Von den Deutschen auf Mallorca heißt es gerne, dass sie
Individualisten seien. Und dass sie sich auf der Insel vor allem an
einem stören: dass die Dichte der Landsleute um sie herum mitunter
mit der in Hamburg oder Düsseldof zu vergleichen ist, nur bei
besserem Wetter. Tatsächlich suchen aber offenbar immer mehr
deutsche Voll- und Teilresidenten die Unterstützung und die
Gesellschaft von ihresgleichen. Die besonderen Lebensumstände im
Ausland schweißen auch Menschen zusammen, die sich im Heimatland
nie einem oder zumindest nicht demselben Verein angeschlossen
hätten.
Die Geschichte des deutschen Vereinslebens auf Mallorca ist fast
so alt wie das Phänomen der deutschen Einwanderung auf der Insel:
Schon in den 30er Jahren gab es einen deutschen Schulverein, wie
Ausgaben der damaligen deutschen Zeitung auf Mallorca, „Der
Herold”, belegen. Heute tummeln sich auf der Insel vielleicht 20
deutschsprachige Gruppen und Vereine mit ganz unterschiedlichen
Anliegen und Beweggründen: Sie schützen Tiere oder ihre eigenen
Interessen, wollen das kulturelle Angebot für Deutsche oder die
Schulsituation für ihre Kinder verbessern, kümmern sich um in Not
geratene Landsleute oder sammeln Geld für Hilfsprojekte anderer,
spielen gemeinsam Tennis oder Backgammon, suchen Gleichgesinnte für
Stammtische und Unternehmungen, pflegen deutsche Karnevalsbräuche
oder geschäftliche Kontakte.
Bei vielen stehen Geselligkeit und gegenseitige Unterstützung im
Vordergrund. Ein typisches Beispiel: Nachdem Verena und
Hans-Eberhard Servé (62) vor einigen Jahren von Deutschland nach
Peguera gezogen waren, merkten sie, dass sie mit ihren
Startschwierigkeiten in einem fremden Land mit einer fremden
Sprache nicht alleine waren: Mehrere Deutsche, die alle über
denselben Makler ein Haus im Südwesten gekauft hatten, wurden sich
bewusst, dass sie von den Alltagsangelegenheiten „alle keine Ahnung
hatten”. Sie brauchten Handwerker, Telefonanschlüsse, wollten
wissen, wie das mit der Autoummeldung funktioniert. „Durch die
besonderen Umstände in einer anderen Kultur ist der
Erfahrungsaustausch wichtiger als in Deutschland”, so der Arzt im
Ruhestand. Also gründeten sie im März 2001 einen Verein: die
Vereinigung zur Selbsthilfe für Ausländer (AAYRE). Sich einem
spanischen Verein anzuschließen wäre den meisten wegen des
Sprachproblems nicht möglich gewesen.
Heute rekrutiere sich AAYRE fast ausschließlich aus Rentnern,
Frührentnern und nichtarbeitstätigen Frauen, viele der etwa 40
Mitglieder pendeln das ganze Jahr über zwischen Deutschland und
Mallorca. Die Servés und ihre Mitstreiter haben inzwischen ganze
Aktenordner mit Informationen zu allen Lebenssituationen angelegt.
Für viele, die inzwischen als Mallorca-Residenten längst „alte
Hasen” sind, ist der gesellige Teil aber inzwischen wichtiger
geworden als der praktische: „Unsere Stammtische sind sehr gut
besucht”, sagt der AAYRE-Präsident. Außerdem werden Mal-, Sprach–
und Computerkurse organisiert, Wanderungen und Konzertbesuche: „Wir
haben dauernd was vor.” Das Vereinsleben gestattet so manchem
Mitglied, Kontakte und Freundschaften zu schließen, ohne in die
spanische Gesellschaft eintauchen zu müssen. So kommt es, dass
mancher, obwohl er schon jahrelang auf der Insel lebt, immer noch
zu wenig Spanisch spricht, um sich in der Landessprache zu
unterhalten. „Nicht so blank und bloß dastehen in einem fremden
Land” wollen laut Yo Petit (56) auch viele „Amigos en Mallorca”,
ein loser Zusammenschluss von etwa 100 Deutschen auf der Insel.
Genauso wie AAYRE sieht der Initiator des Clubs einen Bedarf der
Deutschen an Empfehlungen von verlässlichen Dienstleistern in allen
Branchen. Beide Vereine wollten eine Art Empfehlungsservice
einrichten. Und in beiden wurde die Idee wieder fallen gelassen,
weil es viel Ärger und böses Blut gegeben habe.
Nachdem die „Amigos” 2001 eine Benefizveranstaltung für ein
Krankenhaus in Afghanistan organisiert hatten, war es still
geworden um den Club. Die Freizeitaktivitäten – sie ähneln denen
von AAYRE – würden gut angenommen, aber man habe wenig davon nach
außen getragen, erklärt Petit.
Etwa ein Drittel der Mitglieder seien „Privatiers”, so Yo Petit,
oder anders gesagt: Rentner. Die meisten seien finanziell gut
abgesichert. Man gibt sich elitär und will unter sich bleiben:
Nicht jeder wird zugelassen, der Beitritt erfolgt über Empfehlungen
und Einladungen. Allerdings wolle man sich durchaus auch für andere
engagieren, wisse nur noch nicht so recht wie und wo.
In mancher Hinsicht ist das Vereinsleben auf Mallorca wie in
Deutschland auch: Viele Clubs stehen oder fallen mit dem Engagement
Einzelner, die entweder durch ein fettes Geldpolster und viel
Beharrlichkeit oder durch gute Absichten und viel Beharrlichkeit
Erstaunliches zu Wege bringen. So schafft es „Privatier” Josef
Egger (78), Gründer der „Österreichischen Freunde Malloras”, immer
wieder, die mallorquinische High-Society und Politriege für seine
kulturellen Projekte einzuspannen.
Aber auch José Rodríguez (62), früher Gastarbeiter in
Deutschland und jetzt Rückeinwanderer im eigenen Land, ist bei den
hiesiegen Behörden kein Unbekannter. Seitdem er mit seiner
deutschen Familie nach Calvià zog, hat er sich erst im Rahmen
seiner politischen Arbeit (in der PP-Ortsgruppe) um die Anliegen
der Deutschen in der Gemeinde gekümmert. Jetzt widmet er sich quasi
„hauptberuflich” (aber unbezahlt) im 1996 gegründeten Deutschen
Sozial– und Kulturverein Calvià sozialen Problemfällen.
Der Kultur- und Sozialverein, derzeit 600 Mitglieder stark,
spiegelt ein relativ neues Phänomen wider: Die Dauerpräsenz von
immer mehr Deutschen auf den Balearen – nach neuesten Schätzungen
eines Humangeographen der Balearenuniversität leben 28.000 Deutsche
fest auf den Inseln – birgt auch ein immer größeres Potential an
sozialem Sprengstoff, das die Behörden mitunter alleine nicht mehr
bewältigen können.
Obdachlose, Menschen in Geldnöten, Kranke, Ratsuchende in
Behördenangelegenheiten: „Wir schicken keinen weg.” Notfalls
begleitet Rodríguez seine Sorgenkinder bis nach Berlin oder
Brüssel, um für deren Rente oder „ihr Recht” zu kämpfen.
Eine andere Folge der Masseneinwanderung Deutscher: die Gründung
der Asociació Alemanya i Mallorquina (AAM) als Versuch, die
Integration der vor einigen Jahren nicht so gut gelittenen
Deutschen auf der Insel voranzutreiben.
Viele der deutschen Gruppen sehen ihre Aufgabe auch im sozialen
Bereich. Um in Not geratenen Deutschen auf der Insel zu helfen,
wurde mit Unterstützung der Kirchen und des Konsulats im
vergangenen Jahr die Asistencia Mallorca ins Leben gerufen. Der
Versuch, dort möglichst viele Gruppen zu bündeln, um effektiver
helfen zu können, ist bisher nicht so recht geglückt.
Einige Clubs signalisieren Bereitschaft zur Kooperation mit
anderen, wenn denn einer auf sie zukäme – doch wer tut den ersten
Schritt?
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