu zeitgleich zehn Bomben explodierten, rissen
sie nicht nur 201 Menschen in den Tod; die Detonationen leiteten in
Spanien einen grundlegenden Wandel ein, wie ihn sich die wenigsten
Politauguren im Vorfeld hatten träumen lassen. In nur drei Tagen
kehrten sich die politischen Machtverhältnisse im Lande vollständig
um. Die bislang mit absoluter Mehrheit regierende konservative
Partido Popular (PP) erlebte am vergangenen Wahlsonntag ein
historisches Debakel, und der junge Parteichef der Sozialisten
(PSOE), José Luís Rodríguez Zapatero, wurde von unzähligen
Protestwählern auf einer Welle der Empörung auf den Posten des
künftigen Ministerpräsidenten gespült.
Mehr noch: Am vergangenen Freitag erlebte Spanien die bislang
größte Massenkundgebung seiner Bürger seit Einführung der
Demokratie: Über elf Millionen Menschen gingen landesweit in den
Städten auf die Straße, um gegen die Terroranschläge zu
demonstrieren sowie den Opfern ihre Trauer und Anteilnahme zu
bekunden. Dabei blieb es nicht. Noch am selben Freitagabend wurden
führende PP-Politiker wie etwa der erste Vize-Ministerpräsident
Rodrigo Rato und der katalanische PP-Chef Josep Pique auf der
Kundgebung in Barcelona von den Demonstranten als Mörder und Lügner
beschimpft. Viele Menschen argwöhnten, dass die Madrider
Zentralregierung mit Informationen über die wahren Täter der
Anschläge hinterm Berg hält, um bei den Wahlen - die in wenigen
Stunden stattfinden sollten - politisch Profit zu schlagen. Noch am
Freitagnachmittag hatte Spaniens Innenminister Ángel Acebes an der
Aussage festgehalten, Urheber er blutigen Anschläge sei die
baskische Separatistenorganisation ETA. Bereits unmittelbar nach
den Anschlägen hatte Acebes kategorisch die ETA für den
Bombenterror verantwortlich gemacht, obgleich relativ rasch erste
Anzeichen auch in Richtung islamischer Terrorgruppen samt
ideologischer Nähe zur Al Kaida-Organisation hindeuteten.
Mit der Festnahme von fünf mutmaßlichen Attentätern - drei
Marokkanern und zwei Indern - am Samstag wollte die Regierung noch
einmal tatkräftiges Handeln vorweisen. Doch zu diesem Zeitpunkt
demonstrierten schon Tausende vor den Parteizentralen der PP,
forderten "die Wahrheit" über die Täter des Anschlags. Mehr noch,
unter dem Slogan "Euer Krieg, unsere Toten" begann die Stimmung im
Land zu kippen. Viele erinnerten sich daran, dass der spanische
Ministerpräsident José María Aznar (PP) das Land Spanien gegen den
Willen der deutlichen Mehrheit der Bevölkerung in den Irak-Krieg
geführt hatte. Sie machten den Regierungschef und seine Partei
dafür verantwortlich, das Land ins Visier von Al Kaida gerückt zu
haben. Bei einer um neun Punkte höheren Wahlbeteiligung von 77
Prozent im Vergleich zu 2000 verpassten viele Wähler der PP einen
Denkzettel.
Die Auswirkungen in Spanien fanden ihren Niederschlag auch auf
Mallorca. Mit Entsetzen hatten die Insulaner auf die Terrorattacke
in Madrid reagiert. Auf den Balkonen der Stadt tauchten spanische
Fahnen mit schwarzem Trauerflor auf. Auf ganzseitigen
Zeitungsanzeigen rief die Zentralregierung "alle Spanier" auf, am
Freitagabend aus Protest gegen die Anschläge auf die Straße zu
gehen . Allein in Palma verwandelten 130.000 Teilnehmer die
Avenidas von der Plaça de Espanya bis zum Parc de la Mar in ein
einziges Menschenmeer. Es war die größte Demonstration, die die
Stadt je erlebt hatte. Eine Stunde vor dem Start der Kundgebung
sperrte die Polizei weiträumig die Zufahrten ins Zentrum, der Paseo
Marítimo war nur stadtauswärts befahrbar. Die Kaufhäuser und
Geschäfte schlossen ihre Pforten, auf der Ringautobahn um Palma kam
es zu massiven Staus, längs der Avenidas funktionierten die
Mobiltelefone nicht mehr. Die Behörden hatten aus
Sicherheitsgründen die Antennen abschalten lassen. Die Sprengsätze
in den Madrider Nahverkehrszügen waren per Mobiltelefone
ferngezündet worden. Am Tag nach der Kundgebung demonstrierten rund
1000 Menschen vor dem Delegationssitz der Madrider Zentralregierung
in Palma, unter ihnen Oppositionspolitiker wie der ehemalige
balearische Vize-Ministerpräsident Pere Sampol (PSM).
Am Ende des Wahlsonntages stand fest: Auch auf den Inseln hatten
die Linksparteien erhebliche Stimmengewinne erzielen können. Statt
drei entsenden sie nun vier der insgesamt acht Delegierten ins
spanische Parlament. Für die PP-geführte Balearen-Regierung wird es
in Zukunft deutlich schwerer sein, etwa für ihre
Straßenbauvorhaben, in Madrid Gehör und Geld zu finden. Damit setzt
sich eine wenig fruchtbare Tradition fort. Seit Einführung der
Demokratie in Spanien 1977 waren Madrid und Palma bis auf vier
Jahre politisch stets miteinander "über Kreuz".
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